Co-Parenting findet zunehmend Aufmerksamkeit: Zwei oder mehr Menschen gründen eine Familie, sind sich aber nicht in romantischer Liebe verbunden. Das können Menschen gleichen oder verschiedenen Geschlechts sein, die gemeinsam eine Queer Family gründen. Menschen, die keine Liebesbeziehung anstreben oder deren Partner_in keine Kinder will – die Konstellationen sind vielfältig. Doch welche Auswirkungen hat Co-Parenting für die paarförmige Liebe – und für die Geschlechterverhältnisse?
Romantische Liebes-Semantik
Ausgangspunkt ist das Leitbild der romantischen Liebe, nach dem die Partner*innen füreinander dauerhaft und exklusiv Höchstrelevanz besitzen. Theoretisch ist die romantische Liebe egalitär, faktisch wurde sie im Ernährermodell geschlechterungleich überformt. Seit den 1970er Jahren lässt sich ein Wandel der Formen des Zusammenlebens zu mehr Egalität beobachten. Wenngleich Lebensformen jenseits der zweigeschlechtlichen Elternfamilie immer noch als nachrangig gelten, verflüssigt sich die Bestimmung dessen, was eine ‚Familie‘ ist (Peukert et al. 2020): Alleinerziehende und Patchworkfamilien, Zwei- oder Mehrelternfamilien aus dem LGBTTIQ*-Spektrum werden mehr. Auch polyamore oder freundschaftszentrierte Lebensweisen verbreiten sich, ebenso geplantes, postromantisches Co-Parenting.
Zukunft der Liebe: Dystopie, Pragmatik, Emanzipation, Utopie?
Konservative Stimmen deuten Co-Parenting als Verfallsgeschichte, als Ende der Vater-Mutter-Kind/er-Kern-Familie und von Liebesbeziehungen. Konträr argumentiert, aber ebenfalls kulturpessimistisch, kann schon die Idee der romantischen Liebe in Frage gestellt werden: Ist sie nicht ein bloßes Ideal, das nur wenige wirklich einlösen können? Ist die romantische Liebe nicht schlicht eine Erfindung des männlichen Bürgertums? Gerade für Frauen bedeutet/e die bürgerliche Kleinfamilie oft ökonomische Abhängigkeit, dank der ihnen zugewiesenen unbezahlten Fürsorgearbeit – verschleiert durch das zum Herrschaftsinstrument geratene Liebesideal. Mit zementiert werden die ungleichen Liebes-Verhältnisse durch die Butler‘sche heteronormative Matrix (Butler 1991).
Wie steht es also um die Zukunft der romantischen Liebe? Verunmöglicht sie sich selbst angesichts ins Uneinlösbare gesteigerter Ansprüche? Wenn Liebe sowieso nur „weh tut“ (Illouz 2011), warum dann nicht pragmatisch auf sie verzichten? Ist sie überhaupt notwendig, oder sind nicht Verlässlichkeit, Verantwortung und Zuneigung viel entscheidender für Familie? Und emanzipatorisch gewendet: Sind Co-Eltern jenseits romantischer Liebe vielleicht Egalitätsvorreiter? Ist es herrschaftskritisch nicht sogar gefordert, die hetero- und paarnormative romantische Zweier-Liebe zu entmachten, um anderen marginalisierten Formen von Liebe ein neues Existenzrecht zu verschaffen?
Co-Parenting könnte sich damit als Dystopie, als pragmatisches, egalitäres oder utopisches Familienmodell der Zukunft erweisen. Dies durchleuchte ich in dem Buch „Co-Parenting und die Zukunft der Liebe – Über post-romantische Elternschaft“ (Wimbauer 2021). Es beginnt mit dem Ideal der romantischen Liebe und der modernen Kleinfamilie: ihren Versprechen, Fallstricken und Ungleichheiten. Danach wende ich mich der Co-Elternschaft zu – auf Basis von Literaturstudien, Blogs und Ratgeberliteratur, Theaterstücken und „Gallery-Walks“, Gruppendiskussionen und Expert*inneninterviews sowie mittels Interviews mit faktischen oder potentiellen Co-Eltern und auf der Grundlage meiner Forschungen der letzten Jahrzehnte (etwa zu prekären Paaren und „Doing reproduction und doing family jenseits der ‚Normalfamilie‘“).
Hoffnungen und Wünsche der Co-Eltern
Welche Beweggründe und Hoffnungen haben die potentiellen Co-Eltern vor der Familiengründung? Gemeinsam ist ihnen ein ausgeprägter Kinderwunsch. Sie sehen ein Glücksversprechen in der Familie, die Familiengründung ist geplant und bewusst entschieden. Sie streben nach geteilter Verantwortung und einem freundschaftlichen Verhältnis. Allerdings werden sie bisweilen auch von Ängsten heimgesucht – wie vermutlich alle Eltern.
Emanzipationspotentiale
Wie steht es um die Emanzipationspotentiale von Co-Parenting? Es ermöglicht Familienglück jenseits des Liebes-Paares und ohne Abhängigkeit von einem Ernährer-Ehemann. Auch kann die Elternbeziehung emotional entlastet werden und birgt weniger Konfliktpotential. Augenfällig dreht sich in den Co-Parenting-Familien alles um des Kindes Wohl, und die Familien betonen durchwegs ihre große Liebe zum Kind. Schließlich zeigen sich durch die ‚Bonuseltern‘ Vorteile der größeren Zahl in Mehr-Eltern-Familien.
Herausforderungen
Es folgen Herausforderungen, Fallstricke und strukturelle Schwierigkeiten des Co-Parenting wie fehlende Rollenmodelle, Aushandlungsbedarfe und vergeschlechtlichte Streitpotentiale. Sehr augenfällig sind fortbestehende geschlechterdifferenzierende Ungleichheiten – auch jenseits von Liebe als Legitimation. Oft sind es auch hier Frauen*[1], die den Großteil der Sorgearbeit leisten und einen hohen mental load haben. Auch finden sich Benachteiligungen und rechtliche Diskriminierungen, vor deren Hintergrund ein elterliches Normalisierungshandeln verständlich wird. Augenfällig werden fehlende Rechte in Mehrelternfamilien, denn rechtlich sind in Deutschland nur zwei Eltern möglich. Dies ist besonders problematisch, wenn einem Elter oder Kind etwas zustößt.
Weder Dystopie noch Utopie
Zusammenfassend kann von einer Dystopie mitnichten gesprochen werden. Vielmehr wird eine hohe Bedeutung von Kindern deutlich. Exemplarisch eine Viereltern-Familie: Lena und Mira Lau-Mann haben zusammen mit Norbert Noon und Olaf Ohm zwei Kinder. Nach Liebe gefragt, sagt Co-Mutter Lena: „das ist die oberste Prio und ich glaube auch das, was uns mit den Kindern zusammenhält“.
Allerdings ist nicht nur den Kulturpessimist*innen eine Absage zu erteilen, sondern auch den Vorstellungen eines emanzipativ-utopischen Potentials, das sich in post-romantischer Elternschaft entfalte und Frauen aus patriarchalen sowie LGBTTIQ*s aus heteronormativen Herrschaftsverhältnissen befreie: Zum einen findet sich oft eine Hetero-Normalisierung, exemplarisch Norbert Noon: „also sind wir ganz normale äh ne ganz normale Familie“. Zum anderen leistet Lena, soziale Mutter der Kinder, in der Vierer-Konstellation gegen ihren Plan die allermeiste Sorgearbeit. Dies führt zu größeren Konflikten. Lena bringt das Problem auf den Punkt:
„Also nur, weil wir schwul und lesbisch sind, heißt das nicht, dass wir mit der Genderthematik umgehen können“ … „dieses Genderthema (…) das blockt uns irgendwie so.“
Deutlich werden also die auch hier bestehenden altbekannten Geschlechterungleichheiten und eine Nichtanerkennung weiblicher Sorgearbeit. „Same, same – but different“, so ist hier die Antwort auf die Frage nach dem emanzipatorischen und utopischen Potential von Co-Parenting. Zwar gibt es keinen Ernährer-Ehemann. Ein Ende geschlechterdifferenzierender Ungleichheiten und aller Abhängigkeiten geht aber nicht mit Co-Elternschaft einher – allenfalls das Ende der Möglichkeit, diese mit romantischer Liebe zu legitimieren.
Alternativen zur romantischen Liebe?
Zuletzt stelle ich Alternativen zur romantischen Zweierliebe vor. Diese reichen von antinatalistischen Konzepten, konsensuell nichtmonogamen Beziehungen oder einem clanförmig organisierten Matriarchat über Wahlverwandtschaften, Sorgegemeinschaften und freundschaftszentrierte Lebensweisen als tragfähige Formen der Sorge umeinander. Nicht unwahrscheinlich ist auch ein Festhalten an der romantischen Liebe. Dies sei allen unbenommen – wenngleich aus queer-feministischer Perspektive wenig für eine Verklärung romantischer Liebe spricht. Daher endet das Buch mit einem Ausblick auf ein Konzept umfassender, nichtromantischer Liebe. Eine Utopie? Lesen und beurteilen Sie es selbst.
Ausführlich
Wimbauer, Christine (2021): Co-Parenting und die Zukunft der Liebe. Über post-romantische Elternschaft. transcript Verlag.
Literatur
Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Illouz, Eva (2011): Warum Liebe weh tut: Eine soziologische Erklärung. Frankfurt am Main: Suhrkamp.
Peukert, Almut, Julia Teschlade, Mona Motakef, Christine Wimbauer und Elisabeth Holzleithner (2020): Sonderband 5 der Zeitschrift GENDER: Elternschaft und Familie/n jenseits von Heteronormativität und Zweigeschlechtlichkeit
[1] gemeint als soziale Kategorie, nicht als Identitätskategorie.
Christine Wimbauer ist Professorin für Soziologie der Arbeit und Geschlechterverhältnisse an der Humboldt-Universität zu Berlin. Arbeitsschwerpunkte: Geschlechterforschung, Soziologie der Arbeit (Erwerbs- und Sorgearbeit; u.a. Prekarisierung), Soziologie der Paar- und Nahbeziehungen, Liebe und Familien jenseits der Heteronorm, soziale Ungleichheit und Sozialstrukturanalyse, Sozial- und Familienpolitik, Anerkennungstheorie, qualitative Methoden der Sozialforschung. Sie ist u.a. Autorin von „Wenn Arbeit Liebe ersetzt“ (2012, Campus), „Das Paarinterview“ (2017, Springer VS, mit Mona Motakef) und „Prekäre Arbeit, prekäre Liebe. Über Anerkennung und unsichere Lebensverhältnisse“ (2020, Campus, mit Mona Motakef).