Forschungsdaten sind gleichzeitig Produkt und Grundlage von Wissenschaft. Wie sich diese Daten verwalten, sichern und archivieren lassen, um später auch gegebenenfalls anderen Forscher_innen zur Nachnutzung zur Verfügung zu stehen, ist Gegenstand des Forschungsdatenmanagements. Forschungsdatenmanagement (FDM) und die dazugehörigen Infrastrukturen gewinnen zunehmend an Relevanz in der Forschungslandschaft. Jedoch ist FDM sehr ungleich in den einzelnen Disziplinen etabliert, was auch zu einem Ungleichgewicht in den vorhandenen Forschungsdateninfrastrukturen führt. Wie es genau in den Gender Studies aussieht, haben wir mit unserer Bedarfsanalyse untersucht, deren Ergebnisse jetzt vorliegen. Befragt wurde die deutschsprachige Gender Studies Forschungscommunity unabhängig von Fachbereich, Institutionen und akademischen Grad im Versuch die gesamte disziplinäre Bandbreite der Gender Studies abzubilden.
Kurz zusammengefasst: Großes Interesse – fehlende Praxis
Während die Bedarfsanalyse zu verschiedenen Bereichen abgefragt hat – Umgang mit Forschungsdaten, Erwartungen an sowie Potenziale und Barrieren von FDM – lässt sich ein zentrales Ergebnis in einem Satz zusammenfassen: Die Mehrheit der Befragten unterstützt die Idee des FDM, doch fast niemand praktiziert es. Das liegt auch daran, dass es viele Belange gibt, wo Rechtssicherheit, Beratung oder Strukturen sowie praktische Hilfe zur Umsetzung fehlen. Auf dem Weg zur Etablierung von FDM in den Gender Studies liegen also noch viele Hindernisse. Gleichzeitig bestehen schon ein weitreichendes Interesse an dem Thema und die Bereitschaft auf Seiten der Forschenden sich mit FDM zu befassen. Hier muss angesetzt werden, um ein praktikables, forschungsnahes sowie Disziplinen abhängiges Vorgehen zu entwickeln, Forschungsdaten während des Forschungsprozesses zu sammeln, aufzuarbeiten und zu archivieren.
Ein Blick auf die Zahlen
Die Diskrepanz zwischen Bereitschaft und praktischer Umsetzung lässt sich schnell aus den folgenden Zahlen ablesen. So gaben über die Hälfte (58%) der Befragten an, dass sie bereit wären, ihre Forschungsdaten in einem Repositorium abzulegen. Jedoch hatten nur 4% der Befragten schon einmal ihre Forschungsdaten in einem Repositorium archiviert. Ähnlich sieht es bei der Nachnutzung von Forschungsdaten aus: 90% antworteten auf die Frage „Haben Sie schon einmal in einem Repositorium abgelegte Forschungsdaten anderer Forscher_innen heruntergeladen und/oder nachgenutzt“ mit nein. Erste Aufschlüsse darüber, wie die Diskrepanz zustande kommt, liefern die Antworten auf die Frage „Wie gut schätzen Sie Ihre Kenntnisse im Bereich Forschungsdatenmanagement (FDM) ein?“. Nach eigenen Angaben haben fast die Hälfte der Befragten (47%) nur geringe Kenntnisse über FDM, ein Viertel hatte vor Teilnahme an der Umfrage noch nie von FDM gehört. Hier wird der Bedarf an Informationsangeboten, die sich nah an den Forschenden orientieren, deutlich.
Hürden bei der Umsetzung sind nicht nur fehlende Kenntnisse, sondern besonders auch Ungewissheit über die rechtliche Lage (70%) und fehlende Ressourcen zur sachgemäßen Umsetzung (60%). Der Hälfte der Befragten fehlte die fachliche Beratung zur Umsetzung. Besonders in der Forschung mit sensiblen bzw. personenbezogenen Daten zeigen sich viele Probleme. So fällt besonders in diesem Bereich ein großer Mehraufwand für die Anonymisierung der Daten an. Teilweise ist eine verlässliche A
nonymisierung auch gar nicht möglich, weil die Charakteristika zu spezifisch, die Auswahlgruppe von vornherein sehr klein oder die befragten Personen zu bekannt sind. Auch den Nutzen und die Aussagekraft von stark anonymisierten Daten bezweifelten viele Forschende in diesem Kontext. Ein Teil der Befragten machten sich auch über potenzielle negative Effekte des FDM Sorgen, entweder über den missbräuchlichen Zugriff durch Dritte, wenn die Daten in einem Repositorium archiviert werden oder die abschreckende Wirkung auf zukünftige Proband_innen.
Trotz aller Bedenken und Probleme sehen die Forschenden aber auch viele Vorteile im FDM. Besonders drei Aspekte wurde immer wieder benannt: Die einfachere Reproduktion von Forschungsergebnissen, die Möglichkeit der Nachnutzung von Forschungsdaten durch Dritte unter anderen Gesichtspunkten/mit anderen Forschungsfragen sowie die Vermeidung doppelter Erhebung von Daten. Für ein transdisziplinäres Feld wie die Gender Studies sind das entscheidende Potenziale. Auch Transparenz und Nachvollziehbarkeit von Forschungsergebnissen werden als ein Vorteil angesehen. FDM wird außerdem als Möglichkeit der Sicherung von Daten benannt. Auch sehen die Befragten im FDM das Potenzial, wissenschaftlichen Austausch und Kooperationen zu stärken. Es zeigt, dass viele Forschende Vorteile in der Bereitstellung von Daten in Repositorien sehen, diese aber in der Praxis durch verschiedene Hürden erschwert bis unmöglich gemacht werden.
Was braucht eine gute Forschungsdateninfrastruktur?
Das haben wir unsere Umfrage-Teilnehmer_innen gefragt und auch in den Interviews besprochen. Die Antworten decken sich mit den zuvor angesprochenen Problemen und Hürden des FDM. Neben der guten Verschlagwortung von Daten, die drei Viertel der Befragten wichtig fanden, sind Beratungsangebote in verschiedenen Formen (rechtliche und fachliche Beratung, aber auch Schulungen und Online-Informationsportale als zentral angegeben worden. Auch besteht großes Interesse an einem interdisziplinären Repositorium der Gender Studies, welches ähnlich wie die Verschlagwortung auch der besseren Auffindbarkeit von relevanten Forschungsdaten dienen würde. Auch wünschten sich fast 50% der Befragten Unterstützung bei der Erstellung von Datenmanagementplänen, die zunehmend bei der Beantragung von Fördermitteln gefordert werden.
Die Bedarfsanalyse ‚Forschungsdateninfrastrukturen in den Gender Studies‘ deckt sich in ihren Ergebnissen in wesentlichen Punkten mit bereits durchgeführten Umfragen zum Umgang mit Forschungsdaten. Generell gibt es ein Interesse an FDM, da viele Forschende Vorteile in der Bereitstellung von Daten sehen. Gleichzeitig identifizierten wir und andere Studien bestimmte Problemfelder, die FDM besonders in ausgewählten Disziplinen hemmen. Zudem wird deutlich, dass es einige persistente Herausforderungen gibt, die nur langsam angegangen werden. Auch der von einer Zweidrittelmehrheit angeführte Wunsch nach einem Gender Studies-Repositorium zeigt eine Leerstelle in jetzigen Infrastrukturen auf, da diese die Transdisziplinarität der Gender Studies nicht bedienen können oder die Verschlagwortung zum Auffinden gender-relevanter Datensätze nicht gegeben ist. Für viele Wissenschaftler_innen bedeutet FDM anfänglich mehr Aufwand ohne gleichzeitig einen Nutzen daraus zu ziehen. Die Antwort aus einem der Interviews, man könne sich vorstellen FDM zu betreiben, wenn sich eine diesbezügliche Kultur etabliert hat, trifft den Kern des Problems.
Die Klärung von Rechtsfragen und eine fachliche Beratung, die eng mit den Forschenden zusammenarbeitet, wären die nächsten Schritte, um FDM möglichst Disziplinen übergreifend zu etablieren. Wichtig ist dabei, die Bedürfnisse der Forschenden in den Mittelpunkt zu stellen. Denn sie sind es, die FDM in ihr Aufgabenspektrum in einem zunehmend prekären Wissenschaftsbetrieb integrieren müssen und zudem das wichtigste Gut des FDM liefern: ihre Forschungsdaten.
Katrin Frisch ist assoziiertes Mitglied am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien. Sie promovierte über Interdependenzen von rechter Ideologie und englischsprachiger Literatur. Vor Kurzem erschien ihr Buch The F-Word. Pound, Eliot, Lewis, and the Far Right. Ihre Forschungsschwerpunkte sind diskursive Gewalt und Machtstrukturen in kulturellen Praktiken. In ihrer Freizeit versucht sie, das Internet etwas feministischer zu machen.