1976 trat in der DDR eine interne Verfügung in Kraft, die Personen, die sich nicht mit ihrem bei der Geburt zugewiesenen Geschlecht identifizierten, die Möglichkeit einer Personenstandsänderung sowie medizinische Maßnahmen (Hormonbehandlungen oder Operationen) bot. Damit war die DDR im internationalen Vergleich eines der ersten Länder, das rechtliche Möglichkeiten für trans*Menschen schuf. Erst fünf Jahre später trat in der Bundesrepublik das sogenannte Transsexuellengesetz in Kraft. Diese historische Tatsache ist ein Stück (queerer) Geschichte, das bisher nur marginal beleuchtet wurde.
Perspektive
Besonders in queeren Kontexten ist die Perspektive der Erzählung, das Wie, entscheidend. Die historische Quellenlage zu trans*Geschichte ist oft problematisch. Einerseits stehen insgesamt nur wenige Zeugnisse zur Verfügung. Andererseits handelt es sich oft um Quellen aus medizinischen Kontexten und damit zumeist um Quellen der Pathologisierung und/oder um Täterquellen. Beides sollte transparent gemacht werden.
Für den Podcast wurden eigene Quellen aus der Community, d.h. Selbstzeugnisse von trans*Menschen ausgewertet. Zu hören sind sogenannte Eingaben, also Briefe, die DDR-Bürger*innen an politische Einrichtungen wie Ministerien schrieben. Im Kontext von Geschlechtstransition wurden solche Eingaben vornehmlich an das Ministerium für Gesundheitswesen der DDR geschrieben. Damit bewegen sich diese Quellen zwischen den oben aufgemachten Polen. Einerseits handelt es sich um Ego-Dokumente, die uns etwas über Persönlichkeit, Empfinden und die individuelle Situation der Menschen erzählen können und darüber wie sie sich selbstbestimmt an den Staat gewandt haben. Andererseits sind sie Quellenmaterial aus einem medizinischen/pathologisierenden Kontext, der keinesfalls unreflektiert bleiben kann. Wünschenswert wäre es daher in jedem Fall, wenn in zukünftigen Projekten zu diesen Quellen mehr Zeitzeug*innenberichte hinzukommen!
Kontrolle und Selbstbehauptung
Queere Geschichte erschöpft sich nicht in einer Diskriminierungserzählung. Sie ist vielmehr eine emanzipatorische Geschichte, ist vom ständigen Auf und Ab und vor allem von Widerständigkeiten geprägt, die eine empowernde Erzählung unabdingbar machen. Vor dem Hintergrund der Verfügung der DDR für trans*Personen muss dies herausgestellt werden. Denn auch wenn der Umgang der SED sowie der Mehrheitsgesellschaft gegenüber Queers und trans* von gesellschaftlichem Ausschluss geprägt war, zeigen sich bei näherer Betrachtung Selbstermächtigungsstrategien, die als DDR-spezifisch zu bezeichnen sind.
Die Historikerin Dr. Ulrike Klöppel (HU Berlin) untersuchte hierzu Eingaben, die trans*Menschen an DDR-Behörden richteten. Zahlreiche trans*Bürger*innen wendeten sich in Eingaben an Behörden, um eine Geschlechtstransition zu erwirken. Diese Eingaben sind zum Teil von großer persönlicher Verzweiflung aber auch von kämpferischer Vehemenz geprägt.
Auch stellen sich grundlegende Fragen nach der Bewertung der Verfügung von 1976. Denn was zunächst progressiv anmutet, geht einher mit gesellschaftlicher Unsichtbarkeit und Nichtakzeptanz: Öffentliche Anerkennung, Orte der Begegnung oder der Organisierung für trans*Menschen gab es kaum. Dieser Ambivalenz auf den Grund zu gehen und diesem Stück queerer Geschichte eine Facette hinzuzufügen, ist das Ziel des Projektes.
Die Podcastfolge kann hier gehört werden:
Lena Bührichen hat Literatur- Kunst- und Medienwissenschaften und Gender Studies an der Universität Konstanz und Literatur- Kunst- und Kulturwissenschaften an der Friedrich-Schiller-Universität Jena studiert. Sie absolviert von 2022-2024 ein wissenschaftliches Volontariat in der Museumspädagogik der Gedenk- und Bildungsstätte Andreasstraße, Stiftung Ettersberg.
Ulrike Klöppel ist seit Oktober 2021 wissenschaftliche Mitarbeiterin im DFG-Forschungsprojekt „Frauen in ver-rückten Lebenswelten“ – Diskurse und Praktiken im Umgang mit ‚Verrücktheit‘ in der westdeutschen Frauengesundheitsbewegung von den 1970er bis in die 1990er Jahre“ der Universität Heidelberg. Klöppel war u.a. Postdoc im Graduiertenkolleg „Geschlecht als Wissenskategorie“ an der HU und arbeitete am Institut für Europäische Ethnologie in Forschungs- und Archivprojekten zur Geschichte der Aidspolitik und des Aids-Aktivismus in der Bundesrepublik mit. Ergebnisse der Untersuchungen zur Häufigkeit normangleichender Operationen bei Intergeschlechtlichkeit wurden u.a. im Bulletin Texte Nr. 44 veröffentlicht.