Screenshot aus dem digitalen Seminarraum des Seminars „Feminist Political Ecology and Ecofeminism: Food and Care“

#AusDemDigitalenSeminarraum: Lehren und lernen auf Distanz?

Durch die Corona Pandemie sind die Themen Care, Sorge und Fürsorge zumindest zeitweise ins Zentrum des öffentlichen Interesses gerückt. Die Care-Krise ist sicht- und spürbarer geworden, Grenzen zwischen produktiver und reproduktiver Arbeit verschwammen und plötzlich wurden Pflegeberufe als „systemrelevant“ und die öffentliche Daseins- und Gesundheitsvorsorge als systematisch unterfinanziert erkannt. Auch die Umweltkrise wurde plötzlich greifbar, wurde doch der Ausbruch des Virus auf das krisenhafte Mensch-Natur-Verhältnis und die Eingriffe des Menschen in Naturräume zurückgeführt.

Auch in unserer Lehre im Rahmen des Seminars „Feminist Political Ecology and Ecofeminism: Food and Care“ ist die Auseinandersetzung mit sozio-ökologischer Verantwortungs- und Sorgearbeit und die Frage, wer diese leistet und unter welchen Bedingungen, zentral. Als Lehrende waren wir in diesem Semester mit der Frage konfrontiert, wie können wir, in einem uns – und den Studierenden – völlig neuen Lehrformat, dafür Verantwortung und Sorge tragen, dass sich alle mitgenommen fühlen? Dass genügend Raum für Kennenlernen und Austausch gegeben ist? Dass Flexibilität besteht, zum Beispiel in der Erbringung der Prüfungsleistungen, um die sehr unterschiedlichen persönlichen Umstände zu berücksichtigen?

Um dies zu gewährleisten, sind wir unterschiedliche Wege gegangen. Es war für uns essenziell auf gewohnte Plattformen zurückzugreifen, also Moodle verstärkt als eine Material- und Diskussionsplattform zu nutzen, verknüpft mit der noch unbekannten Plattform Zoom, worüber wöchentlich von uns geleitete Sitzungen stattfanden. Bereits bei der Vorstellungsrunde zu Beginn des Seminars zeigte sich, dass sich die Teilnehmer*innen aus der ganzen Welt zuschalten. Viele, die in den Semesterferien ihre Familien besuchten, konnten wegen des Lockdowns nicht nach Berlin zurückkehren. Durch die digitale Vernetzung fand unser Seminar plötzlich in Küchen, Wohn- und Arbeitszimmern, Gärten oder Internetcafés in Australien, Bangladesch, Belgien, Frankreich, Georgien und Ungarn statt. Zeitumstellung oder unzureichende Internetverbindung erschwerten die Teilnahme zuweilen. Nichtsdestotrotz blieb die Zahl der Teilnehmenden bis zum Ende des Semesters konstant.

Auf Referate als Prüfungsleistung haben wir bewusst verzichtet, um die Studierenden zu entlasten. Stattdessen haben wir uns für Offline-Leistungen in Form von Textkommentaren entschieden, die zeitunabhängig erbracht werden konnten. Für diese stellten wir Leitfragen zur Textanalyse zur Verfügung. Zu zwei Sitzungen baten wir die Studierenden vertiefende Kommentare hochzuladen, in welchen sie eine (Forschungs-)Frage formulieren und bearbeiten sollten. Auch wenn diese Aufgabe als arbeitsintensiv wahrgenommen wurde, bewerteten die meisten Teilnehmer*innen sie jedoch als gewinnbringend, stellte sie doch eine gute Übung für das Schreiben der Hausarbeit dar. Wir gaben dazu ein Feedback, welches auf weiterführende Literatur verwies, aufgeworfene Fragen beantwortete oder das Thema in einen größeren Wissenschaftskontext einbettete. Für die Sitzungen selbst haben wir Inputs und Diskussionsmaterial vorbereitet und in Breakout Rooms sowie im Plenum Fragen zu Ökofeminismus, Feministischer Politischer Ökologie, Ernährungspolitiken oder Umweltaktivismus diskutiert.

Eine Feedbackrunde in der Mitte des Semesters hat gezeigt, dass die Umsetzung teils on- und teils offline als positiv bewertet wurde. Studierende berichteten zum Beispiel, dass sie die Kommentare ihrer Kommiliton*innen regelmäßig lesen und dies als Inspiration empfinden, sowohl inhaltlich, aber auch dahingehend, wie ein wissenschaftlicher Text verfasst, strukturiert und aufgebaut sein kann. Auch in den Diskussionsrunden sei über das Semester hinweg ein guter und offener Austausch entstanden – auch wenn das ‚Hinübertragen‘ der Inhalte aus den Breakout Sessions ins Plenum manchmal mühsam erschien. Das Feedback der Teilnehmer*innen auf unsere Lehrveranstaltung war insgesamt äußerst positiv. Das Seminar habe ihren Horizont ungeheuer erweitert, meinte eine Student*in, die radikale Kapitalismuskritik des Ökofeminismus wurde von vielen als unbekannt und gleichzeitig als befreiend und richtungsweisend gelesen, und eine Teilnehmer*in schrieb uns in einer Email: „First of all, I have to say that this is my favourite online course by far.“

Was nehmen wir aus diesem Semester als Lehrende mit? Die Übersetzung eines als physisch geplanten Seminars ins Online-Format war anspruchsvoll, da die Vorbereitungszeit der Lehre um einiges höher lag als normalerweise. Absprachen, die sonst mit Studierenden im Seminarraum getroffen werden konnten, verlagerten sich in vermehrte Anfragen per Mail, was zu einer Arbeitsverdichtung im Digitalen beitrug. Jedoch haben das konstante Interesse und die Neugier der Studierenden am Seminarthema und die engagiert verfassten Kommentare die Lehrveranstaltung zu einer positiven Erfahrung werden lassen. Grundsätzlich wurde jedoch in der Seminarauswertung die Notwendigkeit betont, dass Lehr/Lernprozesse in der persönlichen Interaktion in konkreten Orten und zu verlässlichen Zeiten stattfinden und so auch wesentlich lustvoller und kreativer gestaltet werden können.

 

Das Format #AusDemDigitalenSeminarraum bietet die Gelegenheit, Lehr- und Studienerfahrungen in den Gender Studiengängen an der Humboldt-Universität zu Berlin zu reflektieren und darüber zu berichten. Die Gender Studies an der HU bieten seit mehr als zwanzig Jahren transdisziplinäre, intersektionale und wissenskritische Lehre an. Daraus erwachsen sind gefestigte Netzwerke und vielfältiges Erfahrungswissen, von denen die Gestaltung der Lehrveranstaltungen in jedem Semester profitiert. Zugleich bleiben Lehr- und Lernprozesse lebendig, sie stellen sich aktuellen Herausforderungen – wie im laufenden Semester der Umstellung auf digitale Lehre  – und fordern neue Gestaltungsweisen, sie entdecken innovative Themen und vielfältige Zugänge und sind oftmals gekennzeichnet vom herausragenden Engagement aller Beteiligten. Wer sich für die Lehre in den Gender Studies interessiert, wird hier Anregungen finden.

 

Prof. Dr. Christine Bauhardt leitet das FG Gender und Globalisierung an der HU Berlin. Sie ist promovierte Politikwissenschaftlerin und habilitierte in Räumlicher Planung. Ihre Forschungsschwerpunkte sind Ökofeminismus/Queer Ecologies, feministische Ökonomiekritik, globale Umweltpolitik sowie sozial-ökologische Alternativen zum Kapitalismus. In der Lehre vertieft sie auch klassenanalytische Perspektiven sowie qualitative empirische Sozialforschung. Ihre neueste Buchpublikation: Christine Bauhardt/Wendy Harcourt (eds.)(2019): Feminist Political Ecology and the Economics of Care. In Search of Economic Alternatives (Routledge Studies in Ecological Economics). London: Routledge

Mail: christine.bauhardt@gender.hu-berlin.de

Dr. Meike Brückner studierte Soziologie an der Friedrich-Schiller-Universität Jena und ist seit 2014 als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Gender und Globalisierung der HU Berlin tätig. Ihre Dissertation erschien im Juli 2020 als Buch unter dem Titel „Biodiversity in the Kitchen. Cooking and Caring for African Indigenous Vegetables in Kenya: A Feminist Approach to Food Sovereignty“ beim oekom Verlag. Darüber hinaus lehrt und forscht sie zu den Themen Feministische Politische Ökologie, Alternative Ernährungsökonomien und partizipativen Forschungsansätzen.

Mail: meike.brueckner@hu-berlin.de