Gender und Macht in der Klimakrise

Der Klimawandel mit seinen extremen Auswirkungen auf Menschen und Umwelt wie Hitzewellen und Dürren, Überschwemmungen, Eis- und Gletscherschmelzen sind in allen Weltregionen zu erleben. Klima-Aktivismus ist die politische Mobilisierung der Stunde, Fridays for Future, Scientists for Future, Omas for Future – die Zukunft des Planeten steht für viele Menschen auf dem Spiel. Und die cool dudes, die coolen Kerle, die Klimaleugner finden alle möglichen Gründe für die Klimakrise, nur nicht die menschliche Spezies.

Internationale Konferenz zu gesellschaftlichen Naturverhältnissen und globaler Umweltkrise aus Genderperspektiven

Vom 4. bis 6. Mai 2023 findet am ZtG die internationale Konferenz Nature-Society Relations and the Global Environmental Crisis. Thinking on Climate Change and Sustainability from the Fields of Intersectional Theory and Transdisciplinary Gender Studies statt. Die Tagung widmet sich dem Thema Klimakrise aus einer geschlechterpolitischen, dekolonialen und intersektionalen Perspektive. Während der lokale Klima-Aktivismus überall auf der Welt weibliche Gesichter zeigt, verhandeln bei den globalen Klimagipfeln männliche Eliten. Natur und Umwelt – und wie Industriegesellschaften mit ihnen umgehen – werden geprägt von anthropo- und androzentrischen Logiken. Als männlich und westlich identifizierte Werte und Normen wie die Kontrolle und Beherrschung der Natur bestimmen nach wie vor technokratische Problemdefinitionen und Lösungsvorschläge. Dagegen werden vor Gerichten Klimaklagen geführt, für die Natur werden eigenständige Rechte eingefordert, der Subjektstatus der Natur wird dem Subjektstatus des Menschen gegenübergestellt. Damit geraten historische Hierarchien ins Wanken, die mit der symbolischen und materiellen Geschlechterhierarchie eng verwoben sind.

Durch die Kritik feministischer und postkolonialer Wissenschaftstheorie an universalistischen Formen der Wissensproduktion wird deutlich, dass pluralistische Erkenntnisformen bisher nicht angemessen in erkenntnistheoretische, ontologische oder politische Konzeptionen des Klimawandels integriert wurden. Auch Wissenschaftler*innen, die am neuesten Bericht des Weltklimarates beteiligt waren, kritisieren, dass der IPCC-Bericht zu stark einer mathematisch-naturwissenschaftlichen Logik folgt und die Stimmen indigener Gruppen und lokaler Gemeinschaften darin viel zu wenig zu hören sind. Sogar einige Naturwissenschaftler*innen kommen inzwischen zu dem Schluss, dass Forschung zum Klimawandel nicht wertneutral ist. Werturteile können aber nur in einem politischen Prozess entwickelt werden, und solange mächtige Interessen diesen Prozess dominieren, wird die Klimakrise voranschreiten.

Transdisziplinäre Zugänge – globale Perspektiven und lokale Erfahrungen

Unsere Tagung kommt also genau zum richtigen Zeitpunkt. In der Konferenzvorbereitung wurden Diskussionen verschiedener Einrichtungen und Forschungszusammenhänge der HU (Geografie, Lebenswissenschaften, Rechtswissenschaft) erstmalig in dieser Form am ZtG zusammengeführt. Wir konnten über fünfzig Wissenschaftler*innen aus allen Teilen der Welt gewinnen, an die HU Berlin zu kommen und hier ihre Forschungen zum Klimawandel und in einem umfassenderen Sinne zu den gesellschaftlichen Naturverhältnissen aus einer transdisziplinären Genderperspektive vorzustellen. Der Schwerpunkt der Forscher*innen liegt bei einer dezentrierenden Sicht, bei der bislang dominante andro- und anthropozentrische Diskurse durch globale Perspektiven und lokale Erfahrungen herausgefordert werden.

Dekoloniale, rassismuskritische und gerechtigkeitsorientierte Zugänge

Den Auftakt der Tagung macht die renommierte Dekanin der Yale School of the Environment, Prof. Dorceta E. Taylor, mit Ergebnissen ihrer Forschung zur Partizipation in Umweltorganisationen aus einer gender- und race-kritischen Perspektive. Wir freuen uns sehr, dass wir mit Prof. Taylor eine prominente Wissenschaftlerin mit dem Forschungsschwerpunkt Environmental Racism für die Konferenz gewinnen konnten. Ihr Beitrag wird gefolgt vom Referat von Prof. Sherilyn MacGregor von der Universität von Manchester, deren Arbeiten zum Themenfeld Gender and Environment nicht nur in Europa grundlegend sind. An diesen Beitrag anschließend wird die Wasser- und Genderexpertin Prof. Farhana Sultana von der Syracuse University über die dekoloniale Praxis von Feminist*innen in der Klimapolitik sprechen. Prof. Seema Arora-Jonsson von der schwedischen Agraruniversität entwickelt in ihrem Vortrag ein klares Statement für die Notwendigkeit feministischer und dekolonialer Interventionen in die globale Klimapolitik.

Juristische Interventionen und Umweltaktivismus

Vom Plenumsvortrag von Prof. Sumudu Atapattu, Rechtswissenschaftlerin an der University Wisconsin-Madison, dürfen wir einen Einblick in die juristische Debatte um Menschenrechte und Umweltgerechtigkeit für vulnerable Gruppen aus einer intersektionalen Genderperspektive erwarten. Karen Bell von der University of Glasgow wird über die sozial gerechte Umwelttransformation und den Beitrag der Umweltbewegungen der Arbeiterklasse sprechen.

Zusätzlich zu den Plenumsvorträgen werden diese Themen in drei parallellaufenden Key-Inputs aufgegriffen. Karen Morrow von der Universität Swansea gibt einen Einstieg zu Erfahrungen aus internationalen gerichtlichen Klimaverhandlungen im Themenfeld Gender und Umwelt, Barbara Holland-Cunz von der Universität Gießen rekapituliert die vergangenen dreißig Jahre Klimapolitik als verloren gegangene Zeit zum klimapolitischen Umsteuern, Martin Hultman von der Chalmers University of Technology fragt nach Chancen ökologischer Maskulinitäten und der Debatte um die Rechtsstatus der Natur, um die vollständige Umweltzerstörung noch zu verhindern.

Die Vielfalt der Themen wird insbesondere auch in dreizehn Panels  vertieft. Wasser- und Ernährungspolitiken stehen hier ebenso auf dem Programm wie die Analyse von Widerständen gegen eine wirklich tiefgreifende Klima- und Umweltpolitik. Neben kritischen Betrachtungen der Wissensproduktion in der Klimaforschung ermöglichen verschiedene Narrative über die Klimakrise einen diskurstheoretischen Zugang zum Thema.

Wissenschaftlich-künstlerische und aktivistische Interventionen

Eine abendliche lecture performance wird die akademischen Beiträge ergänzen. Bei einer Podiumsdiskussion mit Aktivist*innen, die sich in Initiativen und Projekten für mehr Klimagerechtigkeit engagieren, werden wir von Erfahrungen in unterschiedlichen Altersgruppen und Aktionsformen lernen können.

Abschließend werden Referent*innen und Teilnehmer*innen gemeinsam zur Floating University auf dem Tempelhofer Feld umziehen, um dort einen ungewöhnlichen Field/Feeled Workshop mit der Kulturtheoretikerin Prof. Astrida Neimanis von der University of British Columbia zu erleben. Nach einer Abschlussdiskussion findet dort dann die Abschlussparty statt, auf die wir uns jetzt schon freuen.

Im Anschluss an die Konferenz sollen die zentralen Ergebnisse der Konferenz in einem Sammelband im Routledge Verlag dokumentiert werden.

 

Das Tagungsprogramm sowie Abstracts zu allen Beiträgen sind auf der Tagungswebsite zu finden.

 

Literatur

Bauhardt, Christine (2022): Queer Ecologies, in: Handbuch Politische Ökologie. Theorien, Konflikte, Begriffe, Methoden (Hg. von Hackfort, Gottschlich, Schmitt, von Winterfeld). Transcript, 427-432.

IPPC/ Intergovernmental Panel on Climate Change (2023): Climate Change 2023 – Synthesis Report https://www.ipcc.ch/report/ar6/syr/ (Zugriff am 23.03.2023)

Jasper, Sandra (2022): Spekulative Ökologien, in: ARCH+ Zeitschrift für Architektur und Urbanismus 247, 108-113.

McCright, Aaron M./Dunlap, Riley E. (2011): Cool dudes: The denial of climate change among conservative white males in the United States, in: Global Environmental Change 21 (4), 1163-1172.

 

Christine Bauhardt ist Professorin an der Lebenswissenschaftlichen Fakultät und leitet das Fachgebiet Gender und Globalisierung. Sie ist promovierte Politikwissenschaftlerin und habilitierte Raum- und Umweltplanerin. Forschungsschwerpunkte: Globale Umweltpolitiken, Ökofeminismus, feministische Ökonomiekritik, Queer Ecologies. Demnächst erscheint ihr Artikel zum Thema im „Handbuch Politik und Geschlecht – Politiken der Geschlechter“: Politikwissenschaftliche Geschlechterforschung zu Natur und Umwelt. Feministische Politische Ökologie, Ressourcenpolitik und Queer Ecologies (Vlg. Barbara Budrich)

Sandra Jasper ist Juniorprofessorin für Geographie der Geschlechterverhältnisse in Mensch-Umwelt-Systemen am Geographischen Institut. Sie erwarb ihren PhD 2015 am University College London nach dem Studium der Geografie und der Gender Studies an der HU. Ihre Postdoc-Forschung „Rethinking Urban Nature“ realisierte sie an der University of Cambridge, UK. Forschungsschwerpunkte: Urbane Mensch-Natur-Verhältnisse, Brachland, akustische und posthumane Geographien. Sie ist Co-Autorin und Produzentin des mehrfach ausgezeichneten Dokumentarfilms „Natura Urbana: The Brachen of Berlin“.

Privacy Preference Center