„I am speaking, Mr. Vice President”. Ein historischer Frauenblock könnte Trump abwählen

Kamala Harris und die Debatte der Vizepräsident*innen

Wer spricht und wer zum Schweigen gebracht werden soll, hatte Präsident Donald Trump in seiner Debatte gegen den demokratischen Präsidentschaftskandidaten Joe Biden klargemacht. Er unterbrach, er schrie, er überzog sein Zeitbudget und führte sich auf wie Rumpelstilzchen. Mitbewerber Joe Biden nahm den Maskulinitäts-Wettbewerb durchaus an und wies den Präsidenten an, die Schnauze zu halten (‚shut up, man‘). Viel zivilisierter lief die Debatte der Vizepräsidentschaftsbewerber*innen Mike Pence und Kamala Harris. Natürlich nutzte Pence den Geschlechtsvorteil, die Gegner*in unterbrechen zu können, ohne dass damit seine Kompetenzwerte in Gefahr waren. Jedes Mal allerdings, wenn er es tat, wendete sie sich ihm lächelnd zu, schaute ihm in die Augen und sagte, „I am speaking, Mr. Vice President“, womit sie klarmachte, dass er versucht hatte, sie, eine black woman of color, respektlos zu behandeln.

Harris hatte mit einem doppelten Handicap umzugehen, dem Karrierefrauen of color ausgesetzt sind. Als Frauen allgemein dürfen sie nicht zu aggressiv auftreten, angeblich um ‚likeable‘ (sympathisch) zu bleiben, in Wirklichkeit, um ihre Wettbewerbsfähigkeit zu schwächen. Als black woman of color – in den USA gilt die Tochter indischer und jamaikanischer Einwander*innen als Schwarz und Asian American – muss sie zudem den Topos der ‚angry black woman‘ vermeiden, um nicht als identitätspolitisch verbohrte race-Kriegerin zu gelten. Beide Fußangeln hat Harris durch ihr freundliches „I am speaking“ elegant umgangen und einerseits ihr Rederecht manifestiert und andererseits einen Raum beansprucht, der ermöglicht, ihr zuzuhören. Die Zuschauerinnen haben es ihr gedankt. Sie erreichte eine traumhafte Zustimmungsrate von 69% unter den Wählerinnen (nur 48% bei den Männern).

Eine gescheiterte Liebesgeschichte

Die Meinungsumfragen am Debattenabend haben nicht zwischen weißen Wählerinnen und Minderheiten-Wählerinnen unterschieden. Die hohe Zustimmungsrate spricht allerdings dafür, dass auch viele weiße Frauen sich den Gegenkandidat*innen zur Trump-Regierung angeschlossen haben. Das war zu Beginn der Ära Trump durchaus nicht so. 53% von ihnen haben Trump gewählt, obwohl sie eine weiße Frau hätten wählen können. Nur weiße Männer, 63%, waren begeisterter vom neuen Mann. Viele weiße Frauen hofften, Trump würde ihre (weißen) Männer stark machen und damit die eigene Position verbessern. Das besondere Verhältnis zwischen Trump und weißen Frauen begann mit einer vermittelten Liebesgeschichte, die den banal typischen Verlauf vieler Liebesgeschichten nahm. Erst verliebt man sich in den falschen Kerl, weil er so selbstbewusst ist, ja, und auch, weil die anderen Jungs Angst vor ihm haben. Dann wird er grob. Einige bleiben, er ist ja immer noch stark. Aber die meisten sehen zu, dass sie Land gewinnen.

Im starken Kontrast dazu standen women of color. Nur 4% der women of color teilten diesen Enthusiasmus. Sie gaben ihre Stimme Hillary Clinton zu 94%, mit einiger Reserve, weil deren Verständnis der Intersektionalität von Race und Gender äußerst dürftig war, sprach sie doch wiederholt von Schwarzen und Frauen, wobei sie Schwarze Frauen sprachlich zur Nichtexistenz verurteilte. Der Wahleinsatz der afroamerikanischen Frauen zahlte sich zunächst nicht aus, wurde aber im Laufe von Donald Trumps erster Amtszeit deutlich wirksamer. Mit 98% Gegenstimmen verhinderten sie 2017 in Alabama knapp die Wahl des Erzreaktionären Senators Roy Moore, der zu Pferde ins Wahllokal ritt und als Richter die Bibel über das Gesetz gestellt hatte und unter Verdacht des Missbrauchs mehrerer junger Mädchen stand. (Weiße Frauen fanden ihn immer noch zu 63% wählbar).

Lernprozesse im Kongress

Trumps Sexismus trieb im Weißen Haus weitere Blüten. Seine ehemalige Gegnerin Hillary Clinton bezeichnete er weiterhin als ‚Crooked Hillary‘ (betrügerische Hillary) und die demokratische Mehrheitsführerin im Kongress Nancy Pelosi als ‚Crazy Nancy‘. Dagegen bildete sich in der demokratischen Partei eine Graswurzelbewegung, junge Frauen aus diversen Milieus als Kandidatinnen zu nominieren. Eine davon war Alexandria Ocasio-Cortez, eine Hispanoamerikanerin, die 2019 als Außenseiterin und jüngste Abgeordnete in den Kongress einzog. In Reaktion auf die abwertende Beschimpfung durch den Abgeordneten Ted Yoho „you fucking bitch“ hielt sie 2020 eine legendäre Rede gegen Sexismus im Abgeordnetenhaus. Die Rede betraf weniger die Beleidigung des republikanischen Abgeordneten aus Florida, sondern seine halbherzige Entschuldigung. Er hatte sich darauf berufen, eine Ehefrau und eine Tochter zu haben und deshalb gar nicht imstande zu sein, Frauen respektlos zu behandeln. Ocasio-Cortez konterte, dass sie nicht ertrage, wenn Männer ihre Frauen und Kinder als Schutzschilde benutzen, um sich einen respektablen Anstrich zu geben und ihren Sexismus zu kaschieren. Die Rede wurde weltweit rezipiert und hatte Auswirkungen auf das politische Klima des Wahlkampfes.

Gender in der Trump-‚base‘

Inzwischen waren die Ungeheuerlichkeiten von Trumps Regierungsstil kaum mehr zu zählen: sein katastrophales Corona-Management, sein Versuch, mitten in der Pandemie Obamas ‚Affordable Care‘-Krankenversicherung abzuschaffen, das ununterbrochene Lügen, das nach Statistiken der Presse die Zahl von 20.000 überschritten hat, der Wille, eine Verfassungsrichterin zu installieren, die wahrscheinlich die freie Abtreibung verbieten wird, seine Weigerung Unterlagen zugänglich zu machen, die enthüllen, dass er praktisch keine Bundes-Steuern gezahlt hat und zuletzt sein unverantwortlicher Umgang mit der eigenen Covid 19-Infektion. In der Summe griff die Liste der Verfehlungen den ungeschriebenen Pakt weißer Frauen mit Trump an, insbesondere Frauen der Vorstädte wechselten erschöpft von Homeschooling und Homeoffice von Trump zu Biden. Eingefleischte weibliche Trump-Fans stoßen sich eher am Betragen des Präsidenten als an seiner Politik. Eine meinte nach der Debatte, dass sie eigentlich dem zustimme, was Trump zu sagen habe, aber nicht gemocht habe, wie er es sagt. In Arizona meldeten sich Mormoninnen zu Wort, sonst eher einer patriarchalischen Familienstruktur zugeneigt, und sagten, dass sie Trumps Auftritt abscheulich (abdominable) fanden.

Der neue Gender-Gap

In den neusten Umfragen öffnet sich ein Gender-Gap von Frauen, die dem Präsidenten ihre Stimme nicht mehr geben wollen. Im Juni 2020 waren es bereits 20%. Trump hat wohl die Grenze überschritten, auf der sich ein mächtiger, alle Familienmitglieder zu sich emporhebender Familienvater in einen gefährlichen Tyrannen verwandelt hatte. Einen machtlosen rumbrüllenden Patriarchen haben sie auch zu Hause. Der mit Covid angesteckte Präsident droht, seine Aura zu verlieren. Afroamerikanische, hispanische und weiße Frauen bilden nun einen Machtblock, den man wahrscheinlich nicht mehr zur Seite schieben kann. Sie könnten jene Kraft sein, die das absurde Theater einer inkompetenten und in Bezug auf Corona mörderischen Männerherrschaft beendet. Sie müssten dafür über die Brücke eines freundlicheren alten weißen Mannes wie Joe Biden gehen. Aber vielleicht führt das zu einer Regierung von Kamala Harris mit Alexandria Ocasio-Cortez als Stabschefin.

 

Gabriele Dietze forscht und lehrt zu Gender-, Media-, Cultural- und Migration-Studies an verschiedenen deutschen (darunter Humboldt) und amerikanischen Universitäten zuletzt im Dartmouth College, NH. Ihre Schwerpunkte sind: Sexismus, Rassismus, Rechtspopulismus und Cultural Wars in den USA. Sie ist assoziiertes Mitglied des ZtG.

Zuletzt erschienen: