Graphisches Protokoll (erstellt von An. aus der AG Lehre) zu einem Input von Studierenden für den Austausch zur digitalen Lehre auf der Lehrkonferenz im SoS 2020

#AusDemDigitalenSeminarraum: „Zu Anfang des Semesters habe ich eine ‚Funkstille‘ befürchtet“

Die Umstellung auf digitale Lehre – das war für viele ein Aufbruch ins Unbekannte, den Lehrende und Studierende im SoS 2020 gemeinsam wagen mussten. Wie aber ist es gelungen, die Vielfalt der Themen und Formate, der Pflichten und Interessen mit den neuen Techniken und Umständen zu verbinden? Welche Lösungsmöglichkeiten, aber auch Herausforderungen oder Kompromisse gab es in der Lehre und beim Studium? Welche Auswirkungen hatte dies auf die Konzeption und Didaktik der Lehrveranstaltung, auf die Gestaltung und Mitwirkung an der Interaktion und auf das vermittelte Selbstverständnis der Gender Studies? Wie haben sich der Arbeitsaufwand und die Beteiligungsweisen für alle Beteiligten entwickelt? Welche Techniken unterstützten die Vermeidung und Bearbeitung struktureller Ausschlüsse oder verschärften diese? Diese Fragen haben wir den Lehrenden in den Gender Studies gestellt und gebeten, darüber für das Format #AusDemDigitalenSeminarraum zu berichten.

In diesem ersten Beitrag kommen Lehrbeauftragte zu Wort. Sie haben ihre Erfahrungen und Reflexionen zum digitalen Sommersemester nach den Aspekten Vorbereitung, Überraschung und Empfehlung strukturiert.

«Männerbund» goes diverse? – Männlichkeit und Rassismus in Bundeswehr und Polizei, Ray Trautwein und Fiona Schmidt

Das Seminar «Männerbund» goes diverse? – Männlichkeit und Rassismus in Bundeswehr und Polizei war eingangs als Präsenzveranstaltung (Blockseminars) geplant. An zwei Wochenenden sollten zuerst theoretische und begriffliche Grundlagen erarbeitet, diese dann anhand empirischer Beispiele diskutiert werden. Pandemiebedingt musste die gesamte Lehre jedoch digital durchgeführt werden. So mussten wir unseren ursprünglichen Plan komplett umstellen, das Seminar in ein wöchentliches Format überführen. Anfangs arbeiteten wir asynchron, d.h., alle seminarbezogene Kommunikation fand zeitversetzt auf der Moodle-Lernplattform statt. Jede Woche gab es eine sogenannte Postergruppe, die das Sitzungsthema in Form eines Posters aufbereitet hat. Dieses wurde von anderen Studierenden schriftlich kommentiert. Die Leistungen fügen wir am Ende des Semesters zusammen, sodass quasi ein umfangreiches Protokoll (ein zusätzlicher Reader), an dem sich alle beteiligen konnten, entsteht.

Anfangs hatten wir Bedenken, ob die Gruppenarbeit bezüglich der Poster funktionieren würde, wurden hier aber sehr positiv überrascht. Bei der Zwischenevaluation wurde mehrfach der Wunsch geäußert, mehr synchrone Elemente in das Seminar einzubauen. Daher haben wir die zweite Hälfte des Seminars durch Zoom-Sitzungen ergänzt. Gerade diese Erweiterung hat dem Seminar nochmal neuen Aufschwung gegeben, die Diskussionen vertieft.

Die Kombination aus mündlicher (synchroner) und schriftlicher (asynchroner) Beteiligung hat es ermöglicht, unterschiedliche Arbeitsweisen einzubeziehen, dadurch eine größere Beteiligung zu erreichen. Insbesondere die Zoom-Sitzungen haben sich bewährt: Zwar konnten sie nicht alles abfedern, was durch die Umstellung auf digitale Formate an sozialer Interaktion im Seminar verloren geht, aber sie eröffneten den Studierenden einen Raum des direkten Austausches, z.B. in Breakout-Sessions (= digitale Gruppenarbeit bei Zoom), und der aufeinander bezogenen Diskussion.

Trans* (Self)representations in Art, Activism and Popular Culture, Lukas Kofoed Reimann

Im Seminar Trans* (Self)representations in Art, Activism and Popular Culture hatte ich geplant, dass die Studierenden ein Forschungstagebuch als Grundlage für gemeinsamen Austausch und individuelle Reflexion führen sollten. Als klar wurde, dass das Seminar auf digitale Lehre umgestellt werden muss, habe ich diese Idee erweitert und das Forschungstagebuch als primären Raum für Reflexion, Dokumentation und Austausch festgelegt. Um sicherzustellen, dass dieses Format zugänglich und produktiv für die Studierenden ist, habe ich eine ausführliche Einleitung geschrieben und für jede Woche Aufgaben und Fragen hochgeladen. Besonders wichtig in den ersten Wochen war die Reflexion der eigenen Position und Forschungsinteressen bezüglich des Themas. Diese Selbstreflexion macht das Forschungstagebuch besonders als didaktische Methode interessant und sollte dazu beitragen, dass die Studierenden ihre eigenen Interessen stärker verfolgen können als in einem typischen Seminar.

Es hat mich überrascht, dass alle Studierenden sich fast ohne Zögern im Tagebuchformat engagiert haben und nicht das Bedürfnis hatten, die Texte auch zu besprechen. Sie haben schon in der ersten Woche lange und persönliche Texte geschrieben und nur wenige haben sich zu den extra Zoom-Meetings, die ich angeboten habe, angemeldet.

Ein Grund, warum Zoom-Meetings nicht beliebter waren, ist das gegenseitige Feedback unter den Studierenden. Da die Vorbereitung und Aufgabenstellung zum Forschungstagebuch viel Zeit eingenommen hat in der Vorbereitung, habe ich gemerkt, dass es nicht möglich war, den einzelnen Studierenden kontinuierlich Feedback zu geben. Deswegen haben sich die Studierenden jede Woche gegenseitig Feedback gegeben. Ich habe dafür Regeln vorgegeben, die diese Aufgabe erleichtern und sicherstellen sollte, dass alle produktives Feedback bekommen. Dies hat meinen Arbeitsaufwand während des Semesters reduziert und die Studierenden haben (laut eigener Aussage) gelernt, sich kritisch und konstruktiv miteinander zu verhalten. Ich empfehle es daher sehr, solche Strukturen in ein digitales Seminar einzubauen.

Gender postsozialistisch / postkolonial, Vanya Solovey

Das Seminar Gender postsozialistisch / postkolonial lief asynchron. Das zentrale Kommunikationsmittel war das Forum, wo wir Texte in wöchentlichen Threads diskutiert haben. Bei der Vorbereitung war für mich daher besonders wichtig, eine klare, übersichtliche Struktur im Moodle-Kurs zu erstellen, damit die Studierenden sich gut orientieren konnten. Um etwas Abwechslung in die Formate zu bringen, habe ich dann wöchentlich kleine Einführungsvideos aufgenommen. Diese Videos fanden die Studierenden nett, hilfreicher waren für sie jedoch die ausführlichen Kommentare, die ich wöchentlich zum Abschluss der Diskussion im Forum geschrieben habe.

Dieses Seminar ist meine allererste Lehrerfahrung an der Uni, deswegen war sehr viel für mich unerwartet. Eine besonders schöne Überraschung war das Interesse und die Qualität der studentischen Beteiligung. Mit viel Motivation sind die Studierenden auf die angebotenen Fragen eingegangen und haben trotz der teilweise schwierigen Inhalte und unbekannten Kontexte durchdachte, tiefgreifende Analysen präsentiert.

Trotz des Engagements der Studierenden und der wunderbaren kollegialen Unterstützung hat mich das Seminar sehr viel Kraft und Zeit gekostet, und jetzt zum Semesterende bin ich total erschöpft. Das zentrale Problem sehe ich dabei nicht im Lehrprozess selbst, sondern darin, dass ich die Lehre mit Lohnarbeit und meiner Promotionsforschung vereinbaren musste. Statt einer Empfehlung möchte ich deswegen eine Forderung und einen Aufruf formulieren: die Lehre muss besser bezahlt werden. Lasst uns gemeinsam für unsere Arbeitsrechte, für faire Entgelte und Arbeitsbedingungen kämpfen!

Gegen_stände: Designgeschichte intersektional, Lea Horvat

Im Seminar Gegen_stände: Designgeschichte intersektional sollte es ursprünglich um empirische Untersuchungen gehen, die nah am Objekt sind. Durch die Umstellung auf die digitalen Formate mussten wir grundlegend anders vorgehen: Es war nicht vertretbar, einen näheren Kontakt zu den Gegenständen (etwa in den Geschäften) von den Studierenden zu erwarten. So hat sich eine andere Vorgehensweise etabliert — wir haben uns mehr mit Online-Handel und der Werbung für die Produkte auseinandergesetzt und so stand statt der Materialität die Verpackung im Vordergrund.

Am Anfang des Semesters habe ich eine „Funkstille“ befürchtet, allerdings wurde ich im Laufe des Semesters sehr positiv überrascht. Es tat gut, sich über Unsicherheiten auszutauschen und am Anfang anzuerkennen, dass das Format sowohl für Studierende als auch für Lehrende ungewohnt ist. Die Studierenden haben den Austausch aktiv gesucht, meldeten sich per Mail und ich habe mich im Semester unerwartet wertgeschätzt gefühlt.

Im Seminar hat sich eine zweispurige Arbeitsweise bewährt: Eine Mischung aus synchronen (Zoom-Diskussionen) und asynchronen Formaten (Diskussionen im Pad).

Die Teilnehmenden haben sich bereit erklärt, unsere Diskussionen für den internen Gebrauch aufzunehmen, sodass sie von nicht-Anwesenden im Nachhinein angeschaut werden konnten. Mir ist sehr wichtig, die Lehre möglichst inklusiv, niedrigschwellig, mit unterschiedlichen eingebauten Optionen zu gestalten, die möglichst viele verschiedene Lebensumstände berücksichtigen. Manche Studierende bevorzugen den mündlichen Austausch, manche können aus unterschiedlichsten Gründen nicht live dabei sein. Querverweise (Pad-Zoom) haben sich mit der Zeit eingespielt und ich erhoffe mir, dass ein Teil der digitalen Formate auch in analoge Semester zum Abbau von Ausschlüssen weitergetragen wird.

 

Das Format #AusDemDigitalenSeminarraum bietet die Gelegenheit, Lehr- und Studienerfahrungen in den Gender Studiengängen an der Humboldt-Universität zu Berlin zu reflektieren und darüber zu berichten. Die Gender Studies an der HU bieten seit mehr als zwanzig Jahren transdisziplinäre, intersektionale und wissenskritische Lehre an. Daraus erwachsen sind gefestigte Netzwerke und vielfältiges Erfahrungswissen, von denen die Gestaltung der Lehrveranstaltungen in jedem Semester profitiert. Zugleich bleiben Lehr- und Lernprozesse lebendig, sie stellen sich aktuellen Herausforderungen – wie im laufenden Semester der Umstellung auf digitale Lehre  – und fordern neue Gestaltungsweisen, sie entdecken innovative Themen und vielfältige Zugänge und sind oftmals gekennzeichnet vom herausragenden Engagement aller Beteiligten. Wer sich für die Lehre in den Gender Studies interessiert, wird hier Anregungen finden.

 

Lea Horvat studierte Kunstgeschichte und Komparatistik in Zagreb, Belgrad und Berlin. Sie promoviert an der Universität Hamburg zur Kulturgeschichte der Massenwohnbauten in Jugoslawien, gefördert durch die Studienstiftung des deutschen Volkes. Ihr nächster Artikel „Housing Yugoslav Self-Management: Blok 5 in Titograd“ erscheint im Journal Histories of Postwar Architecture (07/2020). Forschungsinteressen: Kultur- und Alltagsgeschichte im (Post-)Sozialismus mit Schwerpunkt Wohnen, feministische Architektur- und Designgeschichte, Populärkultur (Kochbücher, Haushaltsratgeber).

Lukas Kofoed Reimann hat Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin studiert. Während seines Studiums hat er ein Q-Tutorium zum Thema Schreiben als intersektionale Methode betreut – ein Thema, welches ihn im Laufe des Studiums immer interessiert hat. Derzeit wird er durch das Humboldt Research Track Scholarship gefördert und bereitet eine Dissertation mit einem Schwerpunkt in Trans* Studies vor.

Fiona Schmidt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie hat Politikwissenschaften und Gender Studies an der FU Berlin, der HU Berlin und an der Universidade Nova in Lissabon studiert. Derzeit forscht sie an der Schnittstelle von Gender Studies, Rassismusforschung und Rechtssoziologie und promoviert zu Institutionellem Rassismus in polizeilichen Ermittlungen.

Vanya Solovey studierte Linguistik in Moskau, ist aktuell Doktorand* am ZtG und forscht zu zeitgenössischen feministischen Bewegungen in Russland. Seine Interessen sind neben feministischer Bewegungsforschung Intersektionalität, post- und dekoloniale sowie kritische postsozialistische Studien. Er ist Mitgründer* des Post Post Studies Network, eines DIY-Kolloquiums für Nachwuchswissenschaftler*innen, die kritische Forschung zu postsozialistischen Kontexten betreiben. Neben seinen akademischen Aktivitäten arbeitet er als Übersetzer*. E-Mail: vania.solovei@hu-berlin.de

Ray Trautwein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Organisations- und Verwaltungssoziologie der Universität Potsdam. Dort arbeitet er in einem Teilprojekt der DFG-Forschungsgruppe „Recht – Geschlecht – Kollektivität“ und promoviert zu Outing und Transition in Organisationen wie Bundeswehr und Polizei. Davor hat er Soziologie und Gender Studies an der Universität Konstanz und der HU Berlin studiert. Ray Trautwein ist zudem Drag- und Performancekünstler und engagiert sich ehrenamtlich im Landesverband AndersARTiG e.V. in Potsdam.