Forschung zu LSBTIQ+ Geflüchteten in Europa hat sich bisher zu großen Teilen auf die Partikularitäten innerhalb des Asylsystems fokussiert, und herausgearbeitet, welche Herausforderungen den Geflüchteten begegnen, die ihre Sexualität oder Geschlechtsidentität beweisen müssen (siehe zum Beispiel das Queer European Asylum Netzwerk). In meiner Dissertation untersuche ich auch, was nach einem erfolgreichen Asylbescheid passiert. Hier begegnen LSBTIQ+ Geflüchteten ebenfalls teils widersprüchliche Erwartungen bezüglich Integration oder Assimilation, nicht nur ins Aufnahmeland, sondern auch in die lokale queere Community. Meine Forschung fokussiert sich sowohl auf Kopenhagen als auch auf Berlin. In diesem Blogeintrag reflektiere ich, welche Konsequenzen meine unterschiedliche Positionierung gegenüber den Forschungssubjekten in diesen beiden Städten für die Ergebnisse meiner Forschung haben. Als Feministin gehört eine solche Reflexion grundlegend zu meinem methodischen Vorgehen.
Spätestens mit der Popularität von Intersektionalität, auch insbesondere in aktivistischen Kreisen außerhalb der Universität, ist eine Reflexion über die eigene Positionalität, also den persönlichen Standpunkt, unerlässlich. Eine (nicht abschließende) Liste über meine intersektionellen ‚Identitätsmarker‘ liest sich so: Ich bin eine weiße, queere, cis Frau mit deutscher Staatsangehörigkeit. Ich bin jung (unter 30), able-bodied und lebe seit einigen Jahren in Kopenhagen, Dänemark – bin also Migrantin, aber in sehr privilegierter Form. Nach Kopenhagen hat es mich für mein Masterstudium verschlagen, und zurzeit promoviere ich hier dank eines Stipendiums. Eine bloße Nennung dieser Positionierungen stellt noch keine feministische Praxis dar. Notwendig ist vielmehr eine ständige Reflexion darüber, wie mein eigener Standpunkt mich in meinem Forschungsfeld verortet, und so auch das Wissen, welches ich hier produziere, beeinflusst. Dann kann von situated knowledge (situiertes Wissen) nach Donna Haraway (1988) gesprochen werden.
Forschen mit LSBTIQ+ Geflüchteten in Kopenhagen
In Kopenhagen bin ich seit einigen Jahren bei der NGO LGBT Asylum als Freiwillige aktiv, und unter anderem an der Planung von monatlichen Community Dinners und Wochenend-Trips beteiligt. Hierdurch konnte ich viele freundschaftliche Beziehungen aufbauen . Mit Beginn meines Promotionsprojektes habe ich dann einige Mitglieder von LGBT Asylum gefragt, ob diese bereit wären, mir ein wissenschaftliches Interview zu geben. Anstatt Forschung im Modus der Beobachtung zu betreiben, habe ich die Interviews ganz bewusst außerhalb der Veranstaltungen der Gruppe geführt, auch um den safer space zu respektieren.
In diesen Interviews war meine Insider-Position als Freiwillige bei LGBT Asylum entscheidend dafür, dass die Menschen sich mir gegenüber geöffnet haben. Außerdem konnte ich einige Probleme meiner Interviewpartner*innen, wie zum Beispiel die Schwierigkeit, dänische Freund*innen zu finden, bis zu einem gewissen Punkt nachvollziehen. Ich möchte meine Migrationserfahrungen hier keineswegs mit denen von den LSBTIQ+ Geflüchteten, mit denen ich gesprochen habe, gleichsetzen. Ähnlich wie von Calogero Giametta (2018: 876) in seiner Forschung mit LSBTIQ+ Geflüchteten beschrieben, war es jedoch ein Vorteil, selbst eine queere Migrantin in Dänemark zu sein, insbesondere beim Aufbau von gegenseitigem Vertrauen. Beim Berichten über eigene Rassismuserfahrungen stellte einer meiner Interviewpartner*innen klar: „Danish gays suck!“ Diese unverblümte, direkte Aussage wurde wahrscheinlich durch meine eigene Position als nicht-Dänisch begünstigt.
Eine solche Insider-Position hat natürlich nicht nur Vorteile. Oft werde ich von meinen Kolleg*innen an der Universität kritisch dazu befragt, ob ich nicht zu biased sei. Jedoch bedeutet ein Teil von LGBT Asylum zu sein, nicht, dass ich dieselben, oder auch nur ähnliche, Erfahrungen wie die Geflüchteten in der Gruppe gemacht habe. Ich bin also keineswegs ‚nur‘ Insiderin, sondern auch Outsiderin, wenn es um Erfahrungen wie Geflüchtetenfeindlichkeit oder Rassismus geht. Auch wenn wir an Klasse denken, habe ich durch meine Position an der Universität ein privilegierteres ökonomisches Kapital.
Mitziehend Positionieren
Wie eingangs erwähnt, beschäftigt sich mein Promotionsprojekt nicht ausschließlich mit Erfahrungen von LSBTIQ+ Geflüchteten in Kopenhagen und Umgebung, sondern hat auch einen Fokus auf Berlin und Umgebung. Daher bin ich in diesem Frühjahr für ein Semester nach Berlin gezogen. Hier wollte ich LSBTIQ+ Geflüchtete und Menschen, die mit queerem Asyl und ‚Integrationsthemen‘ arbeiten, für ein wissenschaftliches Interview treffen. Aufgrund der Vielzahl von Angeboten und Anlaufstellen stellte eine Kontaktaufnahme mit möglichen Gesprächspartner*innen kein Problem dar. Berlin ist nicht ohne Grund als „Regenbogenhauptstadt“ Europas bekannt. Auf meine Anfragen per Mail oder via Instagram haben jedoch die meisten Personen mit Fluchterfahrung entweder nicht oder mit einer Absage reagiert. Bis auf wenige Ausnahmen habe ich bisher in Berlin daher hauptsächlich mit Vertreter*innen von Organisationen und Initiativen Interviews geführt.
Meiner Meinung nach lässt sich dies mit meiner veränderten Positionalität erklären. Ich hatte keine persönlichen Beziehungen zu LSBTIQ+ Geflüchteten in Berlin, und befand mich als Outsiderin in einem neuen Kontext. Durch meine deutsche Staatsangehörigkeit, und insbesondere mein Weißsein, war ich als dominierende Forscherin markiert. Ich kann selbst auch koloniale Kontinuitäten in meinem Anliegen erkennen: Ich bin für ein paar Monate hier, möchte, dass LSBTIQ+ Geflüchtete ihr Wissen mit mir teilen, und kehre dann wieder nach Kopenhagen zurück. In Berlin ist es für mich schwieriger, zu argumentieren oder zu rechtfertigen, welchen Nutzen die potenziellen Interviewpartner*innen haben, wenn sie mit mir sprechen. Als ‚Gegenleistung‘ bin ich hier nicht Teil von Unterstützungsstrukturen.
Forschung über LSBTIQ+ Geflüchtete in Berlin
Statt eines Forschens mit, wie ich es mir in Kopenhagen erhoffe, ist es in Berlin vielmehr ein Forschen über LSBTIQ+ Geflüchtete. Daher ist es wenig überraschend, dass die meisten Personen, die mit mir gesprochen haben, dies in offiziellen Funktionen taten – während ihrer bezahlten Arbeitszeit. Über diese Position als Outsiderin, und die damit verbundenen Konsequenzen eines eingeschränkten Personenkreises von Menschen, die mit mir sprechen wollten, bin ich keineswegs glücklich. Nichtsdestotrotz, oder gerade deswegen, halte ich eine Identifikation dieser unterschiedlichen Positionalitäten für besonders wichtig. Ein Negieren dieser würde meiner Meinung nach die schädlichen kolonialen Kontinuitäten nur verstärken und fortschreiben. Welche genauen Konsequenzen sich hieraus für mein Promotionsprojekt und mein weiteres Forschungsvorgehen ergeben, werde ich weitergehend reflektieren.
Literatur
Giametta, Calogero (2018): Reorienting Participation, Distance and Positionality: Ethnographic Encounters with Gender and Sexual Minority Migrants. Sexualities, Vol. 21, No. 5-6, pp. 868-882. <https://doi.org/10.1177/1363460716678751>
Haraway, Donna (1988): Situated Knowledges. The Science Question in Feminism and the Privilege of Partial Perspectives. Feminist Studies, Vol. 14, No. 3, pp. 575-599. <https://www.jstor.org/stable/3178066>
Rieke Schröder (sie/ihr), M.Sc. in Global Refugee Studies, promoviert an der Aalborg University Copenhagen. Sie ist Promotionsstipendiatin der Studienstiftung des deutschen Volkes, und hat in der Vergangenheit Stipendien der Friedrich-Ebert-Stiftung und des Deutschen Akademischen Austauschdienst (DAAD) erhalten. Ihre Forschung beschäftigt sich mit queer feministischen Perspektiven auf Flucht und Vertreibung. Sie ist Mitherausgeberin der Anthologie „Situating Displacement. Explorations of Global (Im)Mobility“ (Peter Lang, 2022). Sie war im Sommersemester 2023 Gastwissenschaftlerin am ZtG.