Corona-Krise und Geschlechterverhältnisse – Ein Interview mit Regina Frey

Die Politikwissenschaftlerin Regina Frey setzt sich seit Jahren für die Umsetzung und Evaluation von Gleichstellungspolitiken ein. Sie gründete 2002 das genderbüro und leitete bis März diesen Jahres die Geschäftsstelle des Zweiten und Dritten Gleichstellungsberichts der Bundesregierung. Sie berät derzeit die Vereinten Nationen zur Umsetzung von „Gender-Markern“ und Gender Budgeting. Sie hat vielfach zur praktischen Umsetzung von Geschlechterpolitik veröffentlicht. In einem schriftlichen Interview berichtet Regina Frey aus ihrer Perspektive als Wissenschaftlerin in Zeiten der Corona-Krise.

Marie Springborn

Wie hat die Ausbreitung des Coronavirus Ihren Arbeitsalltag in den letzten Wochen verändert und wie gehen Sie mit den neuen Anforderungen an Forschende persönlich um?

Als Wissensarbeiterin bin ich in einer privilegierten Situation. Zwar wurden Termine abgesagt, und das wirkt sich bei mir auch finanziell aus, aber das war im Alltag eher entschleunigend. Meine Konzentrationsfähigkeit hat allerdings unter dem Geschehen gelitten: Ich habe die Nachrichten aufgesogen wie ein Schwamm, war viel auf Twitter unterwegs. Daraus entstand dann die Idee, ein Papier zu den Gender-Aspekten der Krise zu schreiben – das war wohl auch Teil meiner persönlichen Verarbeitungsstrategie.

Welche Relevanz könnten die Effekte der Pandemie Ihrer Erfahrung nach auf gesellschaftliche Machtverhältnisse, wie Geschlecht, Klasse und Rassifizierungsprozesse, haben? Welche Auswirkungen werden Selbstisolation und Minimalbetrieb also beispielsweise längerfristig auf Geschlechterverhältnisse in Berufen und Fürsorgearbeit haben?

Natürlich hat die Krise eine nachhaltige Wirkung auf die Geschlechterverhältnisse wie auf alle Machtverhältnisse. Im Moment weist zum Beispiel einiges darauf hin, dass der bezahlten und unbezahlten Care-Arbeit mehr Aufmerksamkeit zuteil wird. Ob das tatsächlich eine längerfristige Aufwertung nach sich zieht und die sich jetzt zuspitzende Care-Krise (die wir schon vor der Corona-Krise hatten) besser bewältigt werden kann? Also: ob die Pflegekraft nun dauerhaft besser bezahlt wird oder es bei einem Bonus bleibt (eine nette Geste, die aber kaum vor Altersarmut schützen kann)? Ob osteuropäische Pflegerinnen, die hierzulande 24 Stunden Betreuung in Privathaushalten machen nicht mehr ausgebeutet werden? Ob sich Männer nun deutlich mehr in die unbezahlte Care-Arbeit einbringen, weil sie auch Homeoffice machen und sich der Gender Care Gap dann schließt? Ich weiß es (noch) nicht, bin aber skeptisch und hoffe, dazu wird in Zukunft noch intensiver geforscht. In bestimmten Strängen der Geschlechterforschung, zum Beispiel der feministischen Ökonomie, wird zu solchen Fragen viel gearbeitet. Dieses Wissen wird jetzt wichtiger, um die Schieflagen, die in der Krise zutage kommen, besser zu bearbeiten. Das ist ein Pfund, mit dem Teile der Geschlechterforschung durchaus wuchern können.

Aber wir sollten uns darüber im Klaren sein, dass die schrecklichsten Auswirkungen noch kommen werden und sie vor allem die Menschen in den Ländern des globalen Südens treffen werden. Wenn Menschen von der Hand in den Mund leben müssen, verhungern sie, sobald die Fabrik wegen Anforderungen an physische Distanzierung schließt. Weil zum Beispiel mit den Ladenschließungen der Absatz an Kleidern eingebrochen ist, werden Bestellungen annulliert, der Textilsektor bricht wohl derzeit zusammen. In Bangladesch arbeiten zum größten Teil schlecht bezahlte Näherinnen mit nur marginaler sozialer Absicherung. Die bekommen jetzt einfach keinen Lohn mehr. Und wo es nicht auch nur annähernd eine funktionierende öffentliche Gesundheits-Infrastruktur gibt, haben nur Reiche Zugang zu Intensivmedizin und überleben eine schwer verlaufende Infektion. Die globale soziale Spaltung wird auf die Spitze getrieben werden, es ist abzusehen, dass hieraus neue globale Fluchtbewegungen entstehen werden. Es wird enorm wichtig sein, sich nicht nur um deutsche oder europäische Krisenbewältigung zu kümmern, es ist jetzt internationale Solidarität gefragt. Es muss ein globales Konjunkturprogramm her, das natürlich auch die Geschlechterverhältnisse und die Bedeutung der Care-Arbeit auf dem Schirm hat. Es ist nicht zu begreifen, dass die deutsche Regierung Wochen braucht um „bis zu“ (!) 50 Kinder und Jugendliche aus den Lagern in Griechenland hierher zu bringen – dort breitet sich COVID19 jetzt aus. Neben dem menschlichen Leid, das hierdurch erzeugt wird, zeigt es auch, dass die Regierung in Krisenzeiten nur bedingt dazu bereit oder in der Lage ist, die transnationale Dimension der Krise und ihre langfristigen Folgen zu erkennen. Da wird es aber kein „weiter so“ geben können.

Wie greifen antifeministische Bewegungen diese Krise auf, bzw. wie könnte die Corona-Krise als antigenderistisches Instrument benutzt werden?

Ich finde den Begriff „antigenderistisch“ ja weiterhin wenig hilfreich, aber gut: Es gibt Versuche von antifeministischen Kräften die Pandemie für Propaganda und Fake News zu instrumentalisieren. Ich glaube aber, dass die kläglich scheitern, da die Menschen merken: Rechtspopulist_innen können meckern, stänkern und spalten, aber wenn es wie jetzt darauf ankommt besonnen zu handeln, haben sie keine fachlichen und demokratisch guten Lösungen. So hat die AfD-Funktionärin von Storch getwittert: „Große Krisen schaffen auch Klarheit. Wir brauchen Krankenschwestern und keine Diversity-Berater, Naturwissenschaftler und keine Gendergaga-Experten, #Soforthilfe und kein…“  usw. Das ist ein hilfloser Versuch, aus der Krise politisches Kapital zu schlagen und viele Menschen erkennen das auch so. Die Umfrageergebnisse der AfD gehen entsprechend in den Keller.

Wie oben erwähnt, forschen Teile der Geschlechterforschung seit langer Zeit zu Themen, deren „Systemrelevanz“ jetzt deutlicher wird – also zum Beispiel zu Care. Das kann den „Gender-Reaktionären“, wie ich sie gerne nenne, den Wind aus den Segeln nehmen, wenn es Forschenden gelingt, die Relevanz ihrer Arbeit für die Bearbeitung der Krise gut zu kommunizieren.

Wie können Erkenntnisse aus den Gender Studies in Zukunft zur Bewältigung der Krise beitragen?

Es wäre gut, wenn wir schon ein Gleichstellungsinstitut auf Bundesebene hätten. Hier könnte anwendungsorientiertes Geschlechter-Wissen das aus inter- und transdisziplinären Zusammenhängen generiert wird, so aufgearbeitet werden, dass es in politische Entscheidungsprozesse einfließen kann. Diese Übersetzung von wissenschaftlichem Wissen in Handlungswissen ist natürlich nicht friktionsfrei. Aber wenn es diesen Transfer nicht gibt, werden zum Beispiel Gesetze so gemacht als wäre die Welt geschlechtsneutral. Ein Beispiel aus einem anderen Bereich: Im ursprünglichen Referentenentwurf für ein Gesetz gegen Hass im Netz stand absurderweise: „Die  Regelungen werden keine Auswirkungen für Verbraucherinnen und Verbraucher haben. Sie sind geschlechtsneutral und betreffen Frauen und Männer in gleicher Weise.“ Es wurde dann nach Intervention u.a. des Deutschen Juristinnenbundes nachgebessert.

Derzeit werden unter hohem Handlungsdruck Maßnahmen ergriffen und Gesetze geschrieben. Auch sie sollten die bestehenden Geschlechterverhältnisse angemessen (also auch in Verwobenheit weiterer Machtachsen) berücksichtigen. Die Gesetze werden dann für die konkreten sozialen Verhältnisse zutreffender und zielgenauer, also schlicht besser. Das ist schon lange aus der internationalen Forschung zu Gender Impact Assessment bekannt. Wir haben sehr viel Wissen, Strategien und Instrumente für eine geschlechtergerechtere Gestaltung der Gesellschaft. Ich hoffe sehr, dass dies in und nach der Krise nicht übersehen wird, weil es dann ja immer vermeintlich Wichtigeres gibt als Gender.

Dr. phil. Regina Frey, Politikwissenschaftlerin. Politikberaterin für die Umsetzung von gleichstellungspolitischen Strategien. Arbeitsschwerpunkte: Strategien und Instrumente der Gleichstellungspolitik (z.B. Gender Budgeting, Gender Impact Assessment), Gleichstellung als Lernprozess in Organisationen (z.B. geschlechtergerechte Personalauswahl und -beurteilung), Anti-Gender Rhetoriken und Antifeminismus. Hat bis Ende März die Geschäftsstelle für den Dritten Gleichstellungsbericht der Bundesregierung geleitet und ist jetzt wieder als selbständige Beraterin tätig, zum Beispiel für die Vereinten Nationen.

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