Was hat Gender mit den MINT-Fächern zu tun und wie können Genderthemen in den MINT-Fächern gelehrt werden? Diesen Fragen begegnet das Projekt „Gendering MINT digital“ der Humboldt-Universität zu Berlin seit 2018 mit der Entwicklung neuer Open Educational Resources (OER). Nach einem Relaunch am 08.12.2020 lädt das Projekt nun zur Nutzung seiner neuen und überarbeiteten digitalen Tools ein. Sie wurden in den vergangen drei Jahren von Kooperationspartner*innen in der Lehre erprobt und im Projekt überarbeitet. Auch die Erfahrungen, die Teilnehmer*innen während des Abschlusssymposiums „Potential digital für Gendering MINT“ (02.-03.09.2020) mit den OER machten, gingen in die Überarbeitung der OER ein. Jetzt stehen die OER in einer weiterentwickelten Version zur freien Nutzung zur Verfügung.
Die Zielgruppe
Die OER richten sich vor allem an Lehrende der MINT-Fächer, aber auch Geistes- und Sozialwissenschaftler*innen können sie in ihrer Lehre nutzen. Darüber hinaus eignen sich die OER für alle Interessierten, die mehr über die Gender Studies im Zusammenhang mit den Natur- und Technikwissenschaften wissen möchten. Vorkenntnisse sind weder in den Gender Studies noch in den Natur- und Technikwissenschaften erforderlich.
Die Lerneinheiten
Die OER wurden in einem Portal zusammengestellt. Es besteht aus acht Lerneinheiten mit digitalen Lernvideos und Lernkursen, deren Texte bildlich illustriert und aufgelockert sind. Begleitet werden sie von Quizzen und Reflexions- und Vertiefungsaufgaben. Sie können unabhängig voneinander bearbeitet werden. Mit den Lerneinheiten lassen sich Genderthemen in die MINT-Fächer integrieren, Reflexions- und Diskussionsimpulse herstellen und die MINT-Fächer in einen Dialog mit der Genderforschung bringen. Sie decken ein breites Themenspektrum ab: Eine Lerneinheit führt fächerübergreifend in zentrale Theorien und Begriffe der Gender Studies und in die feministische Wissenschaftsforschung ein. Zwei weitere fächerübergreifende Lerneinheiten stellen die Technoscientific Literacy (eine Weiterentwicklung der bildungswissenschaftlichen Scientific Literacy/Technological Literacy) vor und erläutern die Verknüpfung der Gleichstellungsarbeit mit der Genderforschung. Vertiefend erklären fünf fachspezifische Lerneinheiten Genderthemen in der Biologie, Chemie, Informatik, Mathematik und Physik.
Die Lehrenden der Natur- und Technikwissenschaften nutzten die OER, um sich selbst stärker in Genderthemen einzuarbeiten und um die Rolle der Kategorie Geschlecht in ihrem Fach in die Lehre zu integrieren. Besonders positiv beschreiben sie z.B. die Denkanstöße und Handlungsoptionen für den Unterricht (Prof. Dr. Burghard Priemer, HU Berlin, Fachdidaktik Physik), die Vorschläge für die Didaktik und die anschaulichen Anwendungsbeispiele aus der und für die Praxis (Prof. Dr. Rüdiger Tiemann, HU Berlin, Fachdidaktik Chemie), die abwechslungsreiche mediale Aufbereitung (Prof. Dr. Bernadette Spieler, Universität Hildesheim, Informatik), die prägnante Aufbereitung der feministischen Epistemologie (Prof. Dr. Corinna Bath, TU Braunschweig, Maschinenbau) und die gelungene Vermittlung grundlegender Begriffe der Gender Studies, die vielfältige Sichtweisen auf die Biologie ermöglicht und tolle Diskussionen anregt (Dörthe Ohlhoff, Universität Hamburg, Fachdidaktik Biologie). Lehrende der Gender Studies nutzen die Lerneinheiten, um die genderthematischen Wissensbestände in den MINT-Fächern den Studierenden der Sozial- und Kulturwissenschaften zu vermitteln. Hier wurde sehr genau abgewogen, inwieweit die Erklärvideos ohne Vernachlässigung der Text-Lektüre eingesetzt werden können.
Reflexion der OER: Komplexitätsreduktion, Heteronormativität und Digitalität
Von Beginn an war das Projektteam mit den Herausforderungen der Komplexitätsreduktion und der anschaulichen Darstellung einer Geschlechtervielfalt anstelle von heteronormativen Strukturen beschäftigt. Die Überlegungen hierzu wurden von den queer-feministischen Expert*innen Florian C. Klenk (TU Darmstadt), Inga Nüthen (Universität Marburg) und Juliette Wedl (TU Braunschweig) unterstützt. Anhand der OER diskutierten sie, wie eine queere Pädagogik unter Einbezug intersektionaler Zugänge für die MINT-Fächer in digitalen Medien gestaltet werden könne, wie heteronormative Verhältnisse ohne ihre Rekonstruktion erklärt werden können und wie Erzählungen über Wandlungsprozesse helfen können, eindimensionale Fortschrittsnarrationen zu vermeiden. Ihre kritisch-konstruktive Auseinandersetzung mit den Lerneinheiten wurde in dem Video „Queering MINT digital“ zusammengestellt. Es ist nun als Teil der OER in dem Portal von „Gendering MINT digital“ veröffentlicht.
Neugierig geworden? Alle Lerneinheiten stehen in dem Portal „Gendering MINT digital“ für alle Interessierten open access zur Verfügung.
Smilla Ebeling ist Biologin und promovierte Wissenschaftsforscherin mit Schwerpunkten in den Feminist Science Studies, den Animal Studies, der Museumsforschung und der Biologiedidaktik. Seit 1997 ist sie in verschiedenen Positionen an internationalen und deutschen Universitäten tätig. Zum Beispiel war sie Juniorprofessorin für Gender, Biotechnologien und Gesellschaft an der Universität Oldenburg und Gastwissenschaftlerin am Center for Advanced Feminist Studies der University of Minnesota (USA). Ihr Interesse, queere Räume in der Öffentlichkeit zu schaffen, verfolgte sie als Geschäftsführerin des queeren Hamburger Kulturcafés café munck. Derzeit arbeitet sie als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Gendering MINT digital (HU Berlin).