Wie viel Selbst-Ermächtigung steckt für queere Menschen in der sportiven Formung des eigenen Körpers? Welche Ambivalenzen und paradoxen Normativitäten sind mit der Idee eines nicht-normativen Empowerment durch Sport verbunden? Diesen und anderen Fragen gehe ich in meiner Dissertationsschrift „Auspowern und Empowern? Eine Ethnografie queerer Fitnesskultur“ empirisch nach.
Gesellschaftliche Unterdrückung und Abwertung äußert und manifestiert sich nicht zuletzt im Körper-Selbst-Verhältnis marginalisierter und diskriminierter Subjekte, seien es Frauen (Young 1993), rassifizierte (Young 2000) oder behinderte Menschen (Goodley 2011). Sport bietet hier Möglichkeiten zu einem neuen, ermächtigenden Körpererleben, aber auch zu Erfahrungen von Abwertung und Frustration im und über den eigenen Körper und die Reifizierung hegemonialer sexistischer, rassistischer oder ableistischer Zuschreibungen.
Empowerment durch Sport
In den 1980er Jahren entwickelte sich in Deutschland im Zuge der Zweiten Frauenbewegung eine Feministische Sport- und Bewegungskultur (Scheffel/Thies 1988). Hier ging es darum, die ermächtigenden Potentiale des Sports, die nicht zuletzt in einem verbesserten Körper-Selbst-Verhältnis liegen, für Frauen nutzbar zu machen. Ohne eine Einteilung in „Sportliche“ und „Unsportliche“ (Gröver 1993: 40), frei von „männlichen Denk- und Handlungsmustern und der an sie gebundenen Wertschätzung und Anerkennung“ (Bischoff/Schmidt 1988: 59) sollte hier eine Form des Sports kultiviert werden, die Freude an der Bewegung in den Fokus stellt und eine spielerische Gemeinschaftlichkeit anstelle von Vergleichs- und Konkurrenzgedanken setzt. Daraus erwachsen ist die heutige queere und queerfeministische Sportkultur, die in meiner Studie im empirischen Fokus stand. Mit einem Grounded-Theory-Ansatz wurden queere Fitnessgruppen teilnehmend beobachtet und ihre Teilnehmenden interviewt. Im Zentrum standen Fragen nach den Potentialen, Grenzen und Widersprüchen des Selbst-Empowerment durch Fitness-Sport und der praktischen Gestaltung einer selbsterklärt nicht-normativen Fitnesspraxis.
Der fitte Körper als Glücksversprechen
Als theoretische Grundlage dient ein subjektivierungs- und emotionstheoretischer Zugang. Mit dem Instrumentarium Sara Ahmeds wird der fitte Körper als happy object konzipiert. Damit hängt ihm eine promise of happiness an, ein Versprechen auf ein glückliches Leben, wenn er ‚gehabt‘ wird (Ahmed 2010). Körper- und Schönheitsnormen werden als Gefühlsnormen (Hochschild 2006) verstanden, normative Vorgaben also, für welche Körper Stolz und für welche Scham empfunden werden sollte, welche Körper begehrenswert und welche abstoßend seien, welche Körper ein glückliches Leben repräsentieren, und welche ein unglückliches.
Feministische und queere Sportkultur möchte dem etwas entgegensetzen und betreibt damit stets nicht nur Körperarbeit – also Arbeit am eigenen Körper, daran diesen fitter und muskulöser zu machen – sondern auch und vor allem Gefühlsarbeit (Hochschild 2006) – Arbeit am eigenen Körpergefühl, daran Freude und Stolz in diesem zu empfinden. Dabei entstehen diverse Widersprüche und Spannungen.
Antinormative Normativität?
Denn trotz eines proklamierten „Riots not Diets“-Ansatzes, findet sich auch in dieser subkulturellen Sport-Szene ein Glücksversprechen, welches an den hegemonial fitten Körper geknüpft wird. Zwar wird das Streben nach Gewichtsverlust grundsätzlich offen von allen Teilnehmenden abgelehnt, gleichzeitig finden sich in den Interviews immer wieder geständnisartige Passagen, in denen deutlich wird, dass das Befreunden mit dem eigenen Körperfett oft leichter gesagt als getan ist und mitunter doch auch ‚heimlich‘ Abnehmwünsche verfolgt werden.
Anders verhält es sich mit dem Körperziel des Muskelaufbaus, welches sehr offen von den meisten Teilnehmenden verfolgt wird und grundsätzlich keiner Tabuisierung unterliegt. Zum einen steht ein muskulöser Körper für trans Männer im Feld für eine Versicherung ihrer männlichen Identität sowohl als Verkörperung nach außen als auch als ‚innere‘ Selbstversicherung. Das sportive Formen eines muskulösen Körpers ist damit einerseits eine Form der Selbstermächtigung, andererseits aber auch eine Unterwerfung unter normative Vorstellungen davon, wie Männlichkeit verkörpert wird. Ebenso fungiert eine sichtbare Muskulatur für weiblich gelesene Teilnehmende als Verkörperung einer emanzipierten, feministischen Weiblichkeit, die sich vom ‚Mainstream‘ abgrenzt, in der keine Frau „eine einzige Liegestütz“ könne.
Hier zeigt sich die immanente eigene Normativität, die dem Anspruch innewohnt, nicht-Mainstream zu sein. Das Paradox der Antinormativität liegt schließlich darin, selbst immer auch normativ zu sein. Zudem ist fraglich, ob angesichts von populär werdenden Slogans wie „Strong is the new skinny“, muskulöse Frauen, die unermüdlich Liegestütze machen, nicht schon längst auch Teil des Mainstream sind.
Darüber hinaus stellt sich die im Feld virulente Betonung von Spaß an der Bewegung als einzig legitimer Motivation zum Sport in Abgrenzung zu bewusster und gezielter Arbeit am eigenen Körper – pointiert in der Unterscheidung von Spaß- und Disziplinsmuskeln einer interviewten Person – als eigene Gefühlsnorm heraus.
Disabled killjoys
Auch zeigt das empirische Material dieser Studie, dass das Erleben eines spaßigen Empowerments durch Sport nicht zuletzt auch von körperlicher Befähigung abhängt, welche grundsätzlich ungleich verteilt ist. Nicht nur, dass manchen Liegestütze leichter fallen oder manche Körper schneller sichtbare Muskulatur aufbauen als andere, auch bestimmen Faktoren wie chronische Krankheit und Behinderung das potentielle Glückserleben beim oder durch den Sport.
So taucht im Feld eine Figur auf, die in Anlehnung an Sara Ahmeds feminist killjoy (Ahmed 2010), als disabled killjoy konzipiert wird. Ahmed entwickelt in ihrer Arbeit die Figuren des affect aliens und feminist killjoys, derjenigen also, die „are affected in the wrong way by the right things“ und die „affect others in the wrong way […] their failure to be happy is read as sabotaging the happiness of others.“ (Ahmed 2010: 66f.) So zeigt sich im Feld auch trotz gegensätzlicher Selbstansprüche eine gewisse Unfähigkeit über verschiedene körperliche Befähigungen und daraus resultierendes Erleben zu sprechen. Das führt dazu, dass dasselbe Training, welches für manche Teilnehmenden die Möglichkeit ist, in einem geschützten Raum Zuschreibungen von Geschlecht oder aufgrund ihres Körpergewichts zu überwinden, anderen „nochmal gezeigt hat, wie behindert ich eigentlich bin“ (Interviewzitat).
Queering Fitness – Fitting Queerness?
Damit zeigt diese Arbeit konkret empirisch und in solidarisch kritischer Weise die Potentiale aber auch Grenzen eines Empowerment durch Sport in explizit darauf ausgerichteten Sporträumen.
Die Partizipation an queerer Fitnesskultur bedeutet nicht nur ein Queeren von Fitness, sondern auch ein Einpassen – ein ‚Fitting in‘ – in bestimmte Konzepte von Queerness, ebenso wie ein Einpassen queerer Subkultur selbst in hegemoniale Konzepte von körperlicher Selbstbestimmung, persönlicher Autonomie und des fitten Körpers als happy object.
Die Erkenntnisse der Arbeit sind jedoch nicht auf das spezifische subkulturelle Milieu beschränkt, welches konkret untersucht wurde. Vielmehr dient die Fokussierung auf dieses spezielle Milieu als Lupe auf verbreitete aktuelle Subjektformen und -kulturen westlicher (post)moderner Gesellschaften und deren Körper-Selbst-Verhältnisse.
Ausführlich:
Schmechel, Corinna (2022): Auspowern und Empowern? Eine Ethnografie queerer Fitnesskultur. Bielefeld: Transcript (KörperKulturen). 330 Seiten
ISBN: 978-3-8394-6085-6
Literatur:
Ahmed, Sara (2010): The Promise of Happiness. Durham, London: Duke University Press.
Bischoff, Susanne; Schmidt, Doris (1988): Von der patriarchalen Last zur feministischen Lust. Selbstverständnis, Ziele, Inhalte und Wege von Frauensportpraxis und -theorie. In: Mechtild Buschmann und Ellen Becker (Hg.): Frauen in Bewegung. Der feministische Blick auf Sporttheorie, Sportpraxis und Sportpolitik; Dokumentation des ersten feministischen Seminars in Bielefeld, 1987. Feldhaus-Verlag/Edition Czwalina, S. 58-73.
Goodley, Dan (2011): Social psychoanalytic disability studies. In: Disability & Society 26 (6), S. 715-728. DOI: 10.1080/09687599.2011.602863.
Gröver, Brigitte (1993): Es begann am Tapeziertisch. Elf Jahre LesbenFrauenSport im persönlichen Rückblick. In: Susanne Bischoff (Hg.): …Auf Bäume klettern ist politisch. Texte aus der feministischen Bewegungs- und Sportkultur. Hamburg: Frühlings Erwachen, S. 36-51.
Hochschild, Arlie Russell (2006): Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle. Frankfurt/Main u.a.: Campus-Verlag.
Scheffel, Heidi; Thies, Wildrud (1988): Feministische Sport- und Bewegungskultur. Thesen zu ihrer gesellschaftlichen Bedingtheit. In: Mechtild Buschmann und Ellen Becker (Hg.): Frauen in Bewegung. Der feministische Blick auf Sporttheorie, Sportpraxis und Sportpolitik; Dokumentation des ersten feministischen Seminars in Bielefeld, 1987. Feldhaus-Verlag/Edition Czwalina, S. 92-95.
Young, Iris Marion (1993): Werfen wie ein Mädchen. Eine Phänomenologie weiblichen Körperverhaltens, weiblicher Motilität und Räumlichkeit. In: Deutsche Zeitschrift für Philosophie 41 (4), S. 707–725.
Young, Lola (2000): How Do We Look? Unfixing the Singular Black (Female) Subject. In: Paul Gilroy, Lawrence Grossberg, Angela McRobbie und Stuart Hall (Hg.): Without guarantees. In honour of Stuart Hall. London: Verso, S. 416-430.
Beitragsbild: Buchcover der hier besprochenen Dissertationsschrift von Corinna Schmechel, transcript
Corinna Schmechel studierte im Master Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin und hat anschließend an der LMU in München promoviert. Von 2015-2018 wurde sie dabei durch ein Georg-Christoph-Lichtenberg-Stipendium im Promotionsprogramm „Kulturen der Partizipation“ an der CvO-Universität Oldenburg gefördert. Aktuell arbeitet Sie an der Humboldt-Universität am Bereich Gender&Science zu Geschlecht in der quantitativen Gesundheitsforschung.