Rechtspopulismus und Homosexualität: Eine Ethnografie der Feindschaft

Nach den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen Anfang September war viel von einer „Zäsur“ die Rede. In der Tat ist die AfD mit ihren Ergebnissen über 30 Prozent seit der NSDAP die erste extrem rechte Partei in Deutschland, die es schafft, auf Landesebene stärkste Kraft zu werden. Auch in Brandenburg könnte ihr dies am 22. September laut den aktuellen Umfragen gelingen. Anders als es die Rede von der „Zäsur“ nahelegt, handelt es sich dabei jedoch nicht um eine plötzlich eintretende Veränderung oder einen historischen Wendepunkt. Vielmehr zeigt die interdisziplinäre Forschung zu äußerst rechten Bewegungen, Parteien und Politiken, dass wir es mit einer kontinuierlichen Entwicklung der letzten Jahrzehnte zu tun haben. In der kritischen, antifaschistisch orientierten Literatur wird die äußerste Rechte ohnehin nicht als das bedrohliche Andere der liberalen Demokratie betrachtet. So schreiben etwa Thorsten Mense und Judith Goetz in ihrem kürzlich erschienenen Sammelband „Rechts, wo die Mitte ist“, eine Partei wie die AfD sei „als Ausdruck der sich zuspitzenden und krisenhaften Verhältnisse anzusehen“ (Mense/Goetz 2024: 10). Nichts Neues also.

Homosexualität in der äußersten Rechten

In diesem Sinne gilt es gerade auch aus geschlechtertheoretischer Perspektive, die äußerste Rechte sowohl gegenwärtig als auch historisch relational zu erfassen, sie also als eingebettet in gesellschaftliche und kulturelle Entwicklungen zu begreifen. Geschlecht und Sexualität waren für die äußerste Rechte immer schon zentrale Aushandlungsorte ihrer Politik, auch wenn dies analytisch häufig vernachlässigt wird. Diese Prämisse liegt auch meinem Buch „Rechtspopulismus und Homosexualität. Eine Ethnografie der Feindschaft“ zugrunde, das am 18. September im Campus Verlag erscheint (Open Access). In diesem Buch analysiere ich auf der Grundlage von zwei Jahren ethnografischer Feldforschung (2017–2019), auf welche Arten und Weisen sich die AfD heute auf Homosexualität bezieht.

In der Öffentlichkeit wird es oft als Widerspruch wahrgenommen, wenn sich die äußerste Rechte modernisiert, indem sie sich positiv auf die Rechte von Homosexuellen bezieht und Homosexuelle in ihre Reihen integriert, während sie zugleich darum bemüht ist, die heteronormative Geschlechterordnung zu verteidigen. Doch aus einer kulturanthropologischen Perspektive erschien es mir unzureichend, Rechten ihre eigenen Widersprüche vorzuwerfen, von homosexuellen AfD-Politiker_innen als ‚Feigenblatt‘ zu sprechen und ihnen ‚Selbsthass‘ zu unterstellen.

„Wie, fragte ich mich, wurde innerhalb der AfD, das heißt abseits der politischen Bühne, über Homosexualität gesprochen? Wie verhielt sich dieser Diskurs zum national eingefärbten Selbstbild der AfD? Entstand hier tatsächlich etwas Neues oder handelte es sich lediglich um alten rassistischen Wein in neuen homofreundlichen Schläuchen? Und wie begründeten die Akteur_innen selbst ihr politisches Engagement?“ (Wielowiejski 2024: 14f.)

Das politische Imaginäre

Ich wollte also an den Eigensinn der Akteur_innen heran, der sich mit distanzierteren (etwa diskurs- oder inhaltsanalytischen) Methoden nicht erfassen lässt, wohl aber ethnografisch. Die zentralen Protagonisten meiner Arbeit sind die „Alternativen Homosexuellen“ – eine Handvoll schwuler AfD-Politiker, deren Ziel darin besteht, sowohl in die Partei hineinzuwirken als auch nach außen zu vermitteln, dass es sich nicht ausschließt, rechts und schwul zugleich zu sein.

Da es vornehmlich Männer sind, die sich an diesen Politiken beteiligen – die lesbische Parteisprecherin Alice Weidel ist eine prominente Ausnahme –, ist Männlichkeit eine wichtige Analysekategorie der Arbeit.

Analytisch arbeite ich mit einer relationalen Heuristik des politischen Imaginären. Das heißt, ich zeige auf, wie sich die AfD ihre Position in der Welt und ihr Verhältnis zu anderen vorstellt. Kapitel für Kapitel erschließt sich auf diese Weise gewissermaßen eine Landkarte der politischen Welt aus den Augen der äußersten Rechten. Und diese Augen sehen vor allem Feinde. Zugleich musste ich feststellen, dass ich als Ethnograf immer mehr selbst Teil dieses Imaginären wurde, je näher ich meinen Gesprächspartner_innen kam und je offener ich mich politisch positionierte. Um zu verdeutlichen, was damit gemeint ist, gebe ich im Folgenden einen Auszug aus der Einleitung des Buches wieder.

Eine Ethnografie der Feindschaft

„Als Ethnografie der Feindschaft stellt dieses Buch auch die Frage, was in einer ethnografischen Begegnung mit Menschen passiert, deren politisches Programm die forschende Person für gefährlich hält. Menschen, deren Überzeugungen sie mindestens als naiv, häufiger aber sogar als bedrohlich empfindet, und deren Aussagen, Unterhaltungen, Slogans, Witze, Affekte – ja, deren Gegenwart sie nur schwer erträgt. Die Logik von Freund und Feind, die ich aus meinem ethnografischen Material herausarbeite, manifestierte sich nicht nur in den politischen Narrativen und Praktiken meiner Gesprächspartner_innen, sondern sie lag auch den Interaktionen zwischen ihnen und mir zugrunde. Denn auf einer mir zunächst nicht bewussten Ebene hatte ich das zutiefst vergeschlechtlichte politische Imaginäre meines Feldes, das die Welt in Freund und Feind einteilt, verinnerlicht. Ich hatte begonnen, die Beziehung zwischen mir und dem Feld durch die Augen dieses Feldes zu betrachten – und insofern eine verstörende Gemeinsamkeit mit dem Feld entwickelt. Die Logik der Feindschaft ist verlockend, möglicherweise in bestimmten Situationen unverzichtbar, doch der Wille zum Feind ist auch ein Teil jenes Faschismus, der, wie Michel Foucault schreibt, ‚in uns allen‘ droht. ‚One of the dangers posed by fascism is to imagine oneself immune to its seductions‘, schreibt der Kulturanthropologe Douglas Holmes (2016: 1).

Was bedeutet es also, einen Feind zu haben? Wie erscheint die Welt, wenn die Anderen, mit denen ich sie teile, entweder Freunde oder Feinde sind? Wer sind diese Freunde, wer diese Feinde? Wie begegne ich den Anderen, wenn ich sie mit diesen Augen sehe? Kann ich meine Feinde erforschen? Sie nicht nur erklären, sondern verstehen? Was passiert, wenn sie nicht bloß in der Vorstellung existieren, als Konstrukte des Imaginären, sondern verkörpert in Form von konkreten Personen vor mir stehen? Müssen wir die Logik von Freund und Feind kategorisch zurückweisen – oder gibt es Momente, in denen auch Demokrat_innen nicht anders können, als einen Feind zu identifizieren, etwa im Angesicht der antidemokratischen, rassistischen äußersten Rechten?

In diesem doppelten Sinne ist dieses Buch eine Ethnografie der Feindschaft: Zum einen analysiere ich das politische Imaginäre der äußersten Rechten als eine Figuration, die aus Freund-Feind-Relationen besteht. Das heißt, ich versuche nachzuvollziehen, was es bedeutet, auf der Landkarte der politischen Welt Freunde und Feinde einzuzeichnen, Grenzen zu markieren, die mal mehr, mal weniger durchlässig sind, gewissermaßen Fronten zwischen Kriegsparteien zu ziehen, mit anderen Worten: die Existenz von Feinden zur Voraussetzung des Politischen zu machen. Ausgehend von den Aushandlungen um die Position von Homosexuellen innerhalb dieser politischen Landkarte versuche ich, das politische Imaginäre der äußersten Rechten insgesamt zu erschließen. Zum anderen reflektiere ich kritisch meine Erfahrung der Begegnung mit einem Feld, das ich selbst als Feind zu sehen gelernt hatte – und ich versuche, diese Logik der Feindschaft zu dekonstruieren.“ (Wielowiejski 2024: 15f.)

Unsere politische Gegenwart, in der die AfD – bisher nur auf Landesebene – aus Wahlen als stärkste Kraft hervorgehen kann, macht deutlich, wie sehr das politische Imaginäre aus Freund und Feind unsere Gesellschaft inzwischen prägt. Wie ich in dem Buch zeige, ziehen äußerste Rechte die Grenze zwischen Freund und Feind auf der Ebene von Sexualität nicht mehr zwischen ‚Hetero‘ und ‚Homo‘, sondern zwischen essentialistischen und emanzipatorischen Lebensentwürfen und Praktiken. Demokrat_innen sind dementsprechend vor die Herausforderung gestellt, für ein breites Spektrum an Lebensformen Platz zu schaffen – und sich zugleich jenen entschieden entgegenzustellen, die Pluralität vernichten wollen.

 

Literatur

Holmes, Douglas (2016): „Fascism 2“. In: Anthropology Today 32 (2), S. 1–3.

Mense, Thorsten und Judith Goetz (2024): „Linke Analysen einer modernisierten rechtsextremen Partei. Eine Einleitung“. In: Dies. (Hrsg.): Rechts, wo die Mitte ist. Die AfD und die Modernisierung des Rechtsextremismus. Münster: Unrast. S. 7–15.

Wielowiejski, Patrick (2024): Rechtspopulismus und Homosexualität. Eine Ethnografie der Feindschaft. Frankfurt a.M./New York: Campus.

 

Patrick Wielowiejski ist promovierter Kulturanthropologe und wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin, wo er die DFG-Forschungsgruppe „Recht – Geschlecht – Kollektivität“ koordiniert. Seine Forschungsinteressen sind Politik- und Rechtsanthropologie sowie Geschlecht und Sexualität in der äußersten Rechten. Seine Dissertation mit dem Titel „Rechtspopulismus und Homosexualität. Eine Ethnografie der Feindschaft“ erscheint am 18. September 2024 im Campus Verlag (Open Access)