Das Projekttutorium Representing Women: Feministische Strategien in Wissenschaft, Kunst und Netzaktivismus verfolgte das Ziel, gemeinsam feministische Perspektiven auf Wissenschaft, Kunst/Kunstgeschichte und Technologien zu erarbeiten.
Beim Format Projekttutorium handelt es sich um eine studentisch organisierte Lehrveranstaltung, in der wissenschaftlich und praxisorientiert Initiativen in Lehre und Forschung eingebracht werden. Dabei ist die Veranstaltung offen für Studierende aus allen Fachrichtungen und ausdrücklich an einem interdisziplinären Austausch interessiert.
Über den Zeitraum von zwei Semestern (Wintersemester 2020/21 & Sommersemester 2021) haben wir uns zunächst einen Einblick in feministische Wissenschaftstheorien, die feministisch-postkolonialen Science & Technology Studies (STS) und die feministische Kunstgeschichte und Kunst verschafft. Dabei hatten wir die Möglichkeit, uns mit der Künstlerin Cornelia Sollfrank über die Bewegung des Cyberfeminismus der 1990er Jahre aus einer heutigen Perspektive auszutauschen.
Aufbauend auf diesen theoretischen Grundlagen haben wir in einem praktischen Teil die Online-Enzyklopädie Wikipedia einer kritischen Betrachtung unterzogen und im Anlegen eigener Artikel Potentiale und Grenzen feministischer Intervention erprobt.
Anyone can edit, not everyone does – ein feministischer Blick auf die Wikipedia
Obwohl Wikipedia nur eine Informationsquelle unter vielen ist und in der Wissenschaft und der akademischen Ausbildung als verpönt und als nicht-zitierbare Quelle gilt, ist nicht von der Hand zu weisen, dass die Plattform häufig die erste Informationsquelle einer schnellen Internetrecherche ist. Dies ist nicht zuletzt Folge des mittlerweile unmittelbaren Zugriffs auf das Internet über Smartphones und der Priorisierung von Wikipedia-Inhalten in Internet-Suchmaschinen wie Google, die neben der Ergebnisliste häufig Wikipedia-Faktenboxen einblendet. Die Seite wird von mehr als 365 Millionen Menschen genutzt und ist in 275 Sprachen verfügbar. Sie ist eine global einflussreiche Wissensplattform.
Die Wissenschaftlerinnen Judy Wajcman und Heather Ford analysieren in ihrem Aufsatz „Anyone can edit, not everyone does“ (2017) Wikipedia als Infrastruktur und thematisieren eine grundlegende Ambivalenz: Obwohl die Wissensplattform für sich als kollaborative, freie, dezentralisierte, teilnahmebasierte und demokratische Utopie wirbt, folgt die Produktion des dort verfügbaren Wissens Logiken von Autorität und Macht. Diese konstituieren sich aus soziotechnologischen Expertisen und Wissen (z.B. Privilegierung von als herkömmlich männlich codierten Fähigkeiten, Geschriebenes > Gesprochenes, Experten- & akademisches Wissen > praktisches Wissen, Verfügbarkeit von Zeit u.a.). Somit sind in der Infrastruktur selbst bereits Ausschlussmechanismen angelegt, die es bei einer Auseinandersetzung mit Wikipedia zu berücksichtigen gilt.
Als wohl bekanntestes Resultat dieser Ausschlussmechanismen wird immer wieder der in der Wikipedia bestehende Gender Gap genannt und die Dominanz weißer, männlicher Autoren, die den Inhalt der Plattform prägen. Nur 9% der Editor*innen geben an, weiblich zu sein.
Problematisch ist dies insbesondere dann, wenn Wikipedia als neutrale und unhinterfragte Quelle im Alltag verwendet wird und es kein Bewusstsein dafür gibt, wie und unter welchen Voraussetzungen dieses Wissen produziert wird. In der gemeinsamen Auseinandersetzung mit der Geschichte (Enzyklopädie) und den Strukturen der Plattform, der Analyse von Text- und Inhaltproduktion sowie der Bedeutung und Verwendung von Sprache und Bildern in der Wikipedia haben wir uns ein solches kritisches Bewusstsein erarbeitet.
Anyone can edit, including us – feministische Interventionen in der Wikipedia
Internationale feministische Netz-Initiativen wie u.a. Art+Feminism, Who writes his_tory? oder WomenEdit setzen sich dafür ein, das Wissen in der Wikipedia diverser zu gestalten. Dazu legen sie beispielsweise Wikipedia-Artikel über Frauen und andere in der Wikipedia unterrepräsentierte Personengruppen und Themen an. Außerdem machen sie sich für eine gegenseitige Vernetzung und Unterstützung stark.
Dieser netzaktivistischen Betätigung sind wir in einem abschließenden praktischen Teil des Projekttutoriums nachgegangen, um die Potentiale und Grenzen feministischer Intervention auszuloten. Dabei haben wir uns beispielsweise Strategien überlegt, wie wir innerhalb der Wikipedia-Bestimmungen Freiräume schaffen können z.B. über Verlinkungen, sensible Formulierungen, Übersetzungen und bewusste Strukturierungen.
Dabei unterstützte uns die Initiative Feministische Schreibwerkstatt (http://www.texture.works/), die uns in zwei Workshops die Grundlagen des Editierens in der Wikipedia vermittelte.
Aus dem Tutorium sind dann folgende Artikel entstanden:
- https://de.wikipedia.org/wiki/Singulares_they
- https://de.wikipedia.org/wiki/Louise_Wright
- https://de.wikipedia.org/wiki/Nathalie_L%C3%A9ger
- https://de.wikipedia.org/wiki/Homai_Vyarawalla
- https://de.wikipedia.org/wiki/Makini_Howell
- https://de.wikipedia.org/wiki/Kaari_Upson
- https://de.wikipedia.org/wiki/Tabita_Rezaire
- https://de.wikipedia.org/wiki/Lillian_Schwartz
- Leonardo Da Vincis Abendmahl Artikel (Lillian Schwartz und Mary Beth Edelson Abschnitte) : https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Abendmahl_(Leonardo_da_Vinci)
Die praktische Auseinandersetzung mit der Wikipedia machte vor allem eines deutlich: Es braucht Zeit, sich mit der Plattform auseinanderzusetzen und bestimmte feministische Interventionen – sei es das Anlegen und Überarbeiten von Artikeln oder die Beteiligung an häufig hart geführten Diskussionen – zu unternehmen. Daher planen wir die Gründung einer monatlichen Schreibgruppe, um uns die Zeit dafür zu nehmen und uns gegenseitig zu unterstützen. Bei Interesse gerne melden bei: steineha[ät]hu-berlin.de
Das Projekttutorium wurde von Hanna Steinert geleitet und von Prof. Dr. Eva Ehninger betreut. Außerdem wurde die Veranstaltung durch die Frauenförderung der Humboldt-Universität zu Berlin und den Verein zur Förderung des Instituts für Kunst- und Bildgeschichte e.V. unterstützt.
Hanna Steinert studierte Soziologie, Philosophie, Kulturwissenschaft sowie Kunst- und Bildgeschichte in Mannheim, Wien und Berlin. Zurzeit absolviert sie ihren Master in Kunst- und Bildgeschichte an der Humboldt-Universität zu Berlin. Neben den im Projekttutorium behandelten Themenbereichen interessiert sie sich für feministische Kunst und Kunstgeschichte, sowie für handwerkliche Materialitäten und Techniken in der Kunst der Moderne und Gegenwart.