„Lasst uns das Wissen aus den Gender Studies genau an die Orte bringen, wo wir noch wenig davon gehört haben!“. Das ist der Ansatz von Lia Lang, Diversity und Inclusion Coordinator am Desy Zeuthen und Coachin im Mentoring-Programm für Studierende der Gender Studies der Humboldt-Universität.
Während meiner Teilnahme am Programm in der Zeit vom April 2022 bis März 2023 konnte ich erkennen, wie wichtig Lias Ansatz ist.
Ich entschied mich dafür, da ich den Wunsch hatte, mich beruflich (neu) zu orientieren. Das Studium der Gender Studies gibt Studierenden zwar sehr viel theoretisches Wissen mit auf den Weg. Da der Studiengang jedoch transdisziplinär aufgebaut ist und somit viele Fachgebiete berührt, fehlte mir noch eine klare berufliche Perspektive. Der Abschluss in Gender Studies ist nicht fest mit einem vorbestimmten Tätigkeitsprofil verknüpft. Dementsprechend muss ich mich selbst intensiver damit auseinandersetzen, welcher Beruf mir am besten entspricht, in welchem Arbeitsbereich ich mich zukünftig sehe und welche Möglichkeiten ich habe. Das Mentoring-Programm bot mir die Gelegenheit, über den Seminarraum und Vorlesungssaal hinaus zu schauen. Ziel des Programms ist, die Studierenden mittels Coachings, Workshops und einer Mentoringbeziehung am Übergang vom Studium zum Beruf zu unterstützen. Dadurch erlangte ich wichtige Erkenntnisse, die mir im Studium bisher verborgen blieben.
Verschiedene Berufsfelder kennenlernen
In der ersten Phase des Mentoring-Programms lernte ich viele spannende Berufsfelder kennen, von denen ich bisher noch nicht gehört hatte. So erfuhr ich, dass Gender Studies-Absolvent*innen im Anschluss an das Studium unter anderem im Medienbereich, im sozialen Bereich, in NGOs, in Forschungsinstituten und privatwirtschaftlichen Unternehmen arbeiten können und dabei vielfältige Aufgaben übernehmen. Hilfreich war dabei, dass wir für jeden dieser Bereiche gemeinsam konkrete Beispiele potentieller Arbeitgeber*innen zusammentrugen. Mit einer Tätigkeit konnte ich mich ganz besonders auseinandersetzen: die der Diversitätsbeauftragten. Teil des Mentoring-Programms ist nämlich eine Lernpartner*innenschaft mit einer Person, die bereits im Gender und Diversity-Bereich arbeitet. Mein Mentor wurde Jan Pedd, Absolvent der BA Gender Studies (HU Berlin) und Diversitätsbeauftragter des studierendenWerks Berlin. Er gab uns einen umfassenden Einblick in seine Aufgaben und Arbeitswelt.
Raus aus der eigenen Filterblase
Schnell merkte ich, dass die universitäre Umgebung in gewissem Maße eine Filterblase ist: Meine Kommiliton*innen und ich setzen uns tagtäglich mit gender- und diversitätsbezogenen Themen auseinander, wir teilen die gleichen Werte und halten es für selbstverständlich, sich aktiv gegen Diskriminierungen einzusetzen. In den Lehrveranstaltungen beschäftigen wir uns darüber hinaus intensiv mit Fachbegriffen und wissenschaftlichen Theorien.
Ich erfuhr jedoch, dass dieses Wissen und meine eigene Haltung nicht voraussetzbar sind. Denn sowohl in den Vorbereitungsseminaren als auch im anschließenden Mentoring wurde berichtet, dass es in vielen Arbeitsbereichen noch sehr wenig bis keine Berührungspunkte mit den Themen Gender und Diversity gibt. Zur Arbeit von Diversitätsbeauftragten gehört daher auch, Mitarbeitende aufzuklären und grundlegendes Basiswissen zu vermitteln. Ziel ist es unter anderem, sie zu unterstützen, ein Bewusstsein für Geschlechtergerechtigkeit und Diskriminierung im Umgang mit anderen zu entwickeln und dabei die diversen Perspektiven und Wissensstände moderierend einzubeziehen. Neben dem Fachwissen scheinen mir deshalb vor allem auch Fähigkeiten von Bedeutung zu sein, die nicht Inhalt des Studiums sind. Insbesondere der Umgang mit Menschen, die gender- und diversitätsbezogenen Themen bisher ablehnend gegenüberstehen, erfordert meines Erachtens soziale Skills wie zwischenmenschliches Geschick und ein sicheres Auftreten.
Der Theorie-Praxis-Transfer
Das Mentoring bot mir die Möglichkeit, mich einmal als Multiplikator*in von Wissen auszuprobieren und so tiefer in die Arbeit von Diversitätsbeauftragten einzutauchen. Ziel des Mentoring waren neben dem Kennenlernen der Tätigkeiten auch die Entwicklung einer Onlineschulung zum Thema TINA*-Personen (Trans*, Inter*, Nonbinary*, Agender*) für die Mitarbeitenden, die sich diese im Anschluss unseres Mentorings selbstständig anschauen können. Wir besprachen, welche Themen uns relevant erschienen, und teilten diese auf. Während des Erstellens der Texte erkannte ich, dass mir durch das Studium schon ein umfangreicher theoretischer Wissensschatz sowie wichtige Fertigkeiten zur Verfügung standen, von denen ich profitierte. So kannte ich mich schon sehr gut mit geschlechtergerechter Sprache und Formen der Diskriminierung aus. Außerdem gelang es mir gut, Informationen zu recherchieren und auszuformulieren. Die Herausforderung bestand jedoch darin, die Onlineschulung zielgruppenorientiert aufzubereiten. Welche Informationen benötigen Mitarbeitende ganz konkret? Was sind ihre Berührungspunkte mit TINA*-Personen? Und wie kann die Onlineschulung optisch so gestaltet werden, dass sich Mitarbeitende abgeholt fühlen? Ich denke, dass man diesen Transfer von der Theorie in die Praxis vor allem erst mit der praktischen Erfahrung erlernt, die man in der zukünftigen Arbeit macht.
Onlineschulung konkret
Die Onlineschulung vermittelt zu Beginn zunächst ganz grundlegende Informationen über TINA*-Personen und den diskriminierungsfreien Umgang untereinander. Wichtig war, dieses Wissen kompakt und verständlich darzustellen. Zunächst fiel es mir schwer, die Inhalte auf die wesentlichen Fakten zu begrenzen. Mir half jedoch dabei, die Mitarbeitendenperspektive einzunehmen. Ich lernte, dass nicht nur die Wissensvermittlung eine große Rolle spielt, sondern auch die Darstellung des Wissens. So statteten wir die Präsentationsfolien mit ansprechenden Bildern und gesprochenem Text aus, um zu gewährleisten, dass Mitarbeitende die Inhalte gut nachvollziehen und verinnerlichen können.
Darüber hinaus sind auch rechtliche Themen Inhalt der Onlineschulung. Die Mitarbeitenden werden zum Beispiel über das Offenbarungsverbot aufgeklärt, welches per Gesetz das vorsätzliche Nennen des Deadnames einer TINA*-Person verbietet (Transsexuellengesetz §5 Abs. 1) und zukünftig durch das Selbstbestimmungsgesetz mit einem Bußgeld geahndet werden kann. Ich lernte durch das Mentoring, dass es wichtig ist, solche konkreten, handlungsbezogenen Fakten hineinzunehmen, um die Bedeutung eines diskriminierungsfreien Umgangs noch einmal zu verdeutlichen.
Was nehme ich mit?
Das Mentoring-Programm sowie das Entwickeln der Onlineschulung trugen ganz wesentlich dazu bei, einmal über meinen Tellerrand hinauszublicken und andere Perspektiven einzunehmen. Während des Studiums befinde ich mich fast ausschließlich in der Rolle der Studierenden und Wissensempfängerin. Hier konnte ich erfahren und sogar ausprobieren, wie meine zukünftige Rolle als Absolvent*in beziehungsweise Arbeitnehmer*in einmal aussehen könnte. Ich setzte mich gezielt mit verschiedenen Berufsfeldern auseinander, vor allem aber mit der Arbeit der Diversitätsbeauftragten – eine Tätigkeit, die ich mir durchaus für meine Zukunft vorstellen kann. Zudem lernte ich, eine Onlineschulung zu entwickeln und diese zielgruppengerecht zu gestalten, wovon ich in meiner zukünftigen Arbeit gewiss profitieren kann. Jan Pedd und Lia Lang standen mir dabei stets als Ansprechpartner*innen zur Verfügung. Durch das Coaching und die regelmäßigen Mentoring-Treffen erhielt ich von ihnen sehr viel Erfahrungswissen, den Übergang in den Beruf und das Berufsleben betreffend, Tipps und vor allem auch Bestärkung, dass Absolvent*innen der Gender Studies in vielen Arbeitsbereichen ihren Studieninhalten praktische Sinnhaftigkeit verleihen können. Dabei war es meines Erachtens ein großer Vorteil, dass sie als ehemalige Gender Studies-Studierende und als Arbeitende im Diversity-Bereich beide Perspektiven kannten. So konnten sie in den gemeinsamen Gesprächen von konkreten Erfahrungen berichten, die für mich sehr greifbar und hilfreich waren, und meine Fragen ausführlich und sehr praxisorientiert beantworten.
Gini Görsdorf studiert aktuell an der Humboldt-Universität Gender Studies im Master. 2019 machte sie ihren Bachelorabschloss in Heilpädagogik an der Katholischen Hochschule für Sozialwesen Berlin und arbeitete von 2013 bis 2022 in der Eingliederungshilfe für Menschen mit sogenannter Behinderung. Dabei ist stets ihr Ziel, einen Beitrag zu einer inklusiven und gerechteren Gesellschaft zu leisten. Dafür beschäftigt sie sich ausgiebig mit Themen wie Feminismus, Rassismus, Diskriminierung und Diversität.