Mentoring als Teil des Studiums – was es mir wirklich gebracht hat

Ist die Teilnahme an einem Mentoring-Programm im Rahmen des Studiums sinnvoll oder überflüssig? Inwiefern wird es mein bisher eher theoretisches Wissen erweitern? Bringt mir das wirklich etwas am Übergang in die Berufswelt oder sammle ich damit nur CTS?

Unter anderem waren das die Fragen, die ich mir bei der Zusammenstellung meines Semesterplans und auch bei der ersten Sitzung des Mentoring-Seminars für Studierende der Gender Studies stellte. Recht schnell konnte ich abschätzen, dass mindestens der erste Teil des Seminars – der Coaching-Part und die Auseinandersetzung mit mir und meinen Stärken und Schwächen – unglaublich bereichernd sein wird. Doch wie sich das Mentoring für mich letztlich gestalten würde, sollte sich erst im darauffolgenden Semester zeigen.

Problemlose Mentor*innensuche nach erfolgreicher Selbstreflexion?

Das erste Semester der Selbstreflexion forderte mich heraus, indem mir ganz konkret Raum und Zeit geboten wurde, über mich und meine Persönlichkeit nachzudenken. So reflektierte ich in Gesprächen mit Kommiliton*innen über meine Werte, Fähigkeiten, Herausforderungen und Netzwerke. Insbesondere realisierte ich, wie sehr das Studium bereits meine Persönlichkeitsentwicklung prägte, indem ich soziale Strukturen und Wissen hinterfrage, sensibler auf fremde Menschen eingehe und überzeugter in meiner eigenen Meinung werde. Im Seminar konnte ich aus diversen Gruppen- und Einzelformaten wie „Identitätsmolekül“ oder Visionsarbeit viele Erkenntnisse über meine Wünsche, Ängste, berufliche Vorstellungen und Grenzen ziehen. Und vor allem – und das war wohl das emotionalste Ergebnis – wurde ich mir darüber bewusst, dass ich konkrete Fähigkeiten habe und dass meine Emotionalität, die mich häufig anstrengt und mir persönlich oft negativ auffällt, eine meiner größten Stärken ist. Auf der Grundlage dieser individuellen Erkenntnisse konnte ich ein aussagekräftiges Anschreiben an potenzielle Mentor*innen entwerfen. Dieses schickte ich in freudiger Erwartung an insgesamt sieben Personen aus den Bereichen Interessenvertretung und Öffentlichkeitsarbeit zu Gender und Klimaschutz. Das Feedback war allerdings eher ernüchternd – ich erhielt nur eine Rückmeldung und das war eine Absage. Über mögliche Gründe konnte ich leider nur mutmaßen. Die achte Anfrage ist es dann geworden – eine Person, die in der Liste von Vorschlägen unserer Dozentin auftauchte. Eine Liste, auf die ich eigentlich nicht zurückgreifen wollte. Ich habe mich direkt gefragt warum – sehr wahrscheinlich, weil ich es „alleine“ schaffen wollte. Dass das Zurückgreifen auf vorhandene Ressourcen aber nicht impliziert, dass ich nicht gut genug wäre, um es allein zu schaffen, war das nächste große Learning in diesem Prozess.

Kann das mit uns funktionieren?

Ich war aufgeregt. Ich saß vor dem Laptop und bereitete teilweise sehr persönliche Fragen zu beruflicher Entwicklung, Erfahrungen in männerdominierten Branchen und Gehaltsverhandlungen vor – Fragen an eine Person, vor der ich bisher lediglich wusste, dass sie bei den Grünen in Baden-Württemberg als Referentin für Vielfalt und Empowerment arbeitete. Und den natürlich nicht unwichtigen Fakt, dass sie zugesagt und insofern grundsätzlich auch Lust auf das Mentoring hatte. Ich kam in den Zoom-Raum und mein Gefühl war aufgrund ihrer herzlichen Ausstrahlung seit der ersten Sekunde durchweg positiv. Wir stellten uns gegenseitig vor, erzählten ein wenig zu uns und unserer Person und verquatschten uns direkt zu einem politischen Thema und ihrem beruflichen Werdegang, ehe wir zurückruderten und erst einmal die Zielhorizonte des viermonatigen Mentoring absteckten.

Nach dem Ende des Gesprächs hatte ich einen Satz von Marion Magg-Schwarzbäcker im Kopf: „Ziel […] von […] Mentorinnen und Mentoren ist das Wachsen von Mut bei den Mentees, also Ermutigung, Empowerment.“ (Magg-Schwarzbäcker, 2014) Ich hatte darauf gehofft und hatte bereits nach dem kurzen ersten Gespräch ohne große inhaltliche Komponente genau dieses Gefühl in mir. Ich war erleichtert und in erster Linie beflügelt. Ich wusste nun mit einer tiefen Sicherheit, dass die Zeit mit meiner Mentorin sehr bereichernd sein wird. Mein Learning an dieser Stelle mit Blick auf meine Mentor*innensuche: Für bereichernde und wegweisende Gespräche und Einblicke müssen Personen nicht zwangsläufig Vorstandspositionen innehaben.

Allein unter Männern – handfeste Tipps und Tricks

Grob entlanghangelnd an unseren Zielhorizonten legten wir am Anfang jedes Treffens den ungefähren Inhalt dessen fest. Wir redeten zunächst viel über ihren Werdegang und tauschten uns über die Bedeutung eines Studiums aus. Über die Frage „Was kann ich eigentlich?“, die auch sie immer wieder begleitete und über den Gedanken „Wann werde ich jemals denken, ich habe Expertise?“. Wir sprachen über Gehaltsfragen und darüber, wie sie diese Gespräche vor allem mit männlichen Vorgesetzten führte: „Fühlst du dich unsicher, spiele den Ball zurück – sie fragen, was du dir als Gehalt vorstellst, du gibst deine Antwort und stellst als Gegenfrage, was sie sich vorstellen. So umgehst du schon mal die Stille, vor der du Angst hast.“ Sie konnte mir auch Tipps weitergeben, wie sie das Thema „Gender“ in ihrem männer-dominierten Umfeld in ihrer Arbeit platziert hat: Schritt für Schritt, nicht alles auf einmal und die Menschen da abholen, wo sie sind. Das hat für sie bisher wohl am besten funktioniert.

Unerwarteter Tiefgang – mit der Lupe durch detaillierte Gedanken

Ich stellte bereits in den ersten Treffen schnell fest, dass ihr Job und meine Arbeit als Werkstudentin sich in der Struktur und teilweise auch in den Inhalten sehr ähnelten: Wir beide arbeiten projektbezogen im Bereich Kommunikations- und Öffentlichkeitsarbeit. Sie bewegt sich inhaltlich außerdem explizit in dem Bereich, den ich in meiner Arbeit gern verstärken möchte – den Fokus auf Diversität. Ich denke, diese Überschneidung machte unsere Gespräche schnell sehr detailliert und tiefgreifend. Ich konnte mit ihr explizite Probleme, Fragen oder Unsicherheiten, die mir in einzelnen Projekten begegneten, besprechen und mir ganz konkrete Tipps im Umgang einholen. Wir konnten uns an vielen Stellen auch einfach nur gegenseitig bestärken, dass es schwierig sein kann, Genderthemen direkt in die Projektarbeit zu implementieren und dass es Zeit braucht, Strukturen aufzubrechen, zu erweitern, gerechter zu gestalten und letztlich zu verbessern. Sie hat verdeutlicht, dass nicht in einem einzelnen Schritt jeder gewünschte Effekt oder Fortschritt sofort eintreffen muss. Meistens dauert es lange, bedarf mehrerer Schritte und manchmal geht sie Umwege, um in ihrem Job letztlich die gewünschten Umsetzungen oder Maßnahmen anzustoßen. Das war das Überraschendste und mitunter das Beste am Mentoring für mich: Ich konnte ganz spezifische Fragen stellen und ganz spezifische Antworten erhalten.

Das war’s – und jetzt? Ein weiterer Kurs für CTS?

Meine Erwartungen, die ich nach dem Coaching-Part an das Mentoring hatte, wurden übertroffen und zum Schluss habe ich nur noch wenige Gedanken an den holprigen Start der Suche verloren. Es war eine bestärkende Erfahrung, einen unbekannten Menschen zu treffen und trotzdem so tief und vertrauensvoll zu sprechen, weil wir Ansichten und Erfahrungen teilen konnten. Das begleitete Mentoring hat mir geholfen, über meinen Schatten zu springen und zum ersten Mal eine fremde Person mit ähnlichen Schwerpunkten und beruflichen Vorstellungen kennenzulernen und so in eine potenzielle Arbeitsbranche nach meinem Studium einzutauchen. Ich fühle mich für den Einstieg in die Berufswelt jetzt selbstbewusster vor allem aufgrund dessen, dass ich konkrete Strategien für Unsicherheiten – wie bei dem Thema Gehaltsverhandlungen – mitnehmen konnte und mein eigenes Vertrauen in mein Wissen und meine Kompetenzen um ein großes Stück gewachsen ist. Das Mentoring hat allein in den vier Gesprächen eine Reihe an Gefühlen in mir ausgelöst: Empowerment, Sicherheit, Entspanntheit, Inspiration und allem voran Mut. Und das Beste: Ich habe nicht nur meine Mentorin, sondern in erster Linie auch mich selbst kennengelernt.

 

Literatur

Magg-Schwarzbäcker, Marion (2014): Mentoring für Frauen an Hochschulen. Die Organisation informellen Wissenstransfers, Wiesbaden, DOI 10.1007/978-3-658-06039-8.

 

Hannah Schmidt hat 2022 ihren Bachelor in Musikwissenschaften und Gender Studies abgeschlossen und studiert seitdem im Master Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Schwerpunkte sieht sie in den Bereichen Intersektionalität und Klimaschutz mit Spezialisierung auf die Energiewende.