Das Foto zeigt eine Statue von Robert Koch am Campus Nord, die zum feministischen Kampftag (2021) von Demonstrant*innen verziert wurde.

Wild, feministisch, widerständisch – Streik zwischen (Rechts)Diskurs und Praxis

Egal ob es um die Beteiligung von Arbeiter*innen an industriellen Arbeitskämpfen, Pflegestreiks, Frauenstreiks oder eine Bestreikung von Care-Arbeit geht: Feminist*innen kam stets eine zentrale Rolle zu, wenn es um das Erringen von Streikrechten ging. Dennoch fallen bis heute große Teile (feministischer) Streiks aus dem rechtlichen Schutz des deutschen Streikrechts heraus. Restriktive Definitionen und das Unsichtbarmachen von Arbeit spielen hierfür ebenso eine Rolle wie die von Rassismus geprägte deutsche Streikgeschichte.

Verstärkte Aufmerksamkeit hat das Thema Streik an der Humboldt-Universität in der ersten Jahreshälfte 2022 erfahren. Eine Gruppe hochschulpolitisch-organisierter, linker Studierender verschiedener Fachbereiche organisierte eine Veranstaltungsreihe zu ‚wilden‘ und feministischen Streiks. Kurz danach veranstaltete die DFG-Forschungsgruppe „Recht – Geschlecht – Kollektivität“ im Rahmen von kollektiv diskutieren eine Diskussionsrunde zum Thema Klima – Krise – Streik. Gesprochen wurde über den juristischen Streikbegriff, die politische Ermächtigung, die der*die Einzelne durch das Mitgestalten einer Arbeitskampfmaßnahme erfährt, aber auch über Fridays for Future und rassistische Kontinuitäten, sowohl in deutscher Streikgeschichte als auch in Fragen der Klimapolitik. Gemein hatten die Veranstaltungen eins: Die bewusste Verortung innerhalb eines Diskurses über Streik, der sich nicht von der Praxis desselben lösen kann.

Der vorliegende Beitrag greift die beiden Veranstaltungen in ihrer thematischen Überschneidung auf. Es gilt, offenen Fragen nachzuspüren, sie zu schärfen und – am Beispiel Streik – neue Worte für alte Probleme zu finden. Dabei gibt der Beitrag einen Überblick über die drei zentralen Themen der Veranstaltungen: ‚Wilde Streiks‘, Klimastreiks und feministische Streiks.

Wen schützt das deutsche Streikrecht? Eine intersektionale Frage

Voraussetzung für ein gemeinsames Sprechen über Streik jenseits von wissenschaftlichen Disziplinen und aktivistischen Kontexten – also transdisziplinär – ist, sich über Schlüsselbegriffe zu verständigen. Für beide Veranstaltungen definierte Eva Kocher Streik als Form politischer Subjektivierung und Kollektivierung, die sich zunächst außerhalb des Rechts befindet. Die Streikerfahrung ist für die Beteiligten prägend, da die Teilnahme an kämpferischen Arbeitskampfmaßnahmen großen Mut von der Einzelperson fordert und stets die Praxis einer Grenzüberschreitung ist. Streikende gehen mit dieser fast gegenrechtlichen Form der Aktion immer ein Risiko ein und lernen sich in diesem Prozess als widerständische, politische Subjekte kennen.

Aktuell lässt sich das an den ‚wilden Streiks‘ (Selbstbezeichnung der Streikenden) des Gorilla Workers Collective in Berlin beobachten. Sie bewegen sich außerhalb des deutschen, tarifgebundenen Streikrechts und verdeutlichen die Grenzen des rechtlichen Schutzes dieser Arbeitskampfmaßnahmen. Wilde Streiks sind nicht durch das in Art. 9 GG festgeschriebene Recht auf Arbeitskampf geschützt. Dies wurde durch Richter*innenrecht als ein rein tarif-gebundenes Streikrecht festgeschrieben.

Rassismuskritische Perspektiven machen die führende Rolle schlecht-bezahlter und prekarisierter Gastarbeiter*innen für die Durchbrechung dieser Rechtspraxis deutlich. Sie fanden aufgrund schlechter Einbindung in die gewerkschaftlichen Strukturen deutscher Arbeiter*innen oft keinen anderen Weg, ihre Forderungen durchzusetzen, als außerhalb dieser Strukturen zu streiken. Eine rein materialistische Kritik deutscher Streikkultur als politische Kampfmaßnahme der Arbeitenden als homogene Interessengruppe, die sich in Auseinandersetzung mit der Arbeitgeber*innenseite befindet, greift also zu kurz. Sie übersieht die vielen verwobenen Machtstrukturen, die einen höchst unterschiedlichen Zugang zum rechtlichen Schutz eines Streiks nach sich ziehen.

Wilde Streiks erfuhren oft nicht nur harsche Gegenmaßnahmen durch die Unternehmer*innenseite. Auch deutsche Kolleg*innen untergruben deren Wirksamkeit. Eine Aufspaltung der Arbeitenden an Linien der Staatsangehörigkeit und zugeschriebenen Rassifizierungen führte zu einer Abschwächung der Schlagkraft von Arbeitskämpfen. Das ist freilich keine ungebrochene Geschichte. Einer der erfolgreichsten und größten wilden Streiks der 1970er war eine von jugoslawischen und deutschen Arbeiterinnen begonnene Arbeitskampfmaßnahme, die es sich zum Ziel setzte, die Niedriglohnklassen im Betrieb des Autozulieferers Pierburg abzuschaffen. Mit Erfolg.

Klimastreiks und Umweltrassismus

Neben verschiedenen Arbeitskämpfen hat in den letzten Jahren verstärkt die Klimabewegung den Streikbegriff auf die Straße gebracht. Doch wenn Streik bedeutet, die eigene Arbeitskraft durch ihre Zurückhaltung zu instrumentalisieren, womit wird dann gedroht, wenn keine Arbeitskraft entzogen werden kann? Ist es ein politischer Streik und was bedeutet er? Ida Westphal löste das Problem bei der Veranstaltung kollektiv diskutieren über die Ebene der Pflicht: Zur Schule zu gehen ist keine Arbeit, sondern ein fundamentales Recht oder eben eine Pflicht. Auch diese hat, wie das Arbeitsverhältnis zwei Seiten, die in einem konkretisierten Pflichtverhältnis zueinanderstehen und somit bestreikt werden können.

Verbindungen zwischen unterschiedlichen Aktionsräumen können über ein solch politisches Streikverständnis Druck aufbauen und sowohl Arbeitskämpfen als auch Klimaforderungen neue Schlagkraft verleihen. Ida Westphal nannte hier z.B. die Solidarisierung von Fridays for Future mit von ver.di geführten Arbeitskämpfen im ÖPNV 2020.

Intersektional gedacht, stellt sich die Frage nach Solidaritäten für Klimabewegung – und Forschung auch im Bereich Umweltrassissmus. Imeh Ituen betonte im Gespräch mit Eva Kocher und Ida Westphal, dass rassismuskritische Perspektiven auf Umweltbelastungen eine antirassistische Positionierung von Klimaforderungen notwendig machen. Das thematisieren bisher lediglich Bewegungskontexte. Die von ihr durchgeführte Studie zu Umweltrassismus in Deutschland ist eine Bestandsaufnahme von Umweltbelastungen, die Menschen aufgrund von rassistischen Strukturen unterschiedlich treffen. Gemeinsam mit Lisa Tatu Hey schreibt sie über divergierende Zugänglichkeiten zu einer unbelasteten Umwelt in Form von Arbeits- und Wohnräumen sowie die Nutzung rechtlicher Mechanismen. Wer Recht faktisch als Mittel nutzen kann, um sich gegen diskriminierende Strukturen zur Wehr zu setzen und allgemeine Rechte auf Leben, Gesundheit, Mobilität und Gleichbehandlung durchzusetzen, ist eine Machtfrage. Das zeigt die Studie auch bezogen auf die Aufarbeitung des politischen Widerstands Betroffener (vor allem durch Sinti*zze und Rom*nja Communities).

Feministische Streiks

Klimastreiks sind nicht die einzigen politischen Bewegungen, die den Begriff des Streiks wirksam nutzen, jedoch – zumindest rechtlich gesehen – nicht immer Erwerbsarbeit niederlegen. Feministische Forderungen wurden und werden mit einer Bestreikung traditionell weiblich gesetzter Tätigkeiten erkämpft. Zu erwähnen sind hier Gebärstreiks und Pflegestreiks oder allgemeinere Niederlegungen von Care-Arbeit etwa jährlich zum feministischen Kampftag am 8. März. Dennoch wird diese Protestform selten als Streik ernst genommen. Wenn Streik die Niederlegung von Erwerbsarbeit ist, wie legt man dann rechtlich nicht als Arbeit definierte Care-Arbeit nieder? Hier wird Arbeit unsichtbar gemacht und durch juristische Dogmatik, aber auch die Praxis des politischen Diskurses entwertet. Damit werden Praxisansätze für Arbeitskampfmaßnahmen geschmälert, bzw. wird diesen juristischer Schutz vorenthalten. Weiterführend wäre die Frage interessant, inwiefern sich eine Niederlegung von Care-Arbeit auch über die Bestreikung eines sozial institutionalisierten Pflichtverhältnisses verstehen lässt.

Utopie und Praxis

Beim Rückblick auf die besprochenen Veranstaltungen lässt sich der Frage nicht entgehen, wie betroffene, bzw. beteiligte Öffentlichkeiten in solche Formen der Forschung(-skommunikation) eingebunden werden können. Aus antirassistischer, feministischer Perspektive ist es entsprechend notwendig selbstkritisch zu reflektieren, wer (Forschungs-)Fragen formulieren, und Wissen beisteuern kann. Wie nachhaltig ist der Austausch zwischen Forschung und dem von ihr beforschten Feld? Und beschränkt sich dieser Austausch auf einzelne Veranstaltungen oder besteht ein stetiger Kontakt und gegenseitiger Zugang zu Räumen und Gesprächen?

Aus den Gender Studies ist bekannt, dass es eine neutrale, objektive Forschung nicht geben kann, wie z.B. Haraway mit ihrem Konzept der ,Situated Knowledges‘ gezeigt hat. Forscher*innen und Beforschte sind in spezifische historische und soziale Kontexte eingebunden und stets in (Inter-)Aktion. Im Rahmen von Bewegungsforschung werden Forschungsobjekte zu Interaktions-Subjekten. Ob es Parteien, Gewerkschaften, autonome Gruppierungen oder diffus organisierte Bewegungen sind: Sie befinden sich in einem stetigen Prozess des Handelns und der Re-Definition. Strukturen werden umgeformt, Grundsatzdebatten geführt, Flügelkämpfe ausgetragen. Die Akteur*innen sind ebenso veränderlich wie die Verhältnisse, die sie zu verändern wünschen.

Für engagierte Forschende ergibt sich daraus die Notwendigkeit Räume des Austauschs auf Augenhöhe zu schaffen und Akademisches nicht gegen Politisches auszuspielen. Praxistransfer, Wissenschaftskommunikation und transdisziplinärer Dialog fördern Ambivalenztoleranz und den Mut Widersprüche zuzulassen, sie auszusprechen und konstruktiv neue Wege der Kooperation und Solidarität zu finden. Dafür müssen beide Seiten aus ihren Rollen heraustreten; gegenseitig zu Lehrenden und Handelnden werden, um wirksam praxisnahe Diskurse führen zu können. Wann immer sich eine Distanz zwischen Utopie und Praxis findet, ist dies eine Chance, in kleinen und in großen Schritten Freiräume für kritische und praxisnahe Forschung in universitären Räumen zu erstreiten.

 

Alina Mehrens arbeitet als studentische Hilfskraft im Teilprojekt A der DFG-Forschungsgruppe „Recht-Geschlecht-Kollektivität“ zu Umweltrecht und Umweltklagen am Lehrstuhl von Prof. Dr. Susanne Baer. Sie studiert Rechtswissenschaften im fünften Semester an der HU Berlin und engagiert sich in der studentischen Selbstverwaltung der Universität.