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Vereint in den Angriffen der Anti-Gender-Bewegung: Solidarische Allianzen der Gemeinten

Deutscher Rechtsextremismus ist im Wahlergebnis re-/normalisiert. Das bestätigt die massive Verschiebung politischer, gesellschaftlicher und medialer Diskurse nach rechts, was gravierende Auswirkungen auf die Gender Studies hat. Angriffe auf die Geschlechterforschung sind eingebettet in das Restaurationsprojekt einer globalen Anti-Gender-Bewegung, die derzeit in rasendem Tempo eine zunehmende existenzielle Bedrohung für alle wird, die von ihr gemeint sind. Auch andere sozial- und kulturwissenschaftliche Disziplinen, die Machtverhältnisse und Ungleichheiten analysieren, sind betroffen. Nötig sind jetzt solidarische Allianzen aller vom Antigenderismus Gemeinten.

Handlungsfähigkeit gegen Antifeminismus und Antigenderismus

In der Akademie und in der Gleichstellungsarbeit, in feministischer und politischer Bildungsarbeit gibt es zahlreiche Handreichungen und Statements gegen rechte und antifeministische Angriffe. Das hilft, um handlungsfähig zu bleiben, sich zu organisieren und zu schützen. Hilfreich ist auch ein Verständnis der globalen Zusammenhänge und Akteur*innen, die einer vermeintlichen ‚Gender-Ideologie‘ schon seit über 30 Jahren den Kampf angesagt haben.

Der Antigenderismus als gegenwärtige Ausprägung des Antifeminismus will eine Fantasie, einen Wunsch wirklich werden lassen: Die Wiederherstellung einer Ordnung, die so nie existiert hat, gegründet auf die wahlweise natürliche, göttliche und/oder harmonische Zweigeschlechtlichkeit und damit verbundene autoritäre Ideen von Familie und Nation (vgl. Butler 2024, 15).

Alles vergebens? Widerstand und die Re-/Produktion der Binarität

Der Kampf gegen Gender ist das Projekt einer penetranten Re-/Produktion von geschlechtlicher Binarität im biologistischsten Sinne. Das ist die Grundlage für die Aufrechterhaltung der heteronormativen, patriarchalen und rassistischen Gesellschaftsordnung der Ungleichheit. Diese muss in der logisch verdrehten Umkehr der Anti-Gender-Bewegung geschützt werden, auch mit Gewalt, vor der vermeintlichen Gefahr ihrer Zerstörung durch das, was als ‚Gender‘ phantasiert wird.

Schon lange gibt es Warnungen vor diesen Entwicklungen und Widerstand: Analysen, queere und queerfeministische Kämpfe und politische Bildungsarbeit. Alles vergebens?!?

Sorgfältig und eindringlich hat uns Judith Butler bereits Anfang 2024 mit dem Buch „Who’s afraid of Gender“ vor dem gewarnt, was wir gegenwärtig erleben::

“The targeting of sexual and gender minorities as dangers to society, as exemplifying the most destructive force in the world, in order to strip them of their fundamental rights, protections, and freedoms, implicates the anti-gender ideology in fascism.” (8)

Die Verwirklichung des kollektiven, patriarchalen Traums der Anti-Gender-Bewegung ist zunehmend durch staatliche Instanzen abgesichert. Minoritäre, vulnerable Gruppen werden als zerstörerisch phantasiert und gewaltvoll entrechtet – Ausdruck eines faschistoiden Geschehens, wie Butler deutlich macht. Das zeigt sich äußerst radikal an Trumps Dekreten zu Gender, DEI-Programmen und gender-affirmativer Gesundheitsversorgung und an deren sadistischer Umsetzung. Das zeigt sich weltweit an den Kämpfen gegen die vermeintliche ‚Gender-Ideologie‘ bei Bolsonaro, Putin, Orban, Meloni, Erdogan und Weidel.

Der Anti-Gender-Kampf bewirkt neben den Angriffen auf Geschlechterforschung und Gleichstellungspolitiken vor allem die Kriminalisierung und Pathologisierung von Queerness, die Abschaffung und Verhinderung von Antidiskriminierungsgesetzen, die Restriktion von Abtreibungsrechten und Rechten zu sexueller und geschlechtlicher Selbstbestimmung, die Beschränkung oder Verweigerung des Zugangs zu geschlechtsaffirmierender Gesundheitsversorgung, zu reproduktiven Technologien und zu vielfaltsorientierter Bildung.

Das Phantasma Gender und die globale Anti-Gender-Bewegung

Wie kommt es dazu? Butler erklärt, dass reale Ängste der Gegenwart durch psychosoziale Mechanismen wie Verschiebung, Externalisierung und syntaktische Umsortierung auf das Phantasma Gender verlagert werden.“So können alle Anzweiflungen des nur binär zu denkenden Selbst abgewehrt werden mit der Vorstellung einer unmenschlichen und zerstörerischen Monstrosität der gänzlich Anderen (252 ff.).

Verstehen lässt sich dies auch, wenn wir die verschiedenen Akteur*innen der Anti-Gender-Bewegung zusammendenken. So wird deutlich, dass diese in ihrer Unterschiedlichkeit effizient eine Vielzahl an Narrativen bedienen. Bedeutsamer Akteur ist der Vatikan mit der permanenten Statuierung gottgegebener und anthropologisch faktischer Komplementarität der zwei Geschlechter. Er konstruiert die Bedrohung der Familie, die Fragmentierung der Gesellschaft, die Indoktrination der Kinder und – entlarvend externalisierend – deren Missbrauch durch die als diktatorisch, totalitär und sogar kolonisierend (erneut externalisierend) bezeichnete ‚Gender-Ideologie‘. Butler analysiert auch die strategische, autoritäre und rechtsextreme Agenda Trumps zur Entrechtung von Minoritäten, Frauen, Queers und allen von Diskriminierungen Betroffenen. Butler untersucht Netzwerke fundamentalistischer, evangelikaler Christ*innen und Abtreibungsgegner*innen, den zunehmenden Einfluss der Kirchen im Kontext globaler, neoliberaler Schuldenpolitiken sowie andere Plattformen mit familistischen Restaurationsbestrebungen (International Organization for the Family, World Congress of Familiy, CitizenGo – Äquivalent in Europa: Agenda Europe). Butler widmet auch den TERFs (Trans* Exclusionary Radical Feminists) ein eigenes Kapitel in der Analyse der globalen Anti-Gender-Bewegung und setzt sich sehr gründlich mit der Argumentation sowie mit transfeindlichen feministischen Initiativen in Großbritannien auseinander („Sex Matters“ – Äquivalent in Deutschland: „Lasst Frauen sprechen“, „Frauenheldinnen“).

Die „Global Scene“ der Anti-Gender-Bewegung eint die gemeinsame Überzeugung, dass es notwendig sei, die phantasierte zerstörerische Macht der ‚Gender-Ideologie‘ zerstören zu müssen. Deckmantel ist dabei der Topos von Schutz: Die Familie, die Nation, die Frauen und fast immer die Kinder müssen in dieser Logik vor der Zerstörung geschützt werden.

Solidarische Allianzen – für einen intersektionalen Feminismus

Aus einer intersektionalen feministischen Perspektive ist der Schulterschluss, den Radikalfeministinnen mit rechten, reaktionären und fundamentalistischen Kräften im geeinten Kampf gegen Gender betreiben, besonders schwer auszuhalten  :

„The alliance between anti-gender feminists and the reactionary Right‘s attack on gender deserves a larger discussion […]. This is not the same as simply having a different viewpoint and a reasonable disagreement, since the TERF stance is nullifying the claims that trans people make about their lives, their bodies, and their very existence.“ (148)

Die Allianzen zwischen TERFs und der antifeministischen, antigenderistischen und rechten Bewegung sollten verstärkt analysiert werden. Es braucht klare Haltungen für einen intersektionalen Feminismus, der nicht reaktionären Kräften dient. Mit den „gender-critical partisans within feminism“ stellt Butler eine simple und zentrale Frage an die Allianzenkompetenz der feministischen Bewegung:

„First, is feminist politics a politics of alliance?“ (135).

Gemeinsam gemeint, gemeinsam vereint!

Die verbündeten Allianzen aller vom Antigenderismus Gemeinten können Hoffnung auf politische Handlungsfähigkeiten geben und dem rechtsextremen Entrechtungsprozess der Gegenwart etwas entgegensetzen. Wir können als Angegriffene auch aus der Defensive heraus Visionen entwickeln und machtvolle Allianzen bilden, die bisher noch undenkbar erschienen. Allianzen der Gemeinten kämpfen gemeinsam für reproduktive Selbstbestimmung und die Rechte von trans*, inter* und nicht-binären Menschen, für LBTQIA* und für BIPoC-Communitys, für Reproduktive Gerechtigkeit, für Alleinerziehende und queere Familienformen, für inklusive und queerfreundliche Bildung, gegen geschlechtsspezifische Gewalt und für genderaffirmative Gesundheitsversorgung. Feministische Allianzen der vom Antigenderismus Gemeinten denken und handeln in unterschiedlichen, aber gemeinsamen Betroffenheiten von der gewaltförmigen geschlechtlichen Binarität, von verschiedenen Diskriminierungen, von zunehmender Ungleichheit und Ungerechtigkeit. Jetzt ist es Zeit für solidarische Allianzen, die Unterschiedlichkeiten anerkennen und von diesen ausgehend gemeinsam gegen Antifeminismus, Antigenderismus und Rechtsextremismus kämpfen. Gemeinsam gemeint, gemeinsam vereint!

 

Literatur

Butler, Judith (2024): Who’s Afraid of Gender? London: Allen Lane.

Fachartikel von Susanne Weise zum Buch „Who’s Afraid of Gender“: https://www.gwi-boell.de/de/2025/03/05/whos-afraid-gender (erschienen am 5.3.2025)

 

Susanne Weise ist Geschlechterforscher*in (M.A.), Diplom Sozialarbeiter*in und assoziiertes Mitglied am ZtG sowie Mitglied beim Netzwerk PRiNa – Politiken der Reproduktion. Susanne ist freiberuflich in Bildungsarbeit sowie Wissenschaft tätig. Schwerpunkte sind Antifeminismus und Antigenderismus, Gender und Intersektionalität, Reproduktive Gerechtigkeit und Schwangerschaftsabbruch, Beratung und feministische Konfliktgeschichte(n).