Natürlich hätten wir sie gern an der Macht gesehen: Eine Frau mit mixed-race-Hintergrund, eine Überraschungskandidatin, die über Freude und Ironie Punkte macht. Die möglicherweise viele Ehefrauen wegen der Abtreibungsfrage dazu bringt, anders als der Gatte zu wählen, der gerade einen kräftigen Schluck von Trumps Virilitätslimonade genommen hat. Wir hätten auch gern gesehen, dass die inzwischen eingebürgerten Migrant:innen aus dem globalen Süden eine Brandmauer errichten gegen Massendeportation ihrer bedrohten undokumentierten Brüder und Schwestern. Wir hätten ebenfalls gern gesehen, dass Studierende aus ärmeren Familien die Ausbildungskredite erlassen werden. Und wirklich sehr gern hätten wir gesehen, dass keine blutende Frau mehr unter Aufsicht von passiven Ärzten sterben muss, weil letztere befürchten, dass sie angeklagt werden, wenn sie die neuen Landesgesetze befolgen.
Fortschritt und Enttäuschung
Trotz Harris‘ Niederlage hat die Abtreibungsfrage die Wahl beeinflusst. Wenn nur Frauen gewählt hätten, hätte Kamala Harris gewonnen. 10% mehr Frauen als Männer haben Harris gewählt, was vor allem Schwarzen Frauen zu verdanken ist, die mit 89% demokratisch gewählt haben, während die weißen Frauen mit 53 Prozent mehrheitlich für Trump gestimmt haben. Aber es haben in gleicher Anzahl auch mehr Männer Trump gewählt und damit den Frauenvorteil ausgeglichen. Das hat vielfach zu Enttäuschung und Trauer bei genderbewussten Leuten wie ‚uns‘ geführt. Dieses Enttäuschungsgefühl möchte ich hier näher betrachten. Sind ‚wir‘ deshalb so ‚enttäuscht‘, weil ‚wir‘ der Erzählung verfallen sind, dass sich der globale Norden auf dem Weg eines unaufhaltsamen ‚Fortschritts‘ in Genderfragen befindet? Haben ‚wir‘ die Idee des Fortschritts dermaßen fetischisiert, dass wir nun ratlos in Trauer versinken?
Enttäuschung kann man nur empfinden, wenn etwas nicht so ist, wie es sein soll oder wie es legitimerweise erwartbar war. Nun hat sich aber die Mehrheit von Amerikaner:innen dazu entschieden, einem anderen Fetisch als dem des emanzipativen Fortschritts zu dienen, nämlich dem vom Wirtschaftswachstum. Der sei nötig und finde gerade nicht statt wegen sogenannter illegaler Masseneinwanderung und weil der Staat zu wenig für die Wirtschaft tue (klingt für deutsche Ohren im Moment sehr vertraut). In jedem gefilmten Straßeninterview sagen die Wähler:innen, dass ihre ökonomische Situation in Trumps erster Amtszeit besser gewesen sei und sie deshalb ihr Schicksal in die Hände eines Unternehmers legen möchten. Das ‚Gefühl‘ ist zwar inzwischen vielfach durch Fakten wie verringerte Arbeitslosigkeit und erhöhte Löhne in der Biden-Ära widerlegt. Jedoch drücken hohe Verschuldungsraten bei Kreditkarten und die gestiegenen Kosten von Häusern und Wohnungen tatsächlich auf die Stimmung. Allerdings klammern Trumpwähler:innen sein katastrophales Management der Corona-Pandemie und die damit verbundene Arbeitsplatz- und Existenzvernichtung aus. Gefühlte Wahrheiten werden jedoch an der Wahlurne zu Wirklichkeiten, weil sie dringlich gewollt werden.
Der Charme der Unverschämtheit
Nun will ich nicht bestreiten, dass auch Wünsche, die auf eingebildeten Wahrheiten beruhen, eine starke Motivation sein können. Aber die klassische Wahlmotivationsforschung (it’s the economy, stupid) reicht mir in diesem Fall nicht, um dem Phänomen Trump beizukommen. Und vor allem erklärt sie nicht die enorme Beliebtheit eines Kandidaten, der lügt, betrügt, rassistisch beleidigt und für sexistische Übergriffe verurteilt ist. Seine schrille und moralisch anrüchige Persönlichkeit scheint aber nicht nur in Kauf genommen zu werden, sondern sie fasziniert aus sich selbst heraus. Einer, der sich nicht um Anstand und Sitte kehrt und sagt, was er denkt, muss eine starke Persönlichkeit sein. Es scheint so, dass Trump nicht trotz seines schlechten Benehmens unterstützt wird, sondern wegen desselben.
Neulich ließ mich ein Kommentar eines Politikbeobachters aufhorchen: Die Leute lieben ihn, sagt er, weil er die ‚Wahrheit‘ sagt. Nun ist über den Wahrheitscharakter Trump‘scher Behauptungen schon viel geschrieben worden. Aber in der Aussage des Kommentators liegt auch ein Kern von Richtigkeit. Die Performanz von Trump erlaubt es vielen, Ressentiments offen und schamlos zu äußern, die sie zwar gehegt haben, die sie aber für nicht mehr aussprechbar hielten. Die Tatsache, dass ihr Idol in dieser Sache ein sprechendes Beispiel gibt, erfüllt sie mit Freude und Erleichterung. „The Joy of feeling politically together“ hat Arlie Hochschild diese Gemütslage beschrieben.
Demographische Panik = Sexismus und Rassismus
Es ist kein Zufall, dass Donald Trump besonders gern seine Suaden mit Sexismus und Rassismus garniert. Seine Mitbewerberin Kamala Harris sei dämlich und verrückt, und seinen Vizepräsidenten lässt er sagen, sie sei kinderlos, eine Soziopathin und unglücklich. Deshalb sei ihr die Zukunft der Nation egal und sie würde diese gewissenlos ins Unglück führen. Trump selbst fabuliert, dass haitianische Migranten geliebte Haustiere von weißen Menschen essen. Im Vorprogramm einer Rallye lässt er einen ultrarechten Komiker Puerto Rico als Müll-Insel beschimpfen und sich darüber beklagen, dass Puerto-Ricaner es lieben, viele Kinder in die Welt zu setzen.
Der Vorwurf der Kinderlosigkeit an die eine Seite und der Vorwurf des zu großen Kinderreichtums an die andere Seite gehören zusammen. Sie sagen aus, dass die richtigen Frauen keine Kinder mehr bekommen und die falschen zu viele Kinder haben. Und hiermit sind wir bei dem Problem der Abtreibung angekommen. Deren Verbot soll gewährleisten, dass die Nation nicht ausstirbt, oder deutlicher ausgedrückt, dass die weiße oder wenigstens die an weiße Normen angepasste Nation nicht zahlenmäßig von People of Color übertroffen werden kann. Einwanderer, die aus der Karibik oder über die mexikanische Grenze kommen, (und es ‚lieben‘, viele Kinder zu bekommen) tragen in der rechten Rhetorik der Trump-Anhänger dazu bei, dass Weißsein in den USA angeblich immer mehr in die Minderheit gerät.
Der Widerstand von Feminist:innen, die sich ihre reproduktive Freiheit nicht rauben lassen wollen, zeige, dass sie ihre demographische Aufgabe nicht begriffen haben oder sie nicht begreifen wollen. Der Kulturkampf um die Abtreibung ist so gesehen nicht nur eine Frage der Emanzipation, sondern es geht um ein politisches Programm zur Rassisierung von Migration und zur Indienstnahme des weiblichen Körpers für die nationale Reproduktion. Die USA stellen sich damit in die Reihe vieler autoritärer Populismen, die Propaganda für Kinderlosigkeit unter Strafe stellen wollen (Russland), die Menstruationen von Frauen kontrollieren, um ihre Gebärbereitschaft zu überprüfen (China), die Ärzte, die abtreiben, kriminalisieren (Polen und USA) und Gebärprämien zahlen (Ungarn). (Die AfD versteckt ihre Sicht der Dinge im Parteiprogramm, danach soll nur bei Vergewaltigung und Gesundheitsgefahr für die Schwangere Abtreibung erlaubt sein). Bei einer solchen Politik geht immer um demographische Paniken und um den Erhalt und die Vermehrung von ethnonationalen Bevölkerungen.
Schutz, Patriarchat und sexualisierte Maskulinität
Um Frauen davon zu überzeugen, dass ein von Trump ermöglichtes Abtreibungsverbot kein Grund ist, Trump nicht zu wählen, wurden sie mit einem Bedrohungsszenario von sexuellen Angriffen von Immigranten geflutet. Es ging darum, eine größere Angst zu erzeugen als diejenige, die Kinderzahl nicht selbst bestimmen zu können. Gut, dass der inzwischen gewählte Präsident versprochen hat, dass er Frauen beschützen werde, auch diejenigen, die nicht beschützt werden wollen (was wie eine Drohung klingt). Nun ist das Schutzversprechen ein uralter Trick des Patriarchats, der über zwei Wege funktioniert. Wer geschützt werden muss, wird davor für verwundbar und abhängig erklärt. Und, wer schützt, muss stark und mächtig sein. Der Beschützende legitimiert über den Akt des Schützens die männliche Herrschaft oder, um es altmodischer auszudrücken, reinstalliert das Patriarchat.
Trumps Obszönitäten gehen ebenfalls in zwei Richtungen. Auf der einen Seite rassisieren und sexualisieren sie Immigrant:innen und Frauen. Und auf der anderen Seite werden im Gegenzug weiße Männer ermächtigt und über eine sexualisierte Maskulinität angesprochen. Das Maskulinisierungsprogramm zielte zunächst auf weiße Männer ohne Collegeabschluss, aber erreichte auch viele afroamerikanische und hispanische Männer. Propaganda via sexueller Renommierposen begann mit der Pussy-Affäre in Trumps erste Präsidentschaftskandiatur und setzte sich im gegenwärtigen Wahlkampf mit Spekulationen über die Schwanzlänge von national berühmten Golfspielern fort. Maskulinität wird hier als sexuelle Eroberung und Potenz verstanden, was ein impliziter Verweis auf Zeugungsfähigkeit ist, dem Vermögen, die Nation, jetzt ungehindert von Abtreibungsmöglichkeiten, mit Kindern zu bevölkern.
Eine dermaßen ermächtigte Männlichkeit muss sich nicht mehr mit dem Feindbild der dummen, kinderlosen, verrückten Frauen auseinandersetzen, die sich noch dazu auf ihr Schwarzsein berufen, um Mitleidspunkte einzusammeln und die durch ihre pure Existenz und Ambition die Frauenemanzipation verkörpern. Ermächtigte Männlichkeit kämpft sich den Rücken frei von der weiblichen Karrierekonkurrenz und kann sich dann ungehindert damit beschäftigen, Amerika wieder groß zu machen und sich bei dieser Tätigkeit von Trophäenfrauen bewundern zu lassen. Diese und die neuen weißen Mütter vieler Kinder werden dann zum Dank ‚beschützt‘.
Für eine Politik der Unverdrossenheit und intersektionaler Achtsamkeit
Um an den Anfang zurückzukommen. Emanzipatorischer Fortschritt ist weder ein Kontinuum noch ein historischer Selbstläufer noch eine Errungenschaft, die einmal eingeführt, von Dauer ist. Der Gender-‚Fortschritt‘ hat in der Moderne, wie z.B. im Faschismus oder in rechts-populistischen Regimen, schon häufiger seine Grenzen am Nationalstaat und seiner Besessenheit mit ‚ethnisch reiner‘ und zahlreicher Bevölkerung gefunden. Sowie man mit Rückschlägen rechnen muss kann man aber auch mit Scheitern rechnen. Viele Populisten in Demokratien sind in hohen Margen wieder abgewählt worden. Weil sie entweder nicht halten konnten oder wollten, was sie versprochen hatten, oder weil ihre Versprechen katastrophale Auswirkungen hatten. Ein Glaube an einen Automatismus des Fortschritts ist zwar nicht berechtigt, aber Hoffnung auf Scheitern der anderen Seite ist auch nicht unbegründet. Jedenfalls sind Entsetzen und Enttäuschung keine erfolgsversprechenden politischen Strategien.
In diesem Sinne plädiere ich für eine Politik der Unverdrossenheit, die ihre Kraft nicht durch Enttäuschungen lähmen lässt, auch weil sie nicht mit stetem Erfolg rechnet. Eine Politik der Unverdrossenheit überprüft immer wieder ihre politischen Ziele. Sie nutzt Niederlagen zur Neukalibrierung ihrer Kampagnen-Themen. Abtreibung z.B. wird zu häufig zu einem weißen Emanzipationsproblem geschrumpft und nicht intersektional gedacht. Dabei geht der Zusammenhang von Abtreibungsverboten und Rassismus verloren und damit die Chance auf neue Bündnisse.
Zum Thema Freiheit der Reproduktion gehören neben dem Kampf um die Legalisierung der Abtreibung auch der Kampf um reproduktive Gerechtigkeit für rassistisch diskriminierte Frauen, deren Mütter nicht nur in der kolonialen Vergangenheit zwangssterilisiert wurden und die jetzt angeblich ‚zu viel‘ Kinder kriegen. Und zu einer Neukalibrierung der Abtreibungsfrage gehört auch der Kampf gegen jene dazu (und das sind keineswegs nur Ultrarechte), die mit der Erzeugung demographischer Paniken an einer ethnisch reinen Nation basteln. Es sind dieselben, die gleichzeitig jede Immigration verteufeln, mit deren Hilfe sich die niedrige Geburtenrate und der Mangel an Fachkräften beheben ließe.
Gabriele Dietze forscht und lehrt zu Gender-, Media-, Cultural- und Migration-Studies an verschiedenen deutschen (darunter Humboldt) und amerikanischen Universitäten zuletzt im Dartmouth College, NH. Ihre Schwerpunkte sind: Sexismus, Rassismus, Rechtspopulismus und Cultural Wars. Ihr letztes Projekt ‚Quarantine Culture‘ ist der Versuch einer Kultursemiotik der Pandemie. Sie ist assoziiertes Mitglied des ZtG.