Das Bild zeigt eine Collage abstrakter Lichtkunst-Videoinstallationen in den Farben orange, blau und rot-violett.

Doing the Undone: Interdisziplinärer Workshop „Endometriose – Aktuelle und historische Bilder in Medizin und Kultur“

Während die Auseinandersetzung mit der als ‚Frauenkrankheit‘ bezeichneten Endometriose auf Social Media, in Selbsthilfegruppen, Ratgeberliteratur, Dokumentarfilmen, Podcasts und alternativer Medizin zunehmend an Aufmerksamkeit gewinnt, bleibt das Thema in der medizinischen Forschung sowie kulturwissenschaftlichen Problematisierung, insbesondere im deutschsprachigen Raum, weithin unterrepräsentiert. Diese anhaltende Ignoranz gegenüber einem körperlichen Phänomen, das für die zahlreichen Betroffenen oft mit extremen Schmerzen und Einschränkungen in der Lebensqualität verbunden ist, perpetuiert die Gleichgültigkeit gegenüber weiblich codiertem Schmerz. Hier setzte – ausgehend vom gleichnamigen Seminar – am 1. und 2. November 2024 der zweiteilige Workshop „Endometriose – Aktuelle und historische Bilder in Medizin und Kultur“ am Institut für Kulturwissenschaft der Humboldt-Universität zu Berlin an. Konzipiert von Julia B. Köhne und Britta Lange widmete sich das Programm dem bis dato als undone science (Nicky Hudson) zu beschreibenden ‚Krankheitsbild‘ in interdisziplinärer Perspektive.

Die zweitägige Veranstaltung thematisierte die Konstruktion und (Un-)Sichtbarmachung von Endometriose aus Sicht der Medizin, Medizingeschichte, Kulturwissenschaft, Soziologie und Geschlechterforschung. Im Zentrum standen historische und gegenwärtige Repräsentationen sowie die Verflechtung von Medizin und Geschlecht. Besondere Aufmerksamkeit galt dem männlich dominierten „medical gaze“ und der Stigmatisierung weiblich konnotierter Krankheitsbilder, die Parallelen zur historischen Diagnose „weibliche Hysterie“ aufweisen.

Endometriose im Film: Bildmodi zwischen Selbst- und Fremdzuschreibungen

Im Fokus des ersten Workshop-Abends standen audiovisuelle Darstellungen von Endometriose: Welche Bildmodi werden in Medialitäten wie aktivistischen, künstlerischen, essayistischen und journalistischen Dokumentarfilmen und in Serienformaten verwendet? Wie überträgt sich der male gaze in den medical gaze oder endoscopic gaze (J. v. Dijck)? Wie wird Endometriose, deren physische Ursachen im Körperinneren liegen, durch medizinische Bildgebungsverfahren wie Sonographie und Laparoskopie oder andere Bildlichkeiten sichtbar gemacht?

Durch das Zeigen einer populären Darstellung wurde zunächst auf eine der dominanten Zuschreibungen an die Endometriose hingewiesen. In einer Episode der TV-Serie „In aller Freundschaft – Die jungen Ärzte“ liegt der Fokus bei der Behandlung einer Endometriose-Patientin eindeutig auf der Frage ihrer Reproduktionsfähigkeit. Die Serie folgt damit dem im öffentlichen Diskurs präsenten Schema der Reduktion vielfältiger Symptome auf die Gebärfähigkeit Betroffener. Hierdurch werden nicht nur die oft extremen Schmerzen und weiteren Symptombilder ausgeklammert, Betroffenen wird zudem – ungeachtet ihrer individuellen Lebensgestaltung und jeweiligen Geschlechtsidentität – eine primär reproduktive Rolle zugeschrieben.

Alternative Perspektiven bot der Kurzfilm „Endometriose. Gesichter des Chamäleons“ (2022) von Lena Müller, der vielfältige Symptombilder und persönliche Erfahrungen zeigt. Carolin Wiedenbröker verwendet im Dokumentarfilmessay „BEAST“ (2021) Lichtkunst-Videoinstellationen, um den medizinischen Blick auf ‚krankes‘ Gewebe ästhetisch zu hinterfragen. Die Dokumentation „Endo gut, alles gut“ (2021) von Nadine Grotjahn und Stefan Maicher lenkt den Blick auf den Zusammenhang von Endometriose und sexualisierter Gewalt. Zugleich gibt „Endo gut, alles gut“ expliziten Forderungen von Betroffenen und Involvierten nach mehr Forschung, neuen Therapiemöglichkeiten und gesetzlicher wie gesellschaftlicher Anerkennung Raum.

In allen gezeigten Filmen wird direkt oder indirekt die körperliche Autonomie von Personen mit Uterus thematisiert und ein überwiegend ermächtigendes Bild von Personen mit Endometriose in den popkulturellen Diskurs eingeführt.

Schmerzen und Stigmatisierung: Gute Patient:innen vs. schlechte Patient:innen

Der zweite Veranstaltungstag beleuchtete wissenschaftliche Perspektiven auf Schmerz, Gender und Stigmatisierung. Kate Seear (La Trobe University Melbourne) ging in ihrem Vortrag von der Tatsache aus, dass Endometriose-Betroffene aufgrund starker Schmerzen oft auf Substanzen wie Fentanyl oder Morphium angewiesen sind, die in Australien verschrieben werden. Damit werden von Endometriose Betroffene im Kontext der Opioidkrise in engen Zusammenhang mit den von Stigmata überladenen Konsument:innen von Opiaten gesetzt. Die Aufrechterhaltung der Kategorien ‚echte Schmerzpatient:innen‘ vs. ‚Drogenabhängige‘ führt dazu, dass sowohl Endometriose-Patient:innen als auch Patient:innen mit einer Drogenhistorie Schmerzmittel und damit eine notwendige gesundheitliche Versorgung in zahlreichen Fällen versagt werden.

In der Diskussion wurde die Diskriminierung queerer, trans und nicht-binärer Personen mit Endometriose thematisiert. Wie ist es für Menschen, die keine cis Frauen sind, Endometriose zu haben? Kann bzw. wie kann Endometriose von Weiblichkeitsbildern getrennt werden? Zudem wies das Publikum auf die Rassifizierung der Endometriose-Forschung hin, etwa den race gap in Australien und die kolonialen Auswirkungen auf Diagnostik und Behandlung hin. Ella Shohat zeigte bereits 1992 in ihrem Essay „Lasers for Ladies“, wie stark Rassismus die medizinische Praxis prägen kann.

Endometriose und Zeit: Chronische Schmerzen im Nexus von Neoliberalismus und dem Patriarchat

Ina Hallström (Stockholm University) verknüpfte in ihrem Vortrag „Endo Time: Endometriosis and the Flow of Recognition“ die Lebensrealität von Endometriose-Betroffenen mit feministischen Zeittheorien aus den Disability Studies, insbesondere Alison Kafers Konzept der „Criptime“. Diese hinterfragen zeitliche Ordnungssysteme im Kapitalismus, Patriarchat sowie in rassistischen und ableistischen Gesellschaften und entwickeln alternative Vorstellungen von Zeitlichkeit. Chronische ‚Krankheiten‘ stehen im Konflikt mit neoliberalen Zeitnormen wie Schnelligkeit und Effizienz, die produktive Arbeit priorisieren. Arbeitsunfähigkeit und Care-Arbeit werden dabei abgewertet, da sie diesen Zeitnormen widersprechen (vgl. White 2020). Abweichende Zeitwahrnehmungen werden ins Private verdrängt (vgl. Kafer 2013). Ziel feministischer Zeittheorien und von Criptime ist es, Anachronismen und Unsichtbares sichtbar zu machen: Zeit ist individuell, vielschichtig und von Brüchen geprägt.

Hallström stellte drei zentrale Zeitlichkeiten vor, die für das Verständnis der Lebensrealität von Betroffenen entscheidend sind. Waiting Time beschreibt das ständige Warten auf Diagnosen, Behandlungen oder Schmerzlinderung, das durch strukturelle Defizite im Gesundheitssystem verursacht wird und Betroffenen Teile ihrer Gegenwart und Zukunft nimmt. Die zyklische Zeitlichkeit der Endometriose-Symptome, eng verbunden mit dem Menstruationszyklus, nennt Hallström Cyclical Time. Ohne Behandlung wandelt sich diese jedoch in Chronic Time, eine Chronifizierung der Schmerzen. Ergänzend spricht sie von Sedimented Time, die die Verbindung vergangener Zeit mit der körperlichen Materialität beschreibt – etwa durch häufige Toilettengänge oder starke Blutungen, die den normativen kulturellen Rhythmen widersprechen.

Endometriose ist an dieser Stelle ein Beispiel für soziale Ungerechtigkeit, bei der Geschlecht und Zeit zu zentralen Achsen werden. Um die besonderen Zeitlichkeiten chronisch ‚Kranker‘ anzuerkennen, müssen gesellschaftlich und politisch marginalisierte zeitliche Erfahrungen in gängige Zeitpolitiken integriert werden.

Ausblick: Zwischen Prekarität und Hoffnung

Die museale Ausstellbarkeit von Endometriose beleuchteten Franka Schneider (Museum Europäischer Kulturen) und Monika Ankele (Berliner Medizinhistorisches Museum der Charité). Ankele wies auf die Schwierigkeit hin, explizite historische Quellen und Darstellungen zu Endometriose zu finden, was die Frage nach der materiellen Kultur zu diesem Thema offenlässt. Chiara Kindel (M.A. Kulturwissenschaft) analysierte in ihrer Masterarbeit den printmedialen Diskurs zu Endometriose und zeigte, wie stark das Sprechen darüber von misogynen Bildern und der Tabuisierung von Menstruation geprägt ist.

Sylvia Mechsner, Leiterin des Endometriose-Zentrums der Charité, verdeutlichte die Folgen der Unterfinanzierung der Endometriose-Forschung: Unterbehandlung und ökonomisch motivierte, invasive Eingriffe. Studentische Projekte aus einem Seminar von Christine Wimbauer (Institut für Sozialwissenschaften, HU) zeigten zudem, wie neoliberale Ideologien den Diskurs und die Lebensrealität Betroffener prägen.

Immer wieder wurde im Workshop betont, was in Bezug auf Endometriose bisher „undone“ geblieben ist. Im interdisziplinären Austausch wurde deutlich, wie stark Fragen von Geschlechtergerechtigkeit, Race, Neoliberalisierung und der Fokussierung auf heterosexuelle Reproduktion die Forschung und den gesellschaftlichen Umgang beeinflussen. Der Workshop machte die Dringlichkeit weiterer Forschung und den Wert solcher Diskursräume deutlich, in denen Betroffene und Wissenschaftler:innen gemeinsam Perspektiven entwickeln. Die Stimmen sind vorhanden, werden jedoch vielfach aus politischen und gesellschaftlichen Räumen verdrängt; dies gilt es zu ändern.

 

Literatur

Dijck, José van (2001): Bodies without Borders. The Endoscopic Gaze, in: International Journal of Cultural Studies 4(2): S. 219-237.

Hallström, Ina (2024): Endo Time: Endometriosis and the Flow of Recognition, in: Hypatia 39(2): S. 423–443.

Hudson, Nicky (2021): The missed disease? Endometriosis as an example of ‘undone science,’ in: Reproductive Biomedicine & Society Online, URL: https://doi.org/10.1016/j.rbms.2021.07.003 (Zugriff: 18.12.24).

Kafer, Alison (2013): Feminist, Queer, Crip. Bloomington, Indiana: Indiana University Press.

Mechsner, Sylvia (2021): Endometriose – Die unterschätzte Krankheit: Diagnose, Behandlung und was Sie selbst tun können, München: ZS.

Seear, Kate (2014): The makings of a modern epidemic: Endometriosis, gender, and politics. Surrey: Ashgate Publishing.

Shohat, Ella (1992): Lasers for Ladies. Endo Discourse and the Inscriptions of Science, in: Camera Obscura. Feminism, Culture, and Media Studies 10(2): S. 57–90.

 

Links

Endometriose Selbsthilfe Gruppe Berlin: https://endo-shg-berlin.de/

Endometriose-Vereinigung Deutschland e.V.: https://www.endometriose-vereinigung.de/

Endometriosezentrum der Charité: https://frauenklinik.charite.de/zentren/endometriosezentrum/

Stefan Maicher und Nadine Grotjahn: Endo gut, alles gut– ein Mutmachfilm über Endometriose (2021): https://www.youtube.com/watch?v=KRyBSeML190&ab_channel=Endogut%2Callesgut%E2%80%93derFilm

 

Titelbild

Lichtkunst-Videoinstallationen von Achim Mogge, 2021, Filmstills

 

Rosa Blens (sie/ihr) studiert im Master Kulturwissenschaft. Ihre Studieninteressen sind queer-feministische Theorie und Alltagspraktiken der Solidarität und des Widerstands.

Marlen Rieffel (keine Pronomen) studiert im Master Kulturwissenschaft. Marlens Studienschwerpunkte sind Sound Studies und Gender Studies.

Janne von Rönn (keine Pronomen) studiert im Master Kulturwissenschaft. Zuvor hat Janne im Bachelor Politikwissenschaft an der FU Berlin studiert und diesen mit einer Arbeit zu Feministischer Zeittheorie und Criptime abgeschlossen.

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