Lehrende der Naturwissenschaften und Technik bringen mit unserem am ZtG entwickelten Portal Gendering MINT digital zunehmend Genderaspekte in ihre Studienfächer ein. Ihre Studierenden nutzen die frei zugänglichen digitalen Lernmaterialien (sogenannte Open Educational Resources, OER) für das Selbststudium und die gemeinsame Arbeit in Lehrveranstaltungen. Die Lehrenden betonen in Gesprächen mit uns jedoch, dass sie für den Einsatz des Portals weitere Unterstützung benötigen. Denn die Vermittlung von Gender in MINT erfordert fachliche und genderbezogene Doppelkompetenz und zudem spezifische didaktische Ansätze, um Studierende anzuregen und anzuleiten, die gesellschaftliche Einbindung von Wissensproduktion in den eigenen Fächern zu reflektieren. Lehrende berichten davon, wie wenig Studierende teilweise über Gender und intersektionale Einflüsse in ihren Disziplinen wissen. Der Umgang mit dem Portal motiviert die Studierenden sich damit auseinander zu setzen, löst aber auch Widerstände aus. Hier setzen wir in unserem weiterführenden Projekt Gendering MINT didaktisch-digital an, um Lehrende zur Inklusion von Gender in MINT weiter zu unterstützen. Gefördert wird das Projekt von 2023 bis 2026 von der Stiftung Innovation in der Hochschullehre.
Lehrunterstützung gemeinsam entwickeln
Unser gesamtes Projekt erfolgt in enger Zusammenarbeit mit Lehrenden, denn sie können konkret äußern, was sie zur Arbeit mit dem Portal benötigen. Besonders zielführend ist es dabei, Formate und Inhalte zur Lehrunterstützung mit ihnen gemeinsam zu entwickeln, zu erproben und ihr Feedback zur Weiterentwicklung aufzunehmen. Wir erarbeiten mit ihnen, welches Wissen zu genderbezogenen und intersektionalen MINT-Konzepten sie vertiefen wollen und stellen ihnen hierzu ausgewählte Ressourcen (Literatur, Videos, Podcasts) zur Verfügung. Planungshilfen und didaktische Hilfestellungen können sie nutzen, um ihre Unterrichtseinheiten zu konzeptionieren und zu strukturieren. Anleitungen, Materialien und Impulsfragen können sie einsetzen, um mit ihren Studierenden Themen aus dem Portal vertiefend zu bearbeiten. Mit Vorschlägen und Anleitungen zum Einsatz digitaler Werkzeuge für Gruppenarbeit und Diskussionen befördern wir den Austausch zwischen Studierenden und Lehrenden. Diese Lehrunterstützungen entwickeln wir als modulare Bausteine in Form von Open Educational Resources (OER). So können sich Lehrende selbst schulen und die Angebote variabel in ihren Lehreinheiten einsetzen.
Erfahrungen, Bedarfe und Ideen von Lehrenden
Die Zusammenarbeit mit den Lehrenden ist ein iterativer Prozess und lebt von einem kontinuierlichen Austausch. Zum Auftakt luden wir Lehrende aus Biologie, Informatik, Mathematik, Bildungswissenschaften, Gender und Queer Studies am 20. und 21. Oktober 2023 zu einem ersten Austausch-Workshop ein, um mit ihnen über bisherige Lehrerfahrungen mit dem Portal Gendering MINT digital zu sprechen. Es ging uns darum, ihre Bedarfe zu konkretisieren und weitere Ideen zu entwickeln.
Zunächst einmal war es für die Lehrenden wichtig, sich über die Gender-Relevanz im eigenen Fach zu verständigen. Die gemeinsame Reflektion der eigenen Anliegen in der Lehre verdeutlichte, dass Gender in MINT mehr ist als Wissensvermittlung. Es geht auch um die Reflexion der eigenen Haltung sowie um Einstellungen und Positionierungen – bei Studierenden und Lehrenden.
Eine gemeinsame Visualisierung zeigte vielfältige Wege auf, wie das Portal Gendering MINT digital bisher genutzt wurde. Einige Lehrende kombinierten einzelne OER-Kapitel zu Grundlagen und Fachthemen über Verlinkungen in ihren Kursen. Andere betteten gesamte Lerneinheiten über mehrere Sitzungen in die eigene Lehrveranstaltung ein. Alle Lehrenden betonten, wie wichtig das Portal als Referenzquelle zum eigenen Wissensaufbau und zur Reflexion für ihre Studierenden war. Aber auch sie selbst nutzten die OER-Inhalte zur inhaltlichen Rückversicherung. Die Lehrenden wünschten sich besonders modulare Lehrunterstützungen, die sie individuell und flexibel in der eigenen Lehre mit den OER-Inhalten verbinden können. Dazu wollen wir zukünftig Übersichten über die Vielzahl an OER-Inhalten und dazu passende Lehrunterstützungen mitentwickeln, so dass sich Lehrende leichter orientieren können.
Ausgehend von ihren Bedarfen diskutierten und erarbeiteten die Lehrenden konkrete Ideen für ihre Lehrveranstaltungen. Hierfür strukturierten sie mit Hilfe einer Vorlage nötige Inhalte, Planungshilfen, didaktische Konzepte und vielfältige Methoden zur Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung fachspezifischer Lehrszenarien. Dabei kristallisierten sich auch übergreifende Anforderungen an Lehrunterstützungen heraus. Ganz konkret ging es in vielen Einsatzszenarien um die Reflexion eigener Privilegien, von Vorurteilen und blinden Flecken. Ein weiterer Punkt war der Wunsch nach Unterstützung für Studierende, damit sie genderrelevante Aspekte in ihren Fachkontexten überhaupt problematisieren und eigene Erkenntnisse und Positionen argumentieren können. Nicht zuletzt spielte der Umgang mit schwierigen Situationen in Lehrveranstaltungen eine wichtige Rolle, zum Beispiel mit Widerständen gegenüber Genderthemen oder verletzenden Kommunikationsformen.
Für die Lehrenden bot der Austausch-Workshop, so ihr Feedback, Impulse für die eigene Lehre und weitere Vernetzung. Für uns lieferten die Ergebnisse inspirierende Ideen zur Entwicklung erster Lehrunterstützungspakete.
Ins Gespräch kommen und im Gespräch bleiben
Wir setzen unsere Arbeit mit den Workshop-Teilnehmenden fort, die unsere Lehrunterstützungen in ihren konkreten Lehrveranstaltungen anwenden. Wir suchen aber auch weitere Lehrende, mit denen wir uns austauschen, unsere Ideen erproben und weiterentwickeln können. Interessierte Lehrende kontaktieren uns gern unter ztggmint@hu-berlin.de.
Im Projekt Gendering MINT didaktisch-digital wollen wir über die Vernetzung hinaus, digitale Werkzeuge evaluieren und bereitstellen, mit denen sich unsere „Portal-Lehrenden“ direkt austauschen und gegenseitig Feedback geben können. Außerdem wollen wir Empfehlungen aus der Community zu weiteren Lehrinhalten und Lehrmethoden für Gender in MINT zugänglich machen. Wir nutzen dazu unsere Vernetzung mit den anderen Lehrportalen der Stiftung Innovation in der Hochschullehre. Unsere Lehrunterstützungsangebote sollen open access in der Präsenzlehre, hybrid oder digital nutzbar sein. Für den notwendigen Wissenstransfer zu hybriden und digitalen Lehr-/Lernszenarien arbeiten wir mit den Medienprojekten am ZtG zusammen.
Titelbild
Gender binär divers, Dominique Kleiner, Lizenz: CC BY-NC-SA 4.0
Sigrid Schmitz arbeitet seit mehr als 30 Jahren zu feministischen Science & Technology Studies und zu Genderforschung in MINT. Sie hat u.a. Lehrformate zur Wissensproduktion in MINT an verschiedenen Universitäten konzipiert und durchgeführt (Marburg, Freiburg, Graz, Berlin, Oldenburg, Wien, Linz). Als Hochschuldozentin an der Universität Freiburg leitete sie das Kompetenzforum „Gender in Informatik und Naturwissenschaften [gin], war Professorin für Gender Studies an der Universität Wien und an der HU Berlin. Am ZtG hat sie 2017-2020 das Portal „Gendering MINT digital“ (BMBF Verbundprojekt) entwickelt und leitet derzeit das Projekt Gendering MINT didaktisch-digital.
Judith Schütze arbeitet seit mehr als 10 Jahren in Bildungsprojekten an Hochschulen und Universitäten in Berlin. Sie entwickelt u.a. Bildungskonzepte für den digitalen Lehr- und Lernraum. Im Projekt Gendering MINT didaktisch-digital liegt ihr Schwerpunkt auf dem Austausch und der Vernetzung der Lehrenden, als Basis zur Entwicklung von Lehrunterstützungen. Als Promovendin der TU Berlin und HWR Berlin, erforscht sie partizipativ mit Studierenden Fachkultur und Fachkulturwandel im Informatikstudium.