Exzellenzträume der Wissenschaft – Ein Tagungsbericht 

Ein Bündel Krisen und Veränderungen (u.a. Bologna-Prozess, „Pisa-Schock“,  Shanghai-Ranking) führte Anfang der 2000er Jahre zu einer umfassenden Reform des deutschen Hochschulsystems, die sich auch in der 2005/06 von Bund und Ländern getragenen Exzellenzinitiative realisierte. Diese nationale Kompensationsstrategie in Reaktion auf Momente narzisstischer Kränkung (J. B. Köhne) sollte dazu verhelfen, das angeknackste Selbstbild eines Landes der ‚Dichter und Denker‘ zu flicken und Deutschlands internationale Wettbewerbsfähigkeit im Ringen um die bildungsökonomische Weltspitze zu steigern. Imaginierten der Exzellenz anhängende Akteure deutscher Hochschulbildung ihren Platz bereits am Tisch der Harvards, Oxfords und Stanfords, so stellten sich Erfolg und Sichtbarkeit trotz vielfältiger Förderlinien bis heute nicht befriedigend ein – auch nicht hinsichtlich Geschlechtergleichstellung und Chancengleichheit.

Welche Funktion erfüllt das Label „Exzellenz“ also in einem neoliberalen Kontext? Diese und weitere Fragen wurden auf der Tagung „Exzellenzträume der Wissenschaft. Explorationen kritischer Exzellenzforschung“ von Wissenschaftler*innen und Studierenden verschiedener Disziplinen verhandelt. Konzipiert und organisiert von Julia B. Köhne, veranstaltet vom Institut für Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin, fand die von der VolkswagenStiftung geförderte Tagung am 28./29. Januar 2022 via Zoom statt. Aktuell bezieht die Berlin University Alliance als Exzellenzverbund Fördergelder für sieben Exzellenzcluster, womit die Tagung auch eine kritische Selbstbefragung darstellte. Bei genauerer Betrachtung der jüngsten Exzellenzstrategie  (2019) ist auffällig, dass sich an den Berliner Universitäten wie auch bundesweit eine überwiegende Anzahl der eingeworbenen Cluster dem MINT -Bereich zuordnen lässt. Dieser ist auf Leitungsebene nach wie vor meist männlich repräsentiert. Grundsätzlich lässt sich feststellen, dass der Professorinnenanteil im Vergleich zu männlichen Professoren an deutschen Hochschulen laut Gemeinsamer Wissenschaftskonferenz 2019 bei 25,6% lag, bei ungleicher Teilhabe an höheren Besoldungsgruppen (Pressemitteilung vom 26.10.21).

Zukunftsimaginationen der Nation

Während der Humboldtsche Bildungsmythos in Zeiten bürgerlicher Aufklärung noch gleiche Bildung für alle postulierte – die Gleichheit beschränkte sich jedoch auf Männer mit höherem Bildungsabschluss –, so erlebte der männlich codierte Geniebegriff Anfang des 20. Jahrhunderts eine Konjunktur. Auf nationale Aufwertung zielend, strebte dieser eine Programmatik von schöpferischer Originalität, Innovation und Kultursteigerung an. Und auch Leistungen auserkorener (Hoch-)Begabter sollten als Ressource für den nationalen Fortschritt verwertbar gemacht werden. In einer historischen Rückschau manifestiert sich ab dem frühen 20. Jahrhundert eine intervallförmige Wiederkehr von Leistungswettbewerben als Krisenreflex, wie die Historikerin Reinhild Kreis in ihrem Vortrag anhand der Geschichte von Jugendwettbewerben im deutschsprachigen Raum ausführte. Empfundene Gesellschaftskrisen und Abstiegsängste können Kreis zufolge als ‚Nährboden‘ für nationale Begabtenförderung ausgemacht werden. Wettbewerblichen Programmatiken folgend galten Jugendliche laut Kreis als ‚Humankapital‘; sie sollten im Auftrag der Nation angezapft und als Verantwortungstragende zur Lösung gesellschaftsübergreifender Herausforderungen instrumentalisiert werden. Während hier das nationale Prestige und individuelle Selbstverwirklichung im Vordergrund standen, rückten normative Kategorien wie Geschlecht und soziale Herkunft im Sinne einer reinen Zwecklogik in den Hintergrund. So wurden nach 1945 aufgrund der Kriegsverluste verstärkt auch Mädchen als künftige Teilnehmende an Wettbewerben adressiert.

Unter dem Eindruck einer als übermächtig wahrgenommenen US-amerikanischen ökonomischen Agilität wurde die angebliche Mittelmäßigkeit der westdeutschen Nachkriegsgesellschaft zunehmend als Last empfunden. Diese ‚Erstarrung‘ sollte schließlich Ende der 1990er Jahre mit der Tinktur von Exzellenz kuriert werden. Ziel war es, das Land mithilfe von geförderten und sich selbst optimierenden exzellenten Forschenden und Universitäten zu einem durchschlagenden Akteur auf dem internationalen Parkett zu machen.

„Denn wer da hat, dem wird gegeben.“ (Matthäus 25,29)

Die Denkfigur einer durch kompetitive Wettbewerbspraktiken hergestellten, innovativen und gewinnbringenden Zukunft griff auch der Soziologe Tobias Peter auf. Durch die Beschwörung einer vielversprechenden Zukunft im Rahmen der Exzellenzreform werde „Exzellenz“ bereits im Vorfeld prämiert, ohne dass sich ein sicherer Gewinn pauschal erzielen ließe. Das wettbewerbliche Paradigma der Chancengleichheit fungiere dabei als Instrument, um fundamentale Ungleichheiten zwischen den Antragstellenden zu kaschieren und diese im selben Zuge durch die Förderung zu zementieren. Auf eine Mobilisierung von Nachwuchspotentialen unter der Maske gleicher Startmöglichkeiten folge eine vertikale Differenzierung von Leistung auf individueller und institutioneller Ebene. Hierdurch sollen die Messbarkeit von Leistungsfähigkeit legitimiert und Exzellenzansprüche plausibilisiert werden. Indem die Exzellenzinitiativen und -strategie eine freie Marktdynamik simulieren, erzeugten sie zugleich davon gezeichnete materielle Lebensrealitäten, so Peter.

Auch der Soziologe Richard Münch problematisierte in seinem Vortrag eine Reihe von Illusionen, die konstituierend für die symbolische und faktische Wirkmacht der Exzellenzfigur seien: Markt, Messbarkeit und Motivation. Münch diagnostizierte einen ungleichen Verteilungseffekt, der zu einer Verstetigung von Kapitalakkumulation führe – den ‚Matthäus-Effekt‘. Der „akademische Kapitalismus“ münde in den Augen einiger in einen akademischen Kannibalismus um die ‚klügsten Köpfe‘, um ein geflügeltes Wort der Exzellenzrhetorik zu zitieren.

Der Elitesoziologe Michael Hartmann prognostizierte ein weiteres unaufhaltsames Auseinanderdriften geförderter und nicht-geförderter Universitäten und Forschender innerhalb des deutschen Wissenschaftssystems. Die symbolische Ebene der Exzellenzierung sei überall spürbar – zum Beispiel in objektiv anmutenden Hochschulrankings, in medial inszenierten Imagekampagnen und in hochstilisierten Rhetoriken. Welche reale Wirkkraft die Exzellenzsymbolik entfalten kann, exemplifizierte Rosalind Hampton in ihrem Vortrag über die Frage der Instrumentalisierung von ‚Black Excellence‘ im kanadischen Universitätskontext.

Neoliberales Diversitätsmanagement als Fassade

Global präsentieren sich Universitäten öffentlichkeitswirksam und innerhalb der eigenen Institution als vorurteilsfreie Räume, so Hampton. Einen Wahrheits- und Neutralitätsanspruch erhebend verdeckten ihre Politiken diskriminierende und rassifizierende Ausschlüsse und könnten diese im gleichen Zuge folgenreich fortschreiben. Eingangs entwarf die Assistenzprofessorin der Black Studies – mit Blick auf deren Gründungsgeschichten – kanadische Universitäten als koloniale weiße und kulturhistorisch männlich dominierte Sphären, die bis in die Gegenwart BIPoC  vielfach ausschließen. Hampton versteht soziale Ungleichheit als konstituierendes Element für kapitalistische westliche Systeme und begreift ihre Professur als Möglichkeit, um „in the belly of the beast“ die bestehenden universitären Strukturen zu illuminieren und postmodernes, häufig nur nach Außen gerichtetes Diversitätsmanagement zu dekonstruieren. Damit richtet sie den Blick eher auf systemische Mechanismen der Macht denn auf individuelle Akteure.

Das oberflächliche Schmücken mit und permanente Verweisen auf Diversität fungiere als Marketing- und Managementinstrument, welches tiefgehende strukturelle Fragen nach Hierarchien, Verteilung, Zugängen und Repräsentation überspiele. Termini wie „Inclusive Excellence“ und „Black Excellence“, akademische Diversitätspraktiken, die sich Lebensrealitäten und Erfahrungen marginalisierter Studierender und Lehrender zu eigen machen, würden dabei als Qualitätsmerkmale der Universitäten ausgestellt. Sie fließen laut Hampton jedoch lediglich punktuell, in Momenten der Imageaufwertung und Inszenierung als kritischer Denkort, in den Wissenschaftskanon ein. Hier offenbare sich eine Ambivalenz: Streifen diese Repräsentationstechniken einerseits die Symptome der Ungleichheit, so verhindern sie andererseits progressive Reformen und befördern schlussendlich exkludierende Hochschulpolitiken. Einer ähnlichen Logik folgen auch geschlechterbezogene Gleichstellungskonzepte im Personalmanagement von Hochschulen, wobei die Ziele Diversität und Gleichstellung oftmals gegeneinander ausgespielt werden.

Trotz der vorgebrachten kritischen Befunde ermutigte Hampton marginalisierte Menschen, sich nicht von den Hürden des nach Exzellenz strebenden Hochschulsystems abschrecken zu lassen, sondern die wenigen neuen Zugänge zu nutzen. Indem sie ihr gelebtes Verhältnis zu politischem Aktivismus darlegte – letzteren von ihrer akademischen Arbeit trennend –, veranlasste sie das Tagungspublikum zu diesen Fragen: Inwiefern lassen sich die nicht selten als dichotom markierten Bereiche miteinander verbinden? Welche Schnittstellen zwischen der universitären Institution und einem Leben außerhalb der akademischen Blase können nutzbar gemacht werden? Wie lassen sich intersektional verwobene Allianzen zwischen unterschiedlichen Lebensbereichen bilden? Und: Wie kann hier ein quer verlaufender, durchlässiger Wissenstransfer gelingen?

Ausblick

So schillernd sie auch sein mögen, gegenwärtige Exzellenzrhetoriken können nicht über die konkreten (finanziellen) Problematiken des deutschen Hochschulsystems und prekäre Arbeitsbedingungen für Nachwuchswissenschaftler*innen (#IchBinHanna)  hinwegtäuschen. So schwebte stets eine Frage über den Vorträgen, die in der Abschlussdiskussion aufgegriffen wurde: Wohin wird das Exzellenzversprechen deutsche Wissenschaft künftig führen, scheint es doch, als verharre die Hochschulpolitik in der Exzellenzillusion, die von Superlativen, Rivalität, Ideen ökonomischer Verwertbarkeit und vergeschlechtlichten Hierarchien bestimmt ist? Trotz einiger negativ ausfallender Prognosen schuf die Tagung in Diskussionen zwischen Studierenden und Forschenden letztlich einen lebendigen Raum für gemeinsame Gegenentwürfe zu Exzellenz.

Nach beinahe zwanzig Jahren multipler Exzellenzförderprogramme ist es an der Zeit, die als notwendig gebilligten Negativeffekte des Leistungsdrucks und der planerischen Unsicherheit in der Wissenschaft zu durchkreuzen, Ambivalenzen aufzuspüren und in den Dissens zu gehen. Es bedarf einer fundamental durchque(e)renden Systemkritik, die intersektionale Wissensproduktionen und Dekonstruktionen ermöglicht. Eine Hochschule, die sich unabhängig von der Exzellenzfrage entwirft, kann als offener, gemeinsam gestalteter, sozial-umsichtiger und Ideologien hinterfragender Denkraum verstanden werden. Ein solches selbstreflexives Neudenken trägt zu leidenschaftlichem Forschen bei und erfordert Zeit, Kreativität sowie jede Menge individuellen und kollektiven Mut.

 

Rosanna Dorn studiert im Master Kulturwissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie arbeitet als Tutorin und als studentische Hilfskraft im Forschungsprojekt „Träume der Wissenschaft von Exzellenz. Rhetoriken und Politiken der Aufwertung, 1900 | 2000“.

Clara Erbes studiert im Master Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie arbeitet als studentische wissenschaftliche Mitarbeiterin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW).

Olga Kotliuba studiert im Kombibachelor Kulturwissenschaft sowie Kunst- und Bildgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin.

Dominik Mörmann studiert im Master Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er forscht in seiner Abschlussarbeit zu kritischer Männlichkeit.