A Desk of One’s Own
Wie wichtig räumliche Voraussetzungen für das Verfassen von Texten sind und wie oft es daran gerade für Frauen mangelt, beschreibt Virginia Woolf in „A Room of One’s Own“. Dieses von Feministinnen und Schriftstellerinnen oft zitierte Essay erhielt in der Pandemie und der damit einhergehenden abrupten Verlagerung vieler Schreibtischarbeiten ins eigene Zuhause eine neue Brisanz.
Ich arbeite seit März 2022 als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrbereich Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse. Mein Schreibtisch steht im Institut für Sozialwissenschaften (ISW), wo ich 2020 mein Masterstudium abgeschlossen habe. Das Ende meines Studiums fiel mit dem Beginn der Pandemie zusammen und ich war bei meinen anschließenden Jobs bisher ausschließlich im Homeoffice. Der Schreibtisch am ISW ist somit mein erster eigener Arbeitsplatz außerhalb meines WG-Zimmers. Ich war während der Pandemie immer sehr dankbar, einer Arbeit nachzugehen, die so einfach in mein Zuhause verlagert werden konnte. Und doch merke ich nun, dass es vieles erleichtert, einen Platz zum Arbeiten zu haben, an dem ich mich ausbreiten kann und den ich meinen Arbeitsbedürfnissen entsprechend gestalten kann.
Auf meinem Schreibtisch
Im Moment liegen auf meinem Schreibtisch vor allem Bücher und Post-Its, auf denen weitere Literatur notiert ist, die ich bald aus der Bibliothek ausleihen will. Denn ich stehe am Anfang meiner Promotion und lese zur Zeit viel. In meinem Dissertationsprojekt beschäftige ich mich mit der Position von Sorgearbeit im kapitalistischen Re-/Produktionsverhältnis. Insbesondere interessieren mich dabei die Arbeitsverhältnisse im Bereich Geburtshilfe und wie Hebammen sich für gute Arbeitsbedingungen engagieren und als politische Subjekte in Erscheinung treten.
Zudem steht selbstverständlich mein Monitor auf dem Schreibtisch. Dieser ist im Vergleich zu meinem privaten Laptopbildschirm riesig, was dazu verleitet noch mehr Tabs gleichzeitig offen zu haben, aber die Größe hilft auch dabei, den Überblick zu behalten. Ich habe auch immer einen Bleistift, einen Anspitzer, ein Notizbuch und meinen Kalender griffbereit. Denn beim Lesen mache ich mir gerne handschriftliche Notizen, die ich mit vielen Pfeilen versehen und ggf. wieder wegradieren kann.
Feministische Perspektiven auf Arbeit und Gesellschaft
Die Art und Weise wie Sorgearbeit gesellschaftlich organisiert wird, ist eine der wichtigsten sozialen Fragen. Denn unabhängig von der wirtschaftlichen und technologischen Entwicklung sind alle Menschen im Laufe ihres Lebens auf die Sorge anderer angewiesen. Gegenwärtig ist das Thema besonders relevant, da sich vielfältige Krisenerscheinungen im Bereich der sozialen Reproduktion zeigen: Individuen haben nicht genügend Zeit und Geld, um angemessen für sich selbst und andere zu sorgen, Pflegekräfte in Krankenhäusern und Altenheimen klagen über Personalmangel und Überlastung. Materialistisch-feministische Analysen zeigen die Ursachen dieser Krisen auf und geben Anregungen für gesellschaftliche Veränderungsprozesse.
Sorge als Bereich politischer Auseinandersetzungen
Die Auseinandersetzung mit theoretischen Analysen und Transformationsentwürfen ist für meine Arbeit zentral. Gleichzeitig ist es für eine soziologische Perspektive wichtig, die realen Veränderungen und die gesellschaftlichen Akteur*innen in den Blick zu nehmen. Und im Bereich der Pflegearbeit ist gerade viel im Umbruch. In Berlin und Nordrhein-Westfalen fanden kürzlich erfolgreiche Streiks des Pflegepersonals und auch der Hebammen in Krankenhäusern statt, an deren Ende Entlastungstarifverträge geschlossen wurden. Diese Widerstände können einerseits als Indiz für eine Verschärfung des Pflegenotstands gesehen werden. Andererseits zeigt sich darin auch eine Politisierung der Sorgearbeit, die einen Ausgangspunkt für Aufwertungsprozesse dieser Arbeit darstellen kann.
Lehre als Ort gelebter feministischer Genealogie
Für mich als Studentin war die Auseinandersetzung mit der Verknüpfung von geschlechter- und arbeitssoziologischen Themenbereichen prägend, um die Genese und Persistenz gesellschaftlicher Ungleichheitsstrukturen zu verstehen. Es war für mich sehr bereichernd in Berlin bei zahlreichen Dozentinnen studieren zu können, die in ihren Lehrveranstaltungen die Verflechtungen des Geschlechterverhältnisses mit dem wirtschaftlichen Re-/Produktionsverhältnisses vermittelt haben.
Deshalb freue ich mich sehr, dass ich nun selbst Lehre in diesem Themenbereich anbieten kann. Der Austausch mit den Studierenden ist auch für mich immer wieder bereichernd. Denn die Studierenden schauen mit unterschiedlichen Perspektiven auf die Themen und stellen neue Fragen an die Texte, die mitunter an meinen mit der Zeit gefestigten Lesarten rütteln. Und das ist gut so. Denn die Lehre in der Geschlechterforschung ist ein Ort, an dem das bisherige Wissen der feministischen Theorie und Forschung weitergegeben wird, aber auch lebendig gehalten und weiterentwickelt wird.
Um meinen Schreibtisch herum
Neben meinen Arbeitsmaterialien stehen ein paar Pflanzen auf meinem Schreibtisch und um ihn herum. Denn so praktisch ein eigener Arbeitsplatz an der Universität auch ist – wirklich persönlich und schön ist er (noch) nicht. Besonders schätze ich die Umgebung, in der mein Schreibtisch steht: Ich teile mir das Büro mit meiner Kollegin Lena Schürmann und gegenüber sitzen Christine Wimbauer, Julia Teschlade, Eugenia Milanov, Jule Furthmann und Johanna Rükgauer.
Die theoretische und analytische Arbeit ist oft eine ziemlich individuelle, die Ruhe und Konzentration braucht. Für das wissenschaftliche Arbeiten und insbesondere fürs Schreiben ist es sicherlich zuträglich, einen Raum oder zumindest einen eigenen Schreibtisch zu haben. Doch mindestens ebenso wichtig ist ein Umfeld von Menschen, mit denen man sich fachlich austauschen, gegenseitig kritisieren und unterstützen kann. Und ich bin sehr froh, dass ich hier an der HU, mit dem Lehrbereich, dem Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien und den Studierenden in meinen Seminaren ein so großes und vielfältiges Umfeld für feministische Diskussionen habe.
Carolin Blauth, M.A., hat zuerst Soziologie und Politische Theorie in Chemnitz und Toulouse studiert und dann Sozialwissenschaften in Berlin. Zurzeit arbeitet sie als Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrbereich Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse des Instituts für Sozialwissenschaften der HU Berlin und ist Zweitmitglied am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien. Sie interessiert sich für feministische Theorie, Fragen der Sozialen Reproduktion und Care-Arbeit sowie für materialistische Gesellschaftsanalyse.