Geschlechtergerechtigkeit im Verbraucher_innenschutz?

Frauen zahlen im Durschnitt für einen Kurzhaarschnitt 12,50 Euro mehr als Männer (an der Heiden; Wersig 2017). Gleiche oder sehr ähnliche Produkte und Dienstleistungen in stereotyp ‚weiblicher Ausfertigung‘ sind häufig teurer als ihr männliches Äquivalent; „jungen Männern“ mit Migrationshintergrund wird aufgrund (rassistischer) Stereotypisierung nicht selten der Einlass in Nachtclubs verwehrt; und Homophobie führt gegenüber schwuler und lesbischer Paare zu Buchungsverweigerung von Veranstaltungsräumen. Solche Machtungleichgewichte zwischen Verbraucher_innen und Unternehmer_innen auszugleichen, könnte in Deutschland eigentlich Aufgabe des Verbraucher_innenschutzes sein. Fragen nach strukturellen Asymmetrien auf Grund von Geschlecht und weiteren intersektionalen Diskriminierungen werden in den Organisationen des Verbraucher_innenschutzes als auch in den Verbraucher_innenwissenschaften kaum behandelt oder sogar gar nicht erst gestellt.

Frauen als Pionierinnen des Verbraucher_innenschutzes

Anders als es heute die scheinbare Geschlechtsneutralität vom Verbraucher_innenschutz und die wissenschaftliche Auseinandersetzung dazu vermuten lässt, waren Frauen zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts Pionierinnen im Schutz von Verbraucher_innen. Konsum war zu dieser Zeit stark weiblich konnotiert und beim „Werben um die Gunst des Käufers, [ging es] eigentlich um die Gunst der Hausfrau“ (Urban, 1925, Anm. d. Verf.). Vor diesem Hintergrund waren Frauen strukturell in einer unterlegenen Position, indem sie ausschließlich auf die Konsumentinnenrolle reduziert wurden. Die industrielle Produktion der Konsumgüter, und die Erwerbsarbeit im Allgemeinen im bürgerlichen Milieu, oblag in der Mehrheit ausschließlich in der Verantwortung und dem Aufgabenbereich des Mannes.

Aus dieser sozialen Position heraus begannen sich Frauen zu kollektivieren. Sie gründeten Vereine, testeten Produkte und berieten Konsumierende, auch um die Gefahren eines wenig kontrollierten und rapide expandieren Warenmarktes abzufedern. Frauen prägten demnach maßgeblich die Themensetzung und Institutionalisierung des Verbraucher_innenschutzes (König, 2017; Rick, 2018). Von der Politik wurden Frauen besonders in den 1950er Jahren als Konsumexpertinnen adressiert. Zwar schrieb sich damit einerseits ihre untergeordnete Stellung fort, andererseits eröffnete es ihnen die Möglichkeit, größere Sichtbarkeit im öffentlichen Raum sowie mehr politische Mitsprachemöglichkeiten zu erhalten (Pence, 1996; Rick, 2018).

Maskulinisierung und Zentralisierung der Verbraucher_innenschutzes

Nach dem zweiten Weltkrieg war der Verbraucher_innenschutz in Deutschland noch durch einen ‚Wildwuchs‘ an selbstorganisierten Gruppen gekennzeichnet. Dies wandelte sich jedoch in den folgenden beiden Jahrzehnten auf Grund eines stärkeren Zentralisierungsbestrebens des Staates und als Folge von Machtkämpfen zwischen unterschiedlichen Nichtregierungsorganisationen, an denen auch Frauenorganisationen beteiligt waren (Rick, 2018).

Dabei schwächte sich die Stellung der Frauenorganisationen und frauen- und geschlechterpolitische Themen verschwanden zunehmend aus den gesellschaftlichen Debatten des Verbraucher_innenschutzes (Stoff, 2015). Die durch die Frauen gegründeten Organisationen sind zwar bis heute existent und aktiv, aber ihr Einfluss auf bundes- und landespolitische Themensetzungen im Verbraucher_innenschutz ist kaum noch vorhanden (vgl. Klug, 2017).

Inzwischen hat sich die Entscheidungsmacht über die Ausrichtung des bundesdeutschen Verbraucher_innenschutzes in wenigen Nichtregierungsorganisationen gebündelt, die jedoch eng an das politische System und aktuelle Regierungsmehrheiten gekoppelt sind (Klug, 2017). Durch die geförderte Zentralisierung und Fremdorganisation des Verbraucher_innenschutzes durch den Staat, spielen Graswurzelbewegungen kaum eine Rolle (Nessel, 2016; Rick, 2018).

Dem Geschlecht im Verbraucher_innenschutz auf der Spur

Welche Rolle Geschlecht heute noch im Verbraucher_innenschutz spielt, geht unser Forschungsprojekt „Die Organisation des Verbraucher_innenschutzes“ nach. Mit einer rechts‑, organisations- und geschlechtersoziologischen Ausrichtung, beschäftigen wir uns mit den Fragen, inwiefern das deutsche Verbraucher_innenrecht sensible für geschlechtsbezogene Diskriminierung und asymmetrische Machtverhältnisse ist, welche Positionen Frauenorganisationen im aktuellen Verbraucher_innenschutz einnehmen und inwiefern feministische Bündnisse Anschluss an Verbraucher_innenpolitische Debatten suchen. In den bisher geführten Interviews zeigt sich dabei, wie im Feld des verorganisierten Verbraucher_innenschutzes bisher kein systematisches Zusammendenken von Geschlecht und Verbraucher_innenschutz stattfindet und viele Frauenorganisationen und feministische Gruppen keinen direkten Bezug zum Verbraucher_innenschutz haben.

Einen besonderen Stellenwert nimmt die Untersuchung der Mehrwertsteuersenkung  für Menstruationsprodukte (sog. Tampon Tax) ein, die  sowohl die Grenzen des Feldes des verorganisierten Verbraucher_innenschutzes und  soziale Bewegungen als zentralen Akteur in den Fokus rückt. Mit dieser Fallstudie möchten wir die Mobilisierung von Recht in Verbindung mit Kollektivierungs- und Organisierungsprozessen in den Blick nehmen. Untersucht wird die Rolle von und das Zusammenspiel zwischen For-Profit-Organisationen, Non-Profit-Organisationen und Aktivist:innen, die gegen eine fiskalische Diskriminierung von Frauen, Mädchen,  trans-, non-binären und geschlechtsneutralen Personen gekämpft haben. Im laufenden Projekt zeigt sich, wie sowohl bei der Mehrwertsteuersenkung im Speziellen als auch bei der Bewegung zur ‚Enttabuisierung‘ der Menstruation im Allgemeinen vielfältige Akteur:innen im Spannungsfeld zwischen Aktivismus und Kapitalismus aktiv sind und unterschiedliche Vorstellungen über die Umsetzung gesellschaftlichen Wandels hin zur (zu mehr) Geschlechtergerechtigkeit diskurrieren. Dies knüpft an die Frage an, inwiefern auch der Verbraucher_innenschutz ein relevantes Feld ist, um sich für den besseren Schutz von menstruierenden Personen einzusetzen.

 

Literatur

An der Heiden, Iris; Wersig, Maria (2017): Preisdifferenzierung nach Geschlecht in Deutschland. Forschungsbericht. Eine Studie im Auftrag der Antidiskriminierungsstelle des Bundes. 1. Auflage. Berlin: Antidiskriminierungsstelle des Bundes.

Klug, Martin (2017): Die Repräsentation von Verbraucherinteressen. Dissertation. 1. Auflage: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG (Policy Analyse, 12).

Nessel, Sebastian (2016): Verbraucherorganisationen und Märkte. Eine wirtschaftssoziologische Untersuchung. 1. Aufl. 2016. Wiesbaden: Springer Fachmedien.

Pence, Katherine (1996): Labours of consumption. gendered consumers in post-war East and West German reconstruction. In: Lynn Abrams (Hg.): Gender relations in German history. Power, agency and experience from the sixteenth to the twentieth century. London: UCL Press (Women‘s history), S. 211-255.

Rick, Kevin (2018): Verbraucherpolitik in der Bundesrepublik Deutschland. Eine Geschichte des westdeutschen Konsumtionsregimes, 1945-1975. 1. Aufl. Baden-Baden: Nomos Verlagsgesellschaft mbH & Co. KG (Wirtschafts- und Sozialgeschichte des modernen Europa. Economic and Social History of Modern Europe, 5).

Stoff, Heiko (2015): Gift in der Nahrung. Zur Genese der Verbraucherpolitik Mitte des 20. Jahrhunderts. Stuttgart: Franz Steiner Verlag (Wissenschaftsgeschichte).

Urban, Gisela (1925): Der Kampf um die einkaufende Hausfrau. In: Neue Freie Presse. Morgenblatt, 11.10.1925, S. 8.

 

Beitragsbild
von SHVETS production von Pexels

 

Matthias Schneider (matthias.schneider@uni-potsdam.de) ist Akademischer Mitarbeiter der Universität Potsdam am Lehrstuhl für Organisations- und Verwaltungssoziologie und Post­Doc im Teilprojekt D der DFG Forschungsgruppe Recht-Geschlecht-Kollektivität.

Teresa Löckmann (teresa.loeckmann@uni-potsdam.de) ist Akademische Mitarbeiterin der Universität Potsdam am Lehrstuhl Organisations- und Verwaltungssoziologie und Doktorandin im Teilprojekt D der DFG Forschungsgruppe Recht-Geschlecht-Kollektivität.

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