Gegen Leerstellen: Widerstandsformen Schwarzer Frauen

„Schwarze Frauen waren radikale Denkerinnen, die sich unermüdlich andere Lebensweisen ausdachten und immer wieder neu überlegten, wie anders die Welt sein könnte.“ Saidiya Hartman

Unsere koloniale Geschichte ist zweifellos durch schmerzvolle Narrationen der Versklavung und Unterdrückung geprägt. In vorherrschenden Narrativen und Darstellungen werden Schwarze Körper oft auf ihre Gewalt- und Leiderfahrung reduziert. Dabei lassen sich jedoch Verzerrungen dieser Erfahrungen durch internalisierte Mythen und Stereotype erkennen (Hartman 2019). Diese vorherrschenden Darstellungen Schwarzen Lebens markieren erhebliche Leerstellen in der Geschichtsschreibung, insbesondere in der offiziellen historischen Aufzeichnung und akademischen Forschung, in denen meist eine weiße Täter:innenperspektive dominiert. Widerständige Kämpfe marginalisierter Gruppen werden oft übersehen oder gezielt in unserer kollektiven Erinnerungskultur marginalisiert.

Kontext und Ausgangspunkt unseres Projekts

Im Rahmen des von Britta Lange und Holger Brohms durchgeführten Praxisseminars Preußen und die Welt der Kolonialität im Masterstudiengang Kulturwissenschaft der HU Berlin setzten wir uns mit den kolonialen Leerstellen Schwarzen Widerstands auseinander. Hierbei haben wir uns u. a. mit verschiedenen Formen von Widerstands- und Selbstbehauptungspraktiken Schwarzer Frauen befasst und mit der Lektüre von Iris Därmann gängige Vorstellungen von Widerstand hinterfragt, indem wir einen erweiterten, flachen Widerstandsbegriff in den Blick genommen haben. Diese Auseinandersetzung brachte uns dazu, die vielschichtige Marginalisierung der Stimmen und Perspektiven Schwarzer Frauen in verschiedenen Kontexten zu betrachten. Das Seminar fand in Kooperation mit der Ausstellung Schlösser. Preußen. Kolonial. Biografien und Sammlungen im Fokus statt, die im Sommer 2023 im Schloss Charlottenburg zugänglich war.

Auch in dieser Ausstellung war für uns eine Darstellungsform auffällig, die Schwarze Körper vor allem im Zusammenhang mit der ihnen auferlegten Gewalt betrachtete und ihre vielfältigen Formen des Widerstands marginalisierte. Wie wir sehen werden, umfassen diese nicht nur offenen Kampf, sondern auch alltägliche, subtile und kreative Akte des Widerstands, die sich in kulturellen Ausdrucksformen, sozialen Praktiken und persönlichen Lebensentwürfen manifestieren können. Vor dem Hintergrund der Macht und Autorität dieser kulturellen Archive führte uns unsere Beobachtung zu folgenden Fragen: Welche Rolle spielen koloniale Archivbestände und Darstellungspraktiken in unserem Verständnis des Widerstands Schwarzer Körper? Welche Perspektiven werden (nicht) berücksichtigt? Wo beginnt Widerstand und in welchen Formen kann sich dieser artikulieren? Was lässt sich der unvollständigen Geschichtsschreibung und -verzerrung entgegensetzen?

Verführerisch, verärgert, matriarchalisch? – Stereotype Schwarzer Frauen im Verhältnis zu widerständigen Praktiken und Leerstellen im Diskurs

Im Folgenden fragen wir uns dementsprechend, wie Machtdynamiken und Narrative die Repräsentation Schwarzer Frauen in Geschichte und Gegenwart beeinflussen. Dabei betrachten wir kanonische Werke und Medien als kulturelle Archive. Diese sind für unsere Auseinandersetzung von Bedeutung, denn wie Stuart Hall (2018) darlegt, haben Medien nicht nur die Möglichkeit, Ideologien zu reproduzieren, sondern auch zu produzieren und zu verändern.

Neben Literaturklassikern wie Harriet Beecher Stowes Onkel Toms Hütte (1852), in welchem Schwarze Menschen hauptsächlich als unterwürfig dargestellt werden, lässt sich eine beständige Linie ähnlicher Narrative bis in die Gegenwart verfolgen. So folgt zum Beispiel Lars Kraumers Film Der vermessene Mensch (2023) dem Blick einer weißen Täter:innenperspektive und vernachlässigt Widerstandsbewegungen der OvaHerero und Nama, sodass diese hauptsächlich als passive Akteur:innen gezeigt werden. Das spiegelt ein wiederkehrendes Muster wider. Die Situation Schwarzer Menschen – sei es während der Sklaverei oder in der Gegenwart – wird oft verzerrt dargestellt.

Die Tendenz zur Marginalisierung und Verzerrung des Widerstands Schwarzer Menschen ist ein Muster, das sich durch die Geschichte zieht und unterschiedliche Gründe hat – im Kontext Schwarzer Frauen wirkt dies besonders tiefgreifend. Die Darstellung Schwarzer weiblicher Körper ist Teil eines komplexen Systems von rassistischen und sexistischen Stereotypen, die historisch dazu dienten, die Menschlichkeit Schwarzer Menschen zu negieren und koloniale sowie patriarchale Machtstrukturen zu stärken. Diese Stereotype sind tief in den soziokulturellen Narrativen verankert und wurden genutzt, um die Unterordnung Schwarzer Körper zu legitimieren und aufrechtzuerhalten (Hall 2018).

Diese Stereotypen suggerieren, dass Schwarze Frauen u.a. von Natur aus sexuell freizügig, dominante Matriarchinnen in ihren Familienstrukturen oder unterwürfige und loyale ‚Mammies‘ seien, die sich weißen Familien aufopfernd widmen. Zudem ist auch das Stereotyp der ‚Black Angry Woman‘ präsent, das Schwarze Frauen essentialistisch als aggressiv und konfrontativ konstruiert. Mit dieser Darstellung wird legitimer Widerstand von Schwarzen Frauen, der sich oftmals an der Schnittstelle von Race, Geschlecht und sozialer Klasse bewegt, entpolitisiert und oft als bloße Aggressivität oder fehlende Selbstkontrolle marginalisiert und abgewertet.

Neben solchen rassistischen Narrativen existiert auch die absurde Vorstellung, von Gewalt betroffene Menschen würden sich dieser widerstandslos fügen (Därmann 2021). Das wirkt nicht nur dehumanisierend, sondern legitimiert und stabilisiert die Fortsetzung von Gewalt und Unterdrückung. Zudem lässt sich immer wieder eine Kriminalisierung von Widerständen marginalisierter Gruppen entdecken, anstatt diese als legitimes Streben nach Selbstverteidigung und Freiheit anzuerkennen – hier zeigt sich somit, dass diese als Bedrohung für die bestehende Ordnung wahrgenommen werden (Hartman 2019). Vor diesem Hintergrund lässt sich mit Elsa Dorlin fragen, welche Körper haben das Recht, sich selbst zu verteidigen?

Die Diskussion um die Darstellung Schwarzer weiblicher Körper eröffnet auch die Perspektive auf die Kämpfe migrantischer Frauen, ein Aspekt, der von Encarnación Gutiérrez Rodríguez und Pinar Tuzcu im deutschen Kontext der letzten Jahrzehnte in dem von ihnen herausgegebenen Sammelband Migrantischer Feminismus beleuchtet wird. Angesichts der zuvor ausgeführten Verhältnisse, die Produkt kolonialer und rassistischer Kontinuitäten sind, drängt sich damit die Frage nach den Realitäten Schwarzer weiblicher Widerstände in der Gegenwart auf.

Nuancen des Widerstands: Verborgene Formen und ihre Relevanz

Neben der verzerrten Darstellung und Marginalisierung des Widerstands Schwarzer Frauen durch bestimmte Repräsentationsregime haben wir gängige Verständnisse von Widerstand infrage gestellt.

Widerständiges Verhalten bedeutet zunächst einmal, dass Menschen vorgegebene Normen oder Grenzen überschreiten. Sie tun das, um sich selbst oder andere zu schützen und um Kontrolle über ihr eigenes Leben (zurück) zu gewinnen. Als Akt der Selbstbehauptung kann das Auflehnen gegen unterdrückende Strukturen helfen, Gefühle der Ohnmacht und Machtlosigkeit zu überwinden.

In öffentlichen Diskussionen, Medien und akademischen Debatten wird Widerstand oft an seinem direkten revolutionären Erfolg gegenüber Machthabenden gemessen und in unserem kollektiven Gedächtnis mit explosiven Bildern verknüpft (Därmann 2021). Widerstand kann jedoch ganz unterschiedliche Formen annehmen. Dabei kann, so Därmann, der unscheinbarste und geringste Widerstand die Wirkung haben, die Absolutheit von Macht und Gewalt zumindest für einen Augenblick zu unterbrechen. Was bedeutet das für unsere Auseinandersetzungen?

Im Kontext der Gewalt können die Möglichkeiten, sich zu widersetzen, stark eingeschränkt sein und somit nur im Verborgenen und vermeintlich Unsichtbaren stattfinden. Zudem birgt offener Widerstand nicht selten das Risiko von Bestrafung oder weiterer Bedrohung. In solchen Situationen kann Widerstand subtile Formen annehmen – etwa im stillen Durchbrechen von Regeln oder in einer passiven Haltung. Dabei kann dies auch einen spontanen oder improvisierten Charakter annehmen, wie ein aufsässiger Gedanke oder eine Emotion, die sich gegen etwas oder jemanden richtet. Mit Därmann lässt sich erkennen, dass Widerstand vielfältige Formen annehmen kann und abhängig vom jeweiligen Gewaltkontext ist. Auch in den Praktiken der „Body Politics“ lassen sich widerständige Akte erkennen. Beispielsweise kann Widerstand seinen Ausdruck im Praktizieren freier Liebe finden, die sich gegen traditionelle Vorstellungen von Beziehungen richtet, oder im Tragen unkonventioneller Kleidung, die etablierte Geschlechternormen infrage stellt. Diese Praktiken materialisieren sich  im Körperlichen und stellen einen Kampf um intime Selbstbestimmung dar, der über die persönliche Autonomie hinausgeht und kollektiven Widerstand symbolisiert. So richtet sich jeder Akt der Selbstbehauptung gegen Gewaltstrukturen – das stärkt die kollektive Widerstandsfähigkeit.

Die in unserem Projekt fokussierten widerständigen Handlungen Schwarzer Frauen sind durch ihre Alltagspraktiken gekennzeichnet – wie das Tragen natürlicher, unbehandelter Haare als Ausdruck des Widerstands und Bekenntnis zum bewussten Schwarz-Sein, durch Tanz oder das Praktizieren der freien Liebe als Instrument des individuellen und kollektiven Widerstands.  Diese Akte sind nicht einfach als singuläre oder apolitische Handlungen zu deuten, sondern vor allem als widerständige Reaktionen auf systematische Unterdrückung. Damit können widerständige Momente von gängigen Vorstellungen dessen abweichen, was als ‚erfolgreicher‘ Widerstand anerkannt ist. Durch eine enge Definition von Widerstand, der sich nur am revolutionären Charakter orientiert, bleibt der Widerstand marginalisierter Gruppen einmal mehr unsichtbar (Därmann 2021).

Perspektiven für eine dekoloniale Gegenwart: Handlungsmacht und Solidarität

Die Blickwinkel und das Wissen unterdrückter Gruppen zu berücksichtigen, sind Voraussetzung dekolonialer Prozesse. Indem wir anerkennen, dass auch unsichtbare, leise, vereinzelte, spontane, alltägliche und passive Handlungen widerständiges Potential tragen, öffnen wir den Raum für ein erweitertes Verständnis von Handlungsmacht und Selbstwirksamkeit. Das verstehen wir als emphatische und solidarische Haltung, die es uns ermöglicht, vielfältige Praktiken sowie die Akteur:innen als aktive Widerstandskämpfer:innen und damit als handelnde Subjekte anzuerkennen und wertzuschätzen. Dies dient nicht nur als Gegennarrativ zur dehumanisierenden Darstellung Schwarzer Körper, sondern betrachtet unterschiedliche Kämpfe in einem größeren, strukturellen Zusammenhang. Dabei lassen sich Hierarchien und Herrschaft auf den Prüfstand stellen. Laut Iris Därmann kann durch diese Neubewertung des Widerstands die scheinbare Absolutheit von Gewalt aufgebrochen werden. Dies ermöglicht es, die damit verbundenen Narrative kritisch zu reflektieren und zu transformieren. Diese Herangehensweise, die die verschiedensten Dimensionen des Widerstands integriert und miteinander in Beziehung stellt, ist für eine gesellschaftliche Transformation unerlässlich. Das Eine ist auf das Andere angewiesen.

 

Alle Projekte des kulturwissenschaftlichen Seminars Preußen und die Welt der Kolonialität – eine Spurensuche im Berliner Schloss Charlottenburg, begleitet von Holger Brohm und Britta Lange, werden hier mit ihren Ergebnissen vorgestellt.

 

Literatur

Audre Lorde: The Uses of Anger: Women Responding ro Racism, New York, 1981.

Iris Därmann: Widerstände. Gewaltenteilung in statu nascendi, Berlin 2021.

Elsa Dorlin: Selbstverteidigung. Eine Philosophie der Gewalt, Berlin 2020.

Frantz Fanon: Die Verdammten dieser Erde, Frankfurt am Main 2021[1961].

Stuart Hall: Ideologie, Identität, Repräsentation. Ausgewählte Schriften 4, Hamburg 2018.

Saidiya Hartman: Aufsässige Leben, schöne Experimente. Von rebellischen schwarzen Mädchen, schwierigen Frauen und radikalen Queers, Berlin 2022.

Saidiya Hartman: Diese bittere Erde (ist womöglich nicht, was sie scheint), Berlin 2022.

Encarnación Gutiérrez Rodríguez / Pinar Tuzcu (Hg.): Migrantischer Feminismus in der Frauen:bewegung in Deutschland (1985-2000), Münster 2021.

 

Sharon Anthony studiert Kulturwissenschaft im Master an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt vor allem den Themen sozialer Ungleichheit, Gender- und Körperpolitiken aus (post-)kolonialer feministischer Perspektive, Intersektionalität und Black Studies. Zudem arbeitet sie als studentische Hilfskraft am ZtG.

Luisa Stühlmeyer studiert Kulturwissenschaft im Master an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihr wissenschaftliches Interesse gilt den Themen Widerstand, Klassenverhältnisse und Rechtsextremismus. Dabei ist ihr eine Verortung theoretischer Inhalte in gegenwärtige politische Verhältnisse wichtig.

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