The bisexual pride flag

Nicht homosexuell genug? Bisexuelle Geflüchtete im Asylverfahren

Für viele queere Menschen weltweit bedeutet alleine die Möglichkeit, dass ihre sexuelle oder geschlechtliche Identität offengelegt werden könnte, Angst um ihre Sicherheit und ihr Leben. Eine große Anzahl der Gesetze, die heute gleichgeschlechtliche sexuelle Kontakte weltweit unter Strafe stellen, haben europäische Staaten im Zuge der Kolonialisierung der jeweiligen Länder eingeführt und dort häufig zum ersten Mal gleichgeschlechtliche Beziehungen stigmatisiert. Während die Geschichte europäischer Staaten somit eng verknüpft mit der bestehenden Queerfeindlichkeit weltweit ist, begrenzen ebendiese unter anderem durch asylrechtliche Entscheidungen streng, wer Zugang zu einem Leben an den vergleichsweise sicheren Orten in Deutschland und Europa erhält. Dabei erfahren LGBTIQ* Personen nach der Flucht häufig erneut Queerfeindlichkeit verbunden mit Rassismus, während sie im Asylverfahren die Behörden von der eigenen Sexualität oder Geschlechtsidentität überzeugen müssen.

Spezifische Situation bisexueller Personen

In der Forschung zu Flucht und Asyl werden Bisexuelle bei der Untersuchung dieser Diskriminierung häufig zur Gruppe homosexueller Personen gezählt, wodurch ihre spezifischen Erfahrungen unsichtbar bleiben. Dabei unterscheiden sich ihre Probleme in Asylverfahren in einigen Aspekten deutlich. Das zeigt sich auch in den zehn Urteilen deutscher Verwaltungs- und Oberverwaltungsgerichte, die ich für meine Untersuchung ausgewählt habe. Sie beschäftigen sich mit den Asylanträgen von Geflüchteten, die ihre sexuelle Orientierung als Fluchtgrund angegeben haben und sich als bisexuell bezeichnen oder von Gerichten so eingeordnet wurden.

Ziel war es, die spezifischen Probleme queerer Geflüchteter aufzuzeigen, deren Sexualität nicht der monosexuellen Kategorie ,homosexuell‘ entspricht. Die Entscheidung den Begriff der Bisexualität zu verwenden, habe ich getroffen, da dies die einzige Bezeichnung nicht-monosexueller Orientierungen ist, die deutsche Verwaltungsgerichte regelmäßig in Asylrechtsentscheidungen verwenden. Die Gerichte benutzen den Begriff dabei auch stets in Verbindung mit einer binären Vorstellung von Geschlecht.

Damit die Urteile miteinander vergleichbar sind, habe ich nur Entscheidungen berücksichtigt, die nach dem Grundsatzurteil des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) aus dem November 2013 gesprochen wurden. Der Gerichtshof entschied damals, dass Asylanträge von homosexuellen Geflüchteten nicht abgelehnt werden dürfen, indem auf die Möglichkeit der Diskretion, also das Verheimlichen der eigenen sexuellen Orientierung verwiesen wird.

Im Januar 2020 beschäftigte sich das Bundesverfassungsgericht dann mit der Beschwerde eines Geflüchteten aus Nigeria gegen die Ablehnung seines Asylgesuchs. Auch wenn das Gericht die Beschwerde zurückwies, stellte es in der Begründung klar, dass dieses EuGH-Urteil auch auf Bisexuelle anwendbar ist. Da die Urteile, die ich untersucht habe, bereits vor der Entscheidung 2020 gesprochen wurden, gehe ich jeweils kurz darauf ein, wie sie sich dazu verhalten.

Forderung von Diskretion

Das zentrale Argument, das die Ablehnung von Asylgesuchen Bisexueller in den untersuchten Gerichtsentscheidungen begründete, war die bereits benannte Möglichkeit der ,Diskretion‘. Der Großteil der Gerichte hielt das EuGH-Urteil von 2013 nicht für die Fälle von Bisexuellen gültig. Sie argumentierten, dass die Geflüchteten nicht gezwungen seien, ihre Sexualität vollständig zu unterdrücken oder heimlich zu leben. Sie könnten auch eine heterosexuelle Beziehung führen und damit der Verfolgung entgehen.

So schrieb das Oberverwaltungsgericht des Saarlands, dass der bisexuelle Geflüchtete, der sich zum Zeitpunkt des Urteils bereits seit zwei Jahren in einer gleichgeschlechtlichen Beziehung befand, in einer anderen Situation sei als homosexuelle Personen. Denn er „wäre nämlich aufgrund seiner Veranlagung in der Lage, auch mit einer Frau in Algerien eine Partnerschaft zu führen und seine Sexualität auszuleben“ (OVG Saarland, Rn. 5).

Dieser Ansicht nach scheinen Bisexuelle bereits durch ihre sexuelle Orientierung selbst, quasi ,natürlicherweise‘, in der Lage zu sein, die Diskretionsforderung zu erfüllen. Ein ähnliches Argument wurde vor der EuGH-Entscheidung auch gegenüber homosexuellen Geflüchteten verwendet. Nämlich, dass sie kein Recht auf das öffentliche Ausleben der eigenen Sexualität hätten und gleichgeschlechtliche Beziehungen, wenn überhaupt, im Privaten pflegen sollten.

Nach der Bundesverfassungsgerichtsentscheidung von Januar 2020 wäre diese Argumentation alleine nicht mehr als Begründung einer Ablehnung zulässig, da diese klarstellt, dass die EuGH-Entscheidung auch auf bisexuelle Personen anzuwenden ist und damit die Geheimhaltung der Sexualität bzw. eine Entscheidung für eine heterosexuelle Beziehung nicht gefordert werden darf. Dies ist ein wichtiger Fortschritt für die Rechte bisexueller Geflüchteter. Denn auch in den untersuchten Urteilen begründete ein weiteres Gericht seine Ablehnung explizit damit, dass die EuGH-Entscheidung nur auf Homosexuelle anzuwenden sei. Nun ist es möglich, sich in solchen Fällen auf die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu berufen.

Binäres Verständnis von Sexualität

Konzeptuell deutet die Argumentation für ein Verheimlichen ,eines Teils‘ der Sexualität, die in den Urteilen deutlich wird, auf ein problematisches Verständnis von Bisexualität hin, das allein durch die Bundesverfassungsgerichtsentscheidung noch nicht als überwunden gelten kann.

Deutlich wird das in einem Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden, das im Fall eines bisexuellen Mannes das Kriterium der deutlich abgegrenzten Identität als nicht erfüllt ansah und den Asylantrag ablehnte. Dem Urteil nach seien zwar homosexuelle Handlungen in Marokko strafbar. Dies betreffe allerdings „nur einen Teil der sexuellen Identität bisexueller Menschen“ (VG Dresden, Rn. 14). Die „sexuelle Ausrichtung“ (VG Dresden, Rn. 14) stoße somit „nicht in all ihren Facetten auf Ablehnung“ (VG Dresden, Rn. 14), sondern enthalte „auch eine Seite“ (VG Dresden, Rn. 14), die in Marokko gesellschaftlich und rechtlich akzeptiert sei.

Bisexualität wird als eine Zusammensetzung aus hetero- und homosexueller Orientierung betrachtet, nicht als eigenständige sexuelle Orientierung, die spezifische Formen von Verfolgung nach sich ziehen kann. So wird angenommen, dass eine Person als heterosexuell gilt, solange sie den ,homosexuellen Teil‘ ihrer Sexualität versteckt. Es wird unterstellt, dass Bisexuelle aufgrund einer gegenwärtigen oder potentiell möglichen heterosexuellen Beziehung genauso sicher wie heterosexuelle Personen leben können.

Auch in weiteren Urteilen zeigt sich, dass die Gerichte an den binären Kategorien homo- und heterosexuell festhalten und die Sexualität oder auch die Geschlechtsidentität der Geflüchteten immer wieder in Relation zu diesen setzen. Die Tatsache, dass Personen im Verlauf ihres Lebens Beziehungen mit Menschen unterschiedlicher Geschlechter eingehen, ohne jemals eine feste homosexuelle oder heterosexuelle Identität innerhalb eines binären Konzepts von Geschlecht zu entwickeln, ist entsprechend der in den Asylverfahren zugrunde gelegten normativen westlichen Vorstellungen von Sexualität nicht vorgesehen. Bisexualität oder andere queere Identitäten lassen sich darin somit kaum einordnen.

Fokussierung auf sexuelle Kontakte und Beziehungen

Einerseits beurteilt das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung von 2020 zwar die Begründung ausschließlich aufgrund der Bisexualität ein Verheimlichen der Sexualität zu verlangen als „unvertretbar“ (BVerfG, Rn. 19) und „die Willkürschwelle überschreiten[d]“ (BVerfG, Rn. 19). Andererseits stellt es gleichzeitig aber die Annahme nicht in Frage, dass aktuelle Beziehungen oder sexuelle Kontakte die Grundlage zur Beurteilung der Verfolgungsgefahr darstellen sollten, sondern bestärkt diese. Während das zuvor zitierte Urteil sexuelle Kontakte in den Mittelpunkt stellt, wurde die Begründung des Verwaltungsgerichts München mangels Behandlung der Beschwerde durch das Bundesverfassungsgericht aufrechterhalten. Das Gericht erklärte darin, es könne nicht erkennen, dass es dem Geflüchteten „abgesehen von der Eheschließung im Bundesgebiet“ (VG München, Rn. 21) wichtig sei „mit seinem Mann zusammen zu wohnen und homosexuelle Verhaltensweisen in der Öffentlichkeit zu zeigen“ (VG München, Rn. 21). Dies sei darin begründet, dass die Ehepartner nicht in einer gemeinsamen Wohnung lebten und keine Angaben zu gegenseitigen Besuchen vorlägen.

Die darauf von gerichtlicher Seite folgende Aussage, dass der Geflüchtete und sein Partner ihre Beziehung in Nigeria wie in Deutschland weiterhin leben könnten, erfolgt damit unter anderem, da sie nicht die gesellschaftliche Sichtbarkeit erfüllen würden, die für eine Verfolgung vorausgesetzt wird. Folglich bestehe „nur eine sehr geringe Wahrscheinlichkeit, dass bei einer vergleichbaren Lebensführung irgendjemand von der Homosexualität erfährt“ (VG München, Rn. 22). Die Bisexualität sowie die Vaterschaft des Geflüchteten wurden dabei vom Gericht als zusätzliche Faktoren betont, die es unwahrscheinlich machten, dass die sexuelle Orientierung der Ehepartner offengelegt würde.

Wie auch bereits in Untersuchungen von Entscheidungen der britischen Behörden festgestellt werden konnte, zeigt sich hier ebenso die Vorstellung, dass es hauptsächlich die sexuellen Beziehungen sind, die zur Diskriminierung der Geflüchteten führen. Dabei wird die tatsächliche gesellschaftliche Wahrnehmung von Geschlechtsidentitäten und Sexualitäten, die von cis- und heteronormativen Vorstellungen abweichen, übersehen. Diese kann zu Diskriminierungserfahrungen führen, die weit über den Aspekt der Stigmatisierung bestimmter sexueller Handlungen hinausreichen. Solche normativen Erwartungen können auch bisexuelle Personen unabhängig von ihrem Beziehungsstatus und ihren aktuellen sexuellen Kontakten nicht erfüllen. Neben der Geheimhaltung gegenwärtiger sexueller und romantischer Beziehungen müssen sich queere Personen auch in Gesprächen über frühere Partner*innen, in ihrem Auftreten oder im Umgang mit Menschen verschiedener Geschlechter verstellen, um ihre sexuelle Orientierung geheim zu halten. Deutlich zeigt sich die Reduktion auf sexuelle Handlungen in der angesprochenen Entscheidung des Dresdner Verwaltungsgerichts. Auch mit dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts bleibt im Ergebnis eine Argumentation bestehen, die sich allein auf die gegenwärtige Beziehung des Geflüchteten stützt. Außerdem geht sie davon aus, dass ein Leben ohne Verfolgung in Nigeria keine weiterreichende Geheimhaltung als das beschriebene Verhalten erfordert bzw., dass dieses nicht als Form der ,Diskretion‘ anzusehen sei. Während der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts umfassenderen Schutz für bisexuelle Geflüchtete bedeutet, bleibt das Verständnis davon, was die Geheimhaltung der sexuellen Orientierung in der Praxis bedeutet, sehr begrenzt und lässt damit einen großen Spielraum, um weiterhin die Unterdrückung der eigenen Identität von Geflüchteten zu fordern.

Intersektional – normative Beziehungsideale

Letztendlich führen die dargestellten Argumentationsmuster – die Forderung von ,Diskretion‘, das binäre Sexualitätsverständnis und der Fokus auf sexuelle Handlungen – dazu, dass Geflüchtete möglichst ausschließlich homosexuelle Kontakte und die Erfüllung normativer Vorstellungen gleichgeschlechtlicher Beziehungen vorweisen müssen, um in den Augen der Prüfenden als glaubwürdig und verfolgt zu gelten. Für Bisexuelle, aber auch für viele homosexuelle Geflüchtete, ist das ein kaum erfüllbarer Anspruch. Wie eng die Grenzen akzeptabler Beziehungskonzepte für die Gerichte dabei zum Teil sind, hat das Urteil des Münchner Verwaltungsgerichts gezeigt.

Im Asylverfahren verbinden sich so westliche Vorstellungen akzeptabler weißer Homosexualität mit dem Recht auf Aufenthalt und dem Schutz vor brutaler Verfolgung. Regelungen, Normen und deren Vollziehung stellen eine von staatlichen Institutionen gezogene Grenze dar, die festlegt, wer in Deutschland und Europa Teil der LGBTIQ*-Community werden und sich auf die vorhandenen Rechte berufen kann. Dies geschieht basierend auf der mit Rassifizierung und postkolonialen Machtstrukturen verbundenen Hierarchie zwischen Menschen mit und ohne deutscher bzw. europäischer Staatsbürgerschaft.

Zitierte Rechtsprechung:

BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats vom 22. Januar 2020, – 2 BvR 1807/19.
OVG Saarland, Urteil vom 4.2.2016, 2 A 48/15, juris.
VG Dresden, Urteil vom 17.11.2016, 4 K 398/16.A, juris.
VG München, Urteil vom 8.3.2019, M 9 K 17.39188, juris.

 

Astrid Loeffl hat einen Bachelor in Philosophie, Politikwissenschaft und dem Frei Kombinierbaren Nebenfach (Gender Studies & Religionswissenschaft) an der Universität Regensburg absolviert. Seit 2018 studiert sie im Master Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin. Der vorliegende Beitrag ist aus ihrer Hausarbeit zum Seminar „Geschlecht und Asyl verhandeln. Gerichtliche Meilensteine im Gemeinsamen Europäischen Asylsystem (GEAS)“ im Sommersemester 2019 entstanden.