Das Bild zeigt die Aktivistin der AIDS-Linie, Kirsten Madsen, in Gespräch mit Minister für Gesundheit, Torben Lund (Soz.). zu Beginn der 1990er-Jahre.

Von oben und unten: Politische und aktivistische HIV/AIDS-Dokumente aus Dänemark im European HIV/AIDS Archive der Humboldt-Universität zu Berlin

Ab Sommer 2023 wird im European HIV/AIDS Archiv (EHAA) eine Sammlung über Dänemark verfügbar sein. Sie umfasst Resolutionen und Gesetzesvorschläge des dänischen Parlaments zu HIV/AIDS im Zeitraum 1985-1997 und eine vollständige Newsletter-Reihe der Kampagne „StopAids“ 1987-2000. Die Kooperation und ein gutes Verhältnis zwischen Politiker*innen und Aktivist*innen waren charakteristisch für den Umgang mit Aids in Dänemark, wie auch das Bild von Aids-Aktivistin Kirsten Madsen und Politiker Torben Lund zeigt. Zeitweilig kam es aber auch zu Auseinandersetzungen. Diese Sammlung ist das Resultat einer Zusammenarbeit zwischen Forscher*innen des Projekts „A Cultural History of AIDS in Denmark“ (CHAD) an der Universität Kopenhagen und dem ZtG. Wir hoffen, dass diese Quellen sowohl Studierenden, Forscher*innen als auch allen anderen Interessent*innen von Nutzen sein werden.

Umgang mit der HIV/AIDS-Epidemie in Dänemark

Im Frühjahr 1987 beschloss das dänische Parlament offiziell, dass der Umgang mit der HIV/AIDS-Epidemie auf den Grundsätzen „Information“, „Freiwilligkeit“, „Anonymität“, „Anti-Stigma“ und in enger Zusammenarbeit mit den betroffenen Gruppen erfolgen sollte.

Das Informationsprinzip basierte darauf, dass es vor 1996 nicht möglich war, eine HIV-Infektion wirksam zu behandeln. AIDS zu vermeiden hieß Infektion zu vermeiden. Es wurde davon ausgegangen, dass dies am besten erreicht werden konnte, wenn Verhaltensänderungen auf der Grundlage von Informationen und nicht beispielsweise durch Zwang oder Einschränkungen sichergestellt wurden.

Die gleiche Idee steckte auch hinter den Grundsätzen der Freiwilligkeit und Anonymität. Die dänischen Politiker waren sich weitgehend einig, dass, wenn Tests und Behandlungen nicht freiwillig und anonym stattfinden könnten, diejenigen fernbleiben würden, die dem Risiko einer Ansteckung ausgesetzt wären. Gleichzeitig waren Freiwilligkeit und Anonymität auch wichtige Voraussetzungen für die Zusammenarbeit des Schwulen- und Lesbenbundes mit den Behörden.

Der letzte Grundsatz der „Anti-Stigma“-Bewegung hing auch mit dem Verhältnis zwischen den Behörden und dem dänischen Schwulen- und Lesbenverband zusammen. Der Verband argumentierte damit, dass er die Behörden nur dann bei der Eindämmung der Epidemie unterstützen könne, wenn es einfacher wäre, als Homosexuelle in Dänemark ein gutes Leben zu führen.

Doch obwohl diese Grundsätze 1987 im dänischen Parlament verabschiedet und 1997 erneut bestätigt wurden, wurden sie auf verschiedene Weise sowohl von den Behörden selbst als auch im täglichen Leben von Menschen mit HIV in Frage gestellt. Aufschluss darüber geben die neu hinzugekommenen Dokumente im EHAA.

HIV/AIDS im dänischen Parlament

Das dänische Parlament befasste sich nicht nur 1987 und 1997 mit HIV/AIDS. Oppositionsparteien legten mehrfach Gesetzesvorschläge für eine andere und restriktivere Politik vor. Dabei ging es beispielsweise um Vorschläge wie eine obligatorische Registrierung infizierter Personen oder die Aufnahme von HIV/AIDS in das Geschlechtskrankheiten-Gesetz.

Keiner dieser Gesetzesvorschläge fand Zustimmung. Doch die Vorschläge selbst sowie die Debatten darüber geben einen Einblick in die unterschiedlichen Haltungen gegenüber HIV/AIDS in Dänemark zu dieser Zeit sowie gegenüber den gesellschaftlichen Gruppen, die in besonderem Maße von der Epidemie betroffen waren.

Es gab zum Beispiel einen großen Unterschied in der Wahrnehmung von Blutern, Schwulen, Drogenabhängigen, Sexarbeiter*innen und Menschen mit nicht-dänischem Hintergrund.

Im Jahr 1994 wurde es tatsächlich unter Strafe gestellt, andere wiederholt einer HIV-Infektion auszusetzen, was einen Verstoß gegen den Grundsatz der Anonymität und Freiwilligkeit darstellte. Die Gesetzesänderung erfolgte, nachdem ein haitianischer Mann, der ungeschützten Sex mit mehreren dänischen Frauen hatte – obwohl keine davon infiziert war – in einer Klage gegen ihn freigesprochen wurde. Insbesondere die Boulevardpresse hatte intensiv über diesen Fall berichtet.

Bei den parlamentarischen Verhandlungen ging es aber auch um die Zahlung einer Entschädigung an die Menschen, die durch Medikamente für die Blutgerinnung oder Bluttransfusionen infiziert wurden. Als im Jahr 1985 absolut sicher war, dass AIDS durch eine Infektion mit dem Virus verursacht wurde und es möglich wurde, darauf zu testen, stellte man fest, dass bereits etwa ein Drittel aller Bluter in Dänemark durch ihre Medikamente infiziert worden waren.

Der dänische Bluterverband war einer der Verbände, die sich sehr aktiv im dänischen Umgang mit der HIV/AIDS-Epidemie beschäftigten. Dafür arbeitete er eng mit dem Nationalen Verband für Schwule und Lesben zusammen, der während des ersten Jahrzehnts der Epidemie zunächst zum Hauptpartner der Behörden wurde.

Die StopAids-Kampagne und ihre Newsletter

Die HIV/AIDS-Kampagne der nationalen Vereinigung für Schwule und Lesben hieß „StopAids.“ Von 1987 bis 2000 veröffentlichte die Kampagne alle zwei Wochen einen Newsletter, dessen Ausgaben nun alle im EHHA verfügbar sind. Es handelt sich um viele hundert Seiten, aus denen zahlreiche verschiedene Einblicke in die HIV/AIDS-Epidemie in Dänemark gewonnen werden können.

In den Newslettern lag der Fokus natürlich besonders stark auf Schwulen und MSM, Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben. Aber es gibt auch zahlreiche Informationen zu anderen Gruppen, wie zum Beispiel Bluter, Sexarbeiter*innen und Drogenkonsument*innen. Auch die medizinischen und politischen Entwicklungen werden in den Newslettern verfolgt. Sie stellen somit eine wichtige Ergänzung zu den Dokumenten aus dem Parlament dar, wenn man die HIV/AIDS-Epidemie in der Geschichte Dänemarks verstehen möchte.

Die Newsletter bieten auch Einblicke in die Probleme, die das Leben mit HIV/AIDS mit sich bringt. Es kann sich sowohl um praktische Probleme im Alltag wie den Zugang zu zahnärztlicher Versorgung oder zu Versicherungen – Diskriminierung am Arbeitsplatz – als auch um die emotionalen und psychischen Belastungen handeln.

Insgesamt bietet die Sammlung von Newslettern auch die Möglichkeit, weitere strukturelle Veränderungen in Bezug auf Homosexualität in der dänischen Gesellschaft zu beobachten, die parallel zur HIV/AIDS-Epidemie in Dänemark stattfanden. So war es zwar seit 1989 möglich, dass zwei gleichgeschlechtliche Menschen eine eingetragene Partnerschaft eingehen konnten, gleichzeitig herrschte aber auch das Gefühl, dass ein Großteil der sexuellen Befreiung der 1970er-Jahre verloren gegangen sei.

 

Illustration: Aktivistin der AIDS-Linie, Kirsten Madsen, in Gespräch mit Minister für Gesundheit, Torben Lund (Soz.). Beginn 1990’er Jahre. Copyright: AIDS-Fondet, Kopenhagen.

 

Tobias de Fønss Wung-Sung ist postdoc an der Universität Kopenhagen und Gastwissenschaftler an der ZtG, von März bis Juni 2023. Als Teil des Projekts „A Cultural History of AIDS in Denmark“ forscht er zu politischen und aktivistischen Reaktionen auf die HIV/AIDS-Epidemie in Dänemark.

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