Wiederkehrende Schlagzeilen wie „The eco gender gap“ (The Guardian), „Bei Dürren sterben mehr Frauen“ (taz) und „Climate change ‚impacts women more than men‘“ (BBC) weisen auf die geschlechtliche Dimension des Klimawandels hin. Doch wie genau sind Geschlecht und Klimawandel miteinander verbunden?
Im Seminar „Geschlecht und Klimawandel – transdisziplinäre Perspektiven“ haben wir uns mit verschiedenen thematischen Zugängen von Natur und Gender beschäftigt. Leitende Fragestellungen bei der Vorbereitung des Seminars lauteten: Wieso ist Klimawandel nicht geschlechtsneutral, wie ist dies theoretisch-historisch verankert? Welche Diskurse gibt es und was sind gesellschaftliche Folgen in der Praxis und auf der symbolischen Geschlechterebene?
An eigene Erfahrungen im Klimaaktivismus anknüpfen
Das Seminar „Geschlecht und Klimawandel“ war als eine inhaltlich spannende wie gleichsam herausfordernde Lehrveranstaltung konzipiert, die den Studierenden die Möglichkeit bot, an eigene Erfahrungen im Klimaaktivismus anzuknüpfen, Fragen zu stellen und diese in einen wissenschaftlichen Rahmen einzubetten. Dies erleichterte den Einstieg, um die komplexen Verbindungen der Ursachen des Klimawandels und Geschlechterungleichheit zu identifizieren. Die historischen und theoretischen Ausgangspunkte der Gender Studies konnten im Verlauf des Semesters in den vier übergeordneten Blöcken „Klimaaktivismus“, „Politiken“, „Theorie“ und „Realitäten“ erlernt und angewandt werden.
Nach der einführenden Sitzung habe ich alle Teilnehmenden gebeten, ihre Fragen und Erwartungen an das Seminar zu formulieren. Dies gab mir einen ersten Eindruck über den Wissensstand und bot die Möglichkeit mit den Studierenden zu sprechen, was inhaltlich und methodisch im Seminarrahmen umsetzbar ist. So ist eine wertvolle Sammlung an Fragen entstanden:
„Woher kommt der ,Hass‘ oder auch der ,Spott‘ von Männern/Gegnern gegen Klimaaktivistinnen/Aktivisten?“
„Was macht geschlechterbewussten Klimaaktivismus aus?“
„Wie wird die Klimakrise/Natur mit Weiblichkeit und Unzivilisiertheit abgewertet und dem weißen, männlichen Industriekapitalismus eine höhere Wertigkeit eingeräumt?“
„Eine Frage, die mich zumindest momentan und nach dem Lesen des ersten Artikels beschäftigt, ist, wieso von Seiten der Frauen mehr Mitgefühl bzw. Tatendrang kommt, sich der Klimakrise zu stellen?“
Greta Thunberg und toxische Maskulinität
Der Klimawandel ist nicht geschlechtsneutral. Ein zentraler Aspekt des Seminars war die Diskussion der Folgen und Auswirkungen auf die Geschlechterverhältnisse und auf die symbolische Ordnung der Geschlechter. Zu den vermittelten Grundlagen gehörte die Identifikation von bestehenden dualistischen und hierarchischen Kategorien wie Natur – Kultur, passiv – aktiv, Frau – Mann, Emotionalität – Rationalität, Queer – Heteronormativität, Schwarz – weiß (Plumwood, 1993) und kritische Interventionen.
Ein praktisches Beispiel des Seminars war eine Analyse von Bildmaterial von Klimaaktivist*innen auf Social-Media-Kanälen. Hier haben wir uns kritisch mit den Mechanismen und Folgen toxischer Maskulinität gegenüber Greta Thunberg als junger, weiblicher Klimaaktivistin mit Autismus beschäftigt. Modifizierte Bilder von Thunberg als unberechenbare Dämonin sind Ausdruck der machtvollen symbolischen Geschlechterzuschreibungen und drücken Herrschaftsmuster aus.
Feminisierung der Umweltverantwortung
Ein weiterer Aspekt des medialen „Faszinosum Fridays for Future“ (Rucht, 2019) ist die hohe Beteiligung von weiblich-gelesenen Personen bei Schulstreiks weltweit. Oft als feministischer Durchbruch gefeiert, stellt sich dennoch die Frage, inwieweit der Einsatz von Frauen für das Klima nicht letztendlich eine Reproduktion tradierter Strukturen und Zuschreibungen sein kann. Christa Wichterich entwickelte in den 1990er Jahren das Konzept der „Feminisierung der Fürsorge und Reparaturarbeit an der Natur […] und Menschen“ (Wichterich, 1992: 82). Das größere Umweltbewusstsein von Frauen und die gesellschaftliche Verantwortung für die Erde, die Zukunft und Kinder ist eine weitere Form der (oftmals unbezahlten) Sorgearbeit.
Extinction Rebellion und die Rettung von „Mutter Erde“
Neben Fridays for Future haben wir uns auch mit Extinction Rebellion beschäftigt. Die in England gegründete Klimagruppe fällt medial mit bildgewaltigen Botschaften wie „Save Mother Earth“ bei ihren Protesten auf. Rhetorisch werden tradierte Narrative der Erde als gütige, schutzbedürftige Mutter oder als gefährliche, lebensfeindliche Frau genutzt. Hier werden auch teilweise problematische Bezüge zu feministischen Diskursen wie #metoo gezogen, um mehr Aufmerksamkeit zu erzielen. Die Übernutzung der Erde sei, so ein Aktivist bei einem Protest in London, wie eine „Vergewaltigung“ und „our mother earth says me too“.
Einige Ökofeministinnen griffen zu einer Argumentationslogik und verglichen in den 1970er Jahren die Ausbeutung der Erde und ihrer Ressourcen mit der unterdrückten sozialen und ökonomischen Situation von Frauen. Die Auseinandersetzung mit der Vielfältigkeit ökofeministischer Positionen, dem Vorwurf des Essentialismus sowie postkoloniale Kritik und Queer Ecologies waren Teil des Theorieblocks.
Über die Theorie hinaus: Expertinnen zu Gast im Seminar
Als Referent:innen konnte ich verschiedene Expert:innen gewinnen, um den digitalen Seminarraum zu bereichern, Vernetzungen zu ermöglichen und Perspektiven aus der Praxis einzubeziehen. Zu Gast war Carla Reemtsma (Sprecherin von Fridays for Future), die über Geschlechterverhältnisse und Herausforderungen bei FFF gesprochen hat. Theresia Reinhold (Media & Policy Advisor einer Grünen Abgeordneten im Europa Parlament) hat uns Spezifika von EU-Gender Budgeting erklärt und politische Hürden bei der Verbindung von Gender und Climate Policies aufgezeigt. Aus der Forschung waren Suse Brettin (Promovendin an der HU) und Dr. Meike Brückner (Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der HU) im Seminar. Sie präsentierten ihre empirischen Forschungsergebnisse zu Care-Arbeit und Emotionen in der Landwirtschaft sowie zu Ernährung, Zeit und Geschlecht, was zu fruchtbaren Diskussionen führte.
Lernerfolge
„Ich habe die beiden Themen Geschlecht und Klimawandel im Vorfeld selten als zusammenhängende Problematik gedacht.“
Bei der Auswertung der anfangs eingereichten Erwartungen an das Seminar und der abschließenden Evaluation kristallisierte sich heraus, dass den Studierenden drei Ziele besonders wichtig waren und diese auch erreicht werden konnten: Mehr über die vielfältigen Zusammenhänge von Klimawandel und Geschlecht zu erfahren; wissenschaftliche Argumente zu erlernen, um sie in Gesprächen mit Klimakritiker*innen und/oder Antifeminist*innen in- und außerhalb der Familie anwenden zu können sowie eine kritische Reflexion der eigenen politischen Klimapraxis.
Literatur
Christa Wichterich, Die Erde bemuttern. Frauen und Ökologie nach dem Erdgipfel in Rio. Berichte, Analysen, Dokumente, Köln 1992.
Dieter Rucht, Faszinosum Fridays For Future, in: Aus Politik und Zeitgeschichte (APUZ), Klima, 2019, S. 4-9.
Val Plumwood, Feminism and the mastery of nature. London 1993.
Merle Büter studierte Geschichte und Gender Studies in Manchester, Berlin, Stockholm und Oldenburg. Sie bereitet ihre Promotion an der Humboldt-Universität zu Berlin zu Symbolismen der deutschen Umweltbewegung vor. Forschungsschwerpunkte sind die Geschichte neuer sozialer Bewegungen, Ökofeminismus, gesellschaftliche Naturverhältnisse, Symbolismen und Metaphern sowie Klimabewegungen. Als freie Autorin hat sie für die Ethical Consumer Research Association in Manchester geschrieben und arbeitet zurzeit in der Gleichstellungsarbeit in Berlin