Buchcover "Midlife Crisis"

Midlife-Crisis: Ein Konzept zwischen Feminismus und Backlash

Die Geschichte der Midlife-Crisis beginnt mit einem feministischen Bestseller. Zwar handeln, so scheint es, die meisten Midlife-Geschichten von Männern. Als verbreitetes Klischee beschwört der Begriff der Midlife-Crisis Bilder von Herren im Sportwagen und in junger Begleitung herauf. Auch aus philosophischer und literarischer Perspektive scheint die Sinnfrage in der Lebensmitte in erster Linie Männer zu betreffen: John Stuart Mill, Arthur Schopenhauer, dazu zahlreiche männliche Romancharaktere (Setiya, 2019). Doch die Erfahrungen von Frauen waren zentral für die Anfänge der Idee einer Midlife-Crisis. Als der Begriff sich in den 1970er Jahren verbreitete, bezeichnete er das Ende der traditionellen Rollenverteilung im Alter von Mitte 30 bis Ende 40: Frauen kehrten in den Beruf zurück, während Männer ihre Karriere an den Nagel hängten, um sich um Haushalt und Kinder zu kümmern. So schilderte es die New Yorker Journalistin Gail Sheehy, deren Bestseller „Passages“ (1976) die Midlife-Crisis in den USA und international bekannt machte.

Lebensgeschichten

Das Buch „In der Mitte des Lebens“, so der deutsche Titel, basierte auf Interviews, die Sheehy mit 115 Frauen und Männern im Alter zwischen 17 und 50 Jahren geführt hatte. In ausführlichen Gesprächen diskutierten sie ihre Lebensgeschichten, ihre Pläne, Träume, Hoffnungen und Wünsche, ihr Scheitern und ihre Sorgen. Die Jüngeren, die ihr Studium gerade abschlossen oder ihre ersten Jobs angenommen hatten, versprühten Zuversicht selbst angesichts von Schwierigkeiten und Hindernissen. Doch wo Sheehy 30- und 40-jährige befragte, dominierten Unzufriedenheit und ein Gefühl der Stagnation. Es waren diese Krisen der Arrivierten, die Sheehy interessierten.

Sheehys Darstellung und Analyse waren typisch für feministische Agenden, die in den 1970er Jahren breite Medienaufmerksamkeit erhielten. Ihr Fokus lag auf heterosexuellen Beziehungen und ihr Begriff des Sexismus basierte auf einem binären Geschlechtermodell und schenkte Verschränkungen mit race und Klasse wenig Augenmerk. Die Mehrzahl von Sheehys Befragten stammte aus der weißen, gebildeten Mittelschicht. Viele waren verheiratet und hatten Kinder, doch die Hälfte von Sheehys Interviewpartner*innen war geschieden. Fast alle hatten studiert. Die Männer waren Manager, Professoren und Künstler und einige der Frauen übten dieselben Berufe aus; doch die meisten waren Hausfrauen oder arbeiteten in Teilzeit. Sheehy präsentierte diese Gruppe als typisch für die gesamte amerikanische Gesellschaft. Auf die Erfahrungen von weißen Frauen aus der Arbeiter*innenklasse und von Schwarzen Männern nahm sie vor allem Bezug, um ihre Aussagen zu verallgemeinern. In ihrer Analyse des weiblichen Lebenslaufs zeichnete Sheehy etwa die Tätigkeiten von Kellnerinnen, Telefonistinnen, Pflegerinnen und Fließbandarbeiterinnen in düsteren Farben und unterstrich auf diese Weise die Bedeutung eines College-Abschlusses und eines ungebrochenen Karrierewegs. Auf ähnliche Art bezog sie sich auf Interviews mit zwei außergewöhnlich erfolgreichen Schwarzen Männern, um zu illustrieren, dass ihre Beschreibungen eines allgemeinen Lebensmusters auch auf sie zutraf: Dennis Watlington, der das renommierte Hotchkiss-Internat in Connecticut besucht hatte, und Arthur Miller, der erste Schwarze Tänzer des New York City Ballet und Gründer des Dance Theatre of Harlem, bekannt als die erste Schwarze Ballettkompanie der USA. In Bezug auf Watlington, der in East Harlem aufgewachsen war, gestand Sheehy zwar ein, dass „die Dinge ganz anders aussehen in Familien, die durch Klasse, Hautfarbe oder beides benachteiligt sind“. Dennoch aber folgerte sie letztlich: „Obwohl Dennis’ Erfahrungen unkonventionell waren, sind seine Reaktionen typisch“ (Sheehy, 1976). (Abgesehen von kurzen Erwähnungen von Watlingtons Mutter traten Schwarze Frauen in „Passages“ nicht auf, ebenso wenig wie Männer aus der Arbeiter*innenklasse, unabhängig von ihrer Hautfarbe.) Vor diesem Hintergrund verdeutlicht Sheehys Beschreibung der Befragten als den zukunftweisenden „Schrittmacher*innen“ der amerikanischen Gesellschaft ein grundlegend normatives Verständnis der weißen Mittelschicht, während es zugleich auf ihre programmatische, reformerische Agenda verwies.

Bei allem Fokus auf das Establishment verfasste Sheehy auf Grundlage ihrer Interviews weder Memoiren noch therapeutische Fallstudien, sondern life histories: Lebensgeschichten, die denjenigen eine Stimme verliehen, die bis dahin ungehört geblieben waren. Die Bedeutung solcher own stories, wie sie in Journalismus und Sozialforschung seit langem verbreitet waren, lag weniger in individuellen Spezifika und Begebenheiten als in den gesellschaftlichen Zusammenhängen, die in ihnen sichtbar wurden. Klassiker des Life-History-Genres, etwa die von dem Reporter Hutchins Hapgood publizierte „Autobiography of a Thief“ (1903) und „An Anarchist Woman“ (1909), zeichneten in biographischer Form die Herausbildung eines kritischen, politischen Bewusstseins nach. Auch Sheehy argumentierte in „Passages“ für gesellschaftlichen Wandel. Ihre Beschreibung von Lebenskrisen, Problemen und Umbrüchen war Teil eines breiten, aktivistischen ebenso wie publizistischen und akademischen Interesses an consciousness-raising und an biographischen Zugängen im Kontext der Frauenbewegung der 1960er und 70er Jahre.

Tatsächlich überdachten viele der Frauen, mit denen Sheehy sprach, ihr Leben. Insbesondere diejenigen, die bereits seit einigen Jahren verheiratet waren und Kinder hatten, fragten sich und andere:

„Warum gebe ich mit dieser Ehe alles auf?“

„Warum musste ich so viele Kinder haben?“

„Warum habe ich meine Ausbildung nicht abgeschlossen?“

„Nutzt mir mein Abschluss überhaupt noch etwas, nachdem ich so lange nicht berufstätig gewesen bin?“

Oder: „Warum hat mir nie jemand gesagt, dass ich wieder arbeiten gehen muss?“

Sheehy berichtete über die Frustration der Frauen und erzählte von denen, die ihr Leben umgekrempelt hatten, sich von ihren Partnern trennten oder Jobs gegen Vollzeitstellen eintauschten.

Rollentausch

Auch Männer waren mit ihrem Leben unzufrieden. Häufig empfanden sie den beruflichen Alltag und Karrieredruck als einengend – und während Frauen wieder ins Berufsleben einstiegen, kehrten die Männer, die Sheehy in ihrem Buch beschrieb, der Arbeitswelt den Rücken zu. Viele der Männer, die Sheehy interviewte, kümmerten sich stärker um den Haushalt und die Kinder. Zumal geschiedene Paare teilten sich die Kindererziehung auf eine Weise, die nicht selten gleichberechtigter schien als ihre Ehen es gewesen waren, bevor sie ihrer Midlife-Crisis nachgaben.

Zusammengenommen markierten die weibliche und männliche Midlife-Crisis einen „Switch“ der traditionellen Rollenverteilung. In Sheehys Darstellung war die Unzufriedenheit der Mittdreißiger der Beginn eines Neuanfangs. Ihr Konzept der Midlife-Crisis normalisierte die Lebensentwürfe von Frauen jenseits von Ehe und Mutterschaft und legte zugleich nahe, dass auch Männer davon profitierten, ihre Prioritäten und Lebensmuster zu überdenken.

Sheehys Buch war ein sensationeller Erfolg. Es wurde von Kritikern gepriesen und in Fachzeitschriften besprochen. Die „New York Times“ sprach von einer „Revolution des psychologischen Schreibens“, die beliebte feministische Zeitschrift „Ms.“ pries Sheehys nuancierte Analyse und Soziologen sprachen von einem „verdammt wichtigen Buch“. Über zwei Jahre hinweg war „Passages“ eines der meistverkauften Bücher in den USA. In über 25 Sprachen übersetzt, erreichte es ein Publikum weit über Nordamerika und Westeuropa hinaus. Doch die Geschichte der Midlife-Crisis und ihrer feministischen Ursprünge ist heute kaum bekannt.

Krise der Männer

Kaum zwei Jahre nach Sheehys Buch veröffentlichte der Yale-Psychologe Daniel Levinson sein Sachbuch „Das Leben des Mannes“ (im Original „The Seasons of a Man’s Life“, 1978). Darin beschrieb er eine „zweite Adoleszenz“, die Männer in den besten Jahren durchlebten: Sie kündigten ihre Jobs und verließen ihre Familien, um sich mit aufregenden Affären, extravaganten Autos, Bauprojekten und Reisen an exotische Orte Lebensträume zu erfüllen. Die Schilderungen schienen direkt aus dem „Playboy“ kopiert, doch Levinson meinte es ernst: Als typischer Ausdruck der Midlife-Crisis sei dieses Verhalten unabdingbar für eine gesunde Persönlichkeitsentwicklung.

„Das Leben des Mannes“ knüpfte an Levinsons frühere Forschung im Bereich der Unternehmens- und Organisationspsychologie an. Wie in diesem Feld nicht unüblich, galt das Hauptinteresse des Psychologen der Leitungsebene; in vorigen Studien hatte er die professionelle Rolle und die Karriereentwicklung von Managern untersucht. Levinsons neues Buch basierte auf Befragungen von vierzig Männern mittleren Alters. Jeweils zehn von ihnen waren leitende Angestellte bei den in Connecticut ansässigen Chemie- und Elektro-Unternehmen Olin und GSI, Arbeiter (bei denselben Unternehmen), Biologen und Schriftsteller. Fünf der Teilnehmer waren Schwarz: drei Arbeiter und zwei Schriftsteller.

Trotz des vergleichenden Ansatzes seiner Studie interessierte sich Levinson kaum für die Unterschiede im Leben der Männer. Es ging ihm vielmehr darum, zu zeigen, auf welche Weise das Leben der Arbeiter, Naturwissenschaftler und Schriftsteller den Lebensläufen der Manager ähnelten. Für Levinson verwirklichte der Karriereweg der Direktoren grundlegende Prinzipien der Entwicklungspsychologie im Allgemeinen und der männlichen Persönlichkeitsentwicklung im Besonderen. Die zentrale Fallstudie in „Das Leben des Mannes“ war denn auch der Vizepräsident und Hauptgeschäftsführer der Olin-Schusswaffenabteilung, unter dem Pseudonym „Jim Tracy“. Nach einer Reihe von Seitensprüngen und Affären ließ er sich von seiner Frau scheiden und heiratete eine jüngere Frau, bevor er seinen Job bei Olin kündigte, um ein eigenes Unternehmen zu gründen und endlich ganz er selbst, „sein eigener Chef“ zu werden.

Unter Berufung auf den Entwicklungspsychologen Erik Erikson und den Analytiker C. G. Jung argumentierte Levinson, dass alle Männer mittleren Alters eine wichtige Phase der Selbstfindung durchlebten, die Tracys Erfahrung glich. Sie verlangte die Distanzierung von ihrer Familie und bedeutete das Ende der Monogamie – entsprechend der Ablösung des Jugendlichen vom Elternhaus. Dabei war die Abwendung eines Mannes von seiner Ehefrau zentral. Wie Heranwachsende sich von ihren Eltern lösten, so sollte sich ein Mann im Zeichen der Autonomie von seiner Frau lösen.

Levinsons Definition der Midlife-Crisis war ein kategorischer Gegenentwurf zu Sheehys feministischem Konzept, mit dem der Psychologe bestens vertraut war. Trotzdem wurde „Das Leben des Mannes“ selten als anti-feministisches Traktat gelesen. Stattdessen firmierte Levinson in der Öffentlichkeit ebenso wie in Fachkreisen als wissenschaftliche Autorität. Wo sein neues Buch Sheehys „Passages“ gegenübergestellt wurde, war dieser Vergleich fast immer von einem geschlechterspezifischen Verständnis von Expertise getragen – zum Vorteil „Professor Levinsons“. Ausgestattet mit dem Prestige des Fachmanns stellte der Psychologe Sheehys feministische Definition der Lebensmitte nicht einfach auf den Kopf, sondern überschrieb sie vielmehr. Schon bald hatte „Midlife-Crisis“ nur noch für die wenigsten mit dem Ende traditioneller Geschlechterrollen zu tun. Im Gegenteil: Es stand nun für den Ausbruch der Playboys aus dem Familienleben.

 

Literatur

  • Levinson, Daniel, 1978. The Seasons of a Man’s Life, New York: Knopf.
  • Setiya, Kieran, 2019. Midlife Crisis. Eine philosophische Gebrauchsanweisung, Berlin: Suhrkamp.
  • Schmidt, Susanne, 2020. Midlife Crisis. The Feminist Origins of a Chauvinist Cliché, Chicago: University of Chicago Press.
  • Sheehy, Gail, 1976. Passages. Predictable Crises of Adult Life, New York: Dutton.

 

Susanne Schmidt ist Wissenschaftshistorikerin und arbeitet als Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Freien Universität und der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr Buch Midlife Crisis. The Feminist Origins of a Chauvinist Cliché ist kürzlich bei der University of Chicago Press erschienen.