Eine aktivistische (Selbst-)Kritik der Gender Studies

Die Notwendigkeit der Gender Studies

Die Geschlechterstudien bzw. Gender Studies stellen einen an Universitäten unerlässlichen Studiengang dar. Soziale Normen und Kategorisierungen, die unser Leben prägen und oftmals für Ungerechtigkeiten sorgen, sind menschengemacht, was bedeutet, dass Menschen sie auch wieder ändern können. An dieser Stelle setzen die Gender Studies an, denn die Beschäftigung mit Kategorien wie Geschlecht, Sexualität oder Reproduktion eröffnet in den verschiedensten Disziplinen neue Möglichkeiten: Ob in der Medizin, der Rechtswissenschaft oder der Politik, eine durch die Gender Studies bereicherte Theoriearbeit ermöglicht präzisere Forschungen und daraus resultierend Ansätze für ein besseres Leben für uns alle. Die Notwendigkeit der Existenz der Gender Studies ist also unbestreitbar (wenngleich reaktionäre Kräfte von konservativ bis zur extremen Rechten dies anders beurteilen).

Lücken in den Gender Studies

Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Gender Studies nicht auch kritisch zu betrachten sind. Kritisch bedeutet in diesem Fall, darauf zu schauen, in welchen Fällen die Gender Studies noch Lücken aufweisen. Der Begriff Lücken ist an dieser Stelle nicht nur im Hinblick auf Forschungen zu verstehen: Auch in universitären Veranstaltungen sowie der institutionellen Organisation der Gender Studies mangelt es immer wieder an einer selbstkritischen Auseinandersetzung mit Machtstrukturen. Im Folgenden wird der Versuch unternommen, eine (Selbst-)Kritik der Gender Studies aus einer aktivistischen Perspektive heraus zu formulieren. Dafür findet ein kurzer geschichtlicher Abriss sowie ein Ausflug in bereits formulierte Kritiken statt, um anschließend konkrete Forderungen an die Gender Studies zu stellen.

Geschichte der Gender Studies

Um sich mit Lücken der Gender Studies zu beschäftigen, ist es sinnvoll, einen Blick auf die Geschichte der Gender Studies zu werfen. Ähnlich wie verwandte Studienfächer, zum Beispiel die Queer Studies oder die Trans Studies, sind die Gender Studies erst seit relativ kurzer Zeit an Universitäten verankert. Ihr Ursprung liegt im Aktivismus, in politischen Bewegungen, im Falle der Gender Studies insbesondere in der sog. zweiten Frauenbewegung. In den 1960er/70er Jahren trat diese für die Rechte von (weißen, heterosexuellen dya-cis) Frauen ein und fokussierte Themen wie sexuelle Selbstbestimmung und unbezahlte Reproduktionsarbeit von Frauen. Seitdem hat sich einiges geändert.  Eine intersektionale Erweiterung, für die etwa Schwarze Frauen, Lesben und trans Personen eingetreten sind, ist dabei eindeutig zu begrüßen. Allerdings haben die Gender Studies sich ebenfalls von ihrem aktivistischen Teil entfremdet.

Gender Studies heute

Wer im Bereich der Gender Studies studiert, forscht oder lehrt, tut dies nicht in einem luftleeren Raum. Universitäre Räume sind ebenso wie alle anderen gesellschaftlichen Bereiche von Machtverhältnissen, die Personen unterschiedlich treffen, durchzogen. Über solche Machtverhältnisse im Allgemeinen wird häufig in den Gender Studies diskutiert. Bedeutend seltener wird der Umstand, wie diese Machtverhältnisse in den Gender Studies verankert sind, diskutiert. Dabei ist sich bewusst zu machen, dass die Wahrscheinlichkeit, dass Personen, die negativ von bestimmten Machtverhältnissen betroffen sind, mit im Raum sitzen, während solche Diskussionen laufen. Was für manche spannend und abstrakt ist, ist für andere Alltag. Ein sensibler Umgang mit diesem Umstand ist notwendig, um eine Diskussion auf Augenhöhe zu ermöglichen – und häufig nicht gegeben.

Zum Umgang mit Machtverhältnissen

Durch ihre Akademisierung behandeln die Gender Studies Machtverhältnissen geschuldete Missstände oft nur noch auf einer theoretischen Ebene und es wird sich immer mehr vom Konkreten im Alltag entfremdet. Dies sorgt u.a. für den zuvor genannten fehlenden sensiblen Umgang mit Machtverhältnissen in universitären Kontexten und reicht dabei von Seminaren für Studierende bis in die Forschung. Ein sensibler Umgang sollte in diesem Fall nicht nur beinhalten, dass Personen sich der Machtverhältnisse bewusst sind, sondern auch aktiv am Abbau eben dieser Machtverhältnisse arbeiten – sowohl auf Seite von Studierenden als auch Dozierenden.

Ein methodischer Vorschlag

Ruth Pearce erklärt im Kontext ihrer Arbeit zur Gesundheit von trans Personen und der von Depression und Suizid überschatteter Arbeit von trans Personen im universitären Bereich: „[…] as part of the fight for trans liberation and equality within academia, we need methodological approaches to research – incorporating rationales, methods, and ethics – which take problems such as the high prevalence of suicide within trans communities into account“ (Pearce 2020: 808). In Anlehnung an Patricia Hill Collins Arbeit zum Dasein als „outsider within“ im universitären Kontext fordert Pearce, dass die spezifischen Probleme von trans Personen an der Universität Aufmerksamkeit erfahren und die Methodik in der Forschung dahingehend erweitert wird. Die vorgeschlagene Methodik beinhaltet zwei wichtige Momente:

„[…]  ethical responsibility towards the self, and a supportive community of scholarship. These are intended to support the survival of scholars who are themselves marginalised, especially if they are also studying marginalised communities; for if the researcher cannot survive the research process, then something has gone horribly wrong with the methodological design of their study“ (ebd.: 809).

Solidarisch aktive Gemeinschaft an der Uni

Von besonderem Interesse für diesen Text ist an diesem Punkt „a supportive community of scholarship.“ Nicht nur Machtverhältnisse wie Rassismus oder Transfeindlichkeit erschweren das Studium der Gender Studies, auch die fortschreitende Neoliberalisierung des universitären Betriebs und dessen hierarchische Organisierung sorgen für einen Anstieg von Depression und anderen mentalen Problemen bei Studierenden und Angestellten. Dem könnte eine solidarisch aktive Gemeinschaft entgegentreten. Die Betonung liegt hier gleichermaßen auf solidarisch wie auf aktiv, denn das Schreiben von Texten wie diesen hier kann nur bedingt gegen Machtverhältnisse vorgehen.

Darüber hinaus braucht es von allen Seiten Organisierung: Eine Organisierung der Studierenden, der Angestellten und der Lehrenden. Das Ziel dabei soll nicht der Klassenaufstieg einiger weniger Personen sein, sondern allen im Bereich der Gender Studies ein möglichst selbstbestimmtes Lernen ermöglichen. Damit können die Gender Studies ihren Beitrag hin zum Abbau von Machtverhältnissen und hin zu einer befreiten Gesellschaft stellen. Wie die dafür notwendige Organisierung im Konkreten aussieht, ist an anderer Stelle zu überlegen.

Noch ist nicht alles gesagt

Wir/ich hoffe/n, dass dieser Text als Anregung allen Lesenden, egal ob studierend oder lehrend, dienen kann, ihre eigene Stellung in den Gender Studies zu hinterfragen und sich zusammenzutun. Wie die Existenz der Aktion #4genderstudies zeigt, ist es bitter nötig, dass wir gemeinsam gegen reaktionäre Kräfte und für ein besseres Leben für alle eintreten.  In diesem Sinne: bringt Theorien aus der Universität und Kämpfe auf der Straße zusammen, wir sehen uns an beiden Orten!

 

Literatur

Collins, PH (1986): Learning from the outsider within: The sociological significance of Black feminist thought. Social Problems 33(6): S14–S32.

Pearce, Ruth (2020): A Methodology for the Marginalised: Surviving Oppression and Traumatic Fieldwork in the Neoliberal Academy. Sociology 54 (4): S. 806-824.

 

Der Text wurde von Ronja Arndt für die Fachschaftsinitiative Gender Studies verfasst und bietet eine Perspektive der studentischen Selbstorganisierung in den Gender Studies im Rahmen der Initiative #4genderstudies. Die FSI ist unter der E-Mail-Adresse fachschaftsini.genderstudies[ät]googlemail.com zu erreichen.

 

Das Format #4GenderStudies ist Teil der Aktion des ZtG für den gleichnamigen Wissenschaftstag. Am 18. Dezember 2021 sowie in der Vorwoche präsentieren die Gender Studies aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zum fünften Mal ihre aktuelle Forschung.