Netzwerk Gender MINT

Gendering MINT digital – ein Bericht „on the run“

Seit eineinhalb Jahren entwickeln und erproben wir als Team im Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterforschung (ZtG) digitale Lerneinheiten, um Erkenntnisse der Genderforschung in die Natur- und Technikwissenschaften zu integrieren. Dies geschieht als Teilprojekt des Verbundes „Gendering MINT digital – Open Science aktiv gestalten“ (BMBF 2018-2020).

Wir konzentrieren uns auf didaktische Konzepte, die Erstellung sogenannter Open Educational Resources (OER) und partizipativer elektronischer Werkzeuge (E-Tools) für den Einsatz in den Fachdidaktiken der Biologie, Chemie, Informatik und Physik der HU Berlin.

Motivieren – Sensibilisieren – Vertiefen – Reflektieren

Unser Konzept ist es, den Studierenden in vier Schritten Erkenntnisse der Geschlechterwissenschaften in den MINT-Fächern (Mathematik, Informatik, Natur- und Technikwissenschaften) näherzubringen. Um die Studierenden zu motivieren, nutzen wir videobasierte und animierte Einheiten sowie bildlich unterstützte Lernmodule. Danach geht es darum, die Zielgruppen zu sensibilisieren. Das bedeutet „diesen Gender-Unsinn“ nicht gleich abzulehnen und sich mit Geschlechtervielfalt und Genderkonstruktionen in den eigenen Fachkulturen auseinanderzusetzen. Darauf aufbauend liefern die Vertiefungsmodule Wissen zu Genderthemen im eigenen natur- oder technikwissenschaftlichen Fach. Diese führen zur reflektierten Auseinandersetzung mit den eigenen Fachkulturen und Praktiken sowie mit den naturwissenschaftlich-technischem Wissens- und Produktkonstruktionen in gesellschaftlichen Geschlechterverhältnissen.

Wechselwirkung von naturwissenschaftlicher Wissensproduktion und gesellschaftlichen Vorstellungen von Geschlecht

Eine Herausforderung stellt die kritische Reflexion der eigenen Fachinhalte dar. Denn, um die durchaus komplexen Ansätze von Gender in MINT zu vermitteln, ist es notwendig, die Zielgruppen dort abzuholen, wo sie jeweils stehen. In den MINT-Bereichen beziehen Studierende ihr Genderwissen häufig aus stereotypen Alltagsvorstellungen und sehen zunächst einmal wenig Bezüge zu ihren eigenen Fächern. Es gilt also, komplexe Ansätze und Begriffe herunterzubrechen, ohne sie zu simplifizieren. So wollen wir beispielweise stereotype Geschlechterzuschreibungen thematisieren, ohne ein binäres Geschlechtermodell zu reproduzieren, die heteronormative Matrix auch in MINT verständlich machen und über Geschlechtervielfalt und Überschreitungen von Geschlechterkategorien diskutieren.

Die Lernmodule

Wir haben inzwischen sieben frei navigierbare Lernmodule zusammengestellt, die alle unter einer Open Access Lizenz auf unserem Lernportal verfügbar sind. Das fächerübergreifende Modul Geschlecht ist für alle Fächer da erläutert in drei Kapiteln in verschiedenen Videos Grundlagen und Begriffe der Gender Studies mit Bezug zu den MINT-Fächern. Der Forschungs- und Lehrbereich Gender & MINT stellt zudem ein Portfolio von Kurz-Statements von Genderforscher*innen in MINT bereit. Diese Sammlung von Inputs aus den eigenen Forschungsfeldern soll einen Überblick über das breite Feld von Gendering MINT liefern. Die vier fachbezogenen Module vertiefen die Erkenntnisse von Gender in MINT anhand konkreter Themenfelder aus der Biologie, Chemie, Informatik und Physik. So gibt es beispielsweise mit Gender goes Bones und Gender goes Hormones erste Lernkurse, die helfen zu verstehen, wie in der Biologie Wissen über Geschlechter eben nicht einfach entdeckt wurde. Sondern wie einerseits solches Wissen immer beeinflusst von den Geschlechtervorstellungen in der Gesellschaft interpretiert und konstruiert wird und wie dieses Wissen dann andererseits wieder die Gesellschaft beeinflusst.

Weitere Themenmodule sind in Arbeit. So geht es in Informatik, Chemie und Physik vielfach um geschlechterbezogene Aspekte in den jeweiligen Fachkulturen und in deren Wissensinhalten. In allen Lernmodulen gibt es zur Auseinandersetzung auch Quiz- und Reflexionseinheiten. Mit einer zusätzlichen Förderung des bologna.lab der HU werden wir ein fächerübergreifendes Modul zu Gender in Technoscientific Literacy entwickeln, indem die gesellschaftliche Kontextualisierung von naturwissenschaftlicher Wissensproduktion und Technikentwicklung reflektiert werden soll. Schließlich erproben wir in Kooperation mit „Women in Natural Science Adlershof“ demnächst ein Modul für die Gleichstellungsarbeit.

Erprobung der OER

In unserem blended learning Konzept nach dem Prinzip des inverted classroom können Studierende die OER selbständig und in einem bewertungsfreien Umfeld bearbeiten und später in Präsenz diskutieren. Die vernetzten OER können in beliebiger Reihenfolge zeit- und ortsunabhängig sowie angepasst an individuelle Bedürfnisse und Vorkenntnisse bearbeitet werden. Neben individuellen Reflexionen erproben wir kollaborative Tools (z.B. mind mapping) und gemeinsame Aufgabenbearbeitungen. Um unserer Zielgruppe Rechnung zu tragen, erproben und evaluieren wir unsere OER in bestehenden Vorlesungen, Seminaren und Übungen der Studiengänge der Bachelor of Science und der Master of Education an der Humboldt Universität. Im laufenden Wintersemester wird geprüft, wie einzelne OER auch für den BA Gender Studies eingesetzt werden können. Die bisherigen Erprobungen liefern uns über die Rückmeldungen der Studierenden und des Lehrpersonals wertvolle Informationen etwa zum Inhalt, Umfang, Gestaltung, Didaktik und ermöglichen gezielte Anpassungen. Wir erfahren, dass die Arbeit nachhaltige – wenn auch teilweise kontroverse – Diskussionen auslöst. Ziel ist die eigenständige Verwendung unserer OER durch Lehrende, Forschende und gleichstellungspolitische Akteur*innen in MINT. Erste Lehrende haben dies bereits übernommen.

Gendering MINT digital bleibt spannend.

 

Anna Kraher ist Studierende der Informatik und Gender Studies. Am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) unterstützt sie als Studentische Hilfskraft das Berliner Teilprojekt „Gendering MINT digital“.

Sigrid Schmitz ist habilitierte Biologin und arbeitet seit mehr als 30 Jahren zu Genderforschung in MINT. Insbesondere hat sie sich auf inter- und transdisziplinäre Lehre zur Wissensproduktion in MINT spezialisiert und zahlreiche Lehrformate an verschiedenen Universitäten (Marburg, Freiburg, Graz, Berlin, Oldenburg, Wien, Linz) in MINT-Fächern konzipiert und durchgeführt. Als Hochschuldozentin an der Universität Freiburg leitete sie das Kompetenzforum „Gender in Informatik und Naturwissenschaften [gin], war Professorin für Gender Studies an der Universität Wien und an der HU Berlin. Derzeit leitet sie das Berliner Teilprojekt im Verbund „Gendering MINT digital“ am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG).