Anspruch auf eine gemeinsame Welt? Geschlecht in Umweltrecht und Umweltklagen

Im Sommer 2021 ist die DFG-Forschungsgruppe Recht-Geschlecht-Kollektivität in ihre zweite Forschungsphase gegangen. Auf dem Genderblog stellen die Teilprojekte in den kommenden Wochen ihre Forschungsvorhaben vor. Den Anfang macht das an der Juristischen Fakultät der HU Berlin angesiedelte Projekt „Ein Anspruch auf eine gemeinsame Welt? Geschlecht in Umweltrecht und Umweltklagen“

No climate justice without gender justice“ ist eine Forderung der Klimabewegung, die spätestens mit der UN-Klimakonferenz im Jahr 2007 Eingang auf der internationalen Bühne gefunden hat und seitdem auch als Frage einer erfolgreichen Klimapolitik im Raum steht. In der sozial- und geisteswissenschaftlichen Auseinandersetzung gelten Geschlechterhierarchien, Kolonialismus oder Wachstumslogik als Dimensionen spezifischer gesellschaftlicher Naturverhältnisse; über intersektionale oder posthumanistische Perspektiven erschließen sich laufend neue Blickwinkel auf die Klimakrise. Nach und nach beginnt sich diese Entwicklung auch im Rechtsdiskurs bemerkbar zu machen. Ein prominenter Schauplatz sind die sogenannten Klimaklagen.

Mit diesen Klimaklagen bahnt sich die Forderung nach Klimagerechtigkeit ihren Weg in die Instanzen. Aber: Inwiefern ist sie auch eine Forderung nach Geschlechtergerechtigkeit? Mit den Schweizer Klimaseniorinnen hat nun ein Klagekollektiv explizit geschlechterspezifische Auswirkungen der Treibhausgasemissionen vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) gebracht. Ist Geschlecht damit in der rechtlichen Arena rund um die Klimakrise angekommen?

In dieser Generalität ist die Frage wohl zu verneinen. Es wäre vorschnell, die sukzessive Präsenz von Geschlecht mit einer geradlinigen Entwicklung gleichzusetzen. Aus (Legal) Gender Studies und feministischen Rechtswissenschaften ist nur zu bekannt, dass die Abwesenheit von Geschlechterfragen nicht mit fehlender Bedeutung im jeweiligen Rechtsgebiet zu verwechseln ist. Viel eher verfügen hegemoniale Geschlechterkonzepte und stereotype Vorannahmen hier über das Privileg unhinterfragter Wirkmächtigkeit. Es ist daher davon auszugehen, dass die rechtliche Regulierung des Menschen und seiner Umwelt im Anthropozän bisher auf spezifische Geschlechterkonzepte aufgebaut hat. Über sie wissen wir aber noch nicht genug.

Technikrecht und Old Boys Club?

Als Rechtsbereich gilt das Umweltrecht als zunehmend globalisierter und fragmentierter Bereich. Querschnittsaufgabe ist der Schutz der Umwelt; Klimaschutzrecht lässt sich als ein Teilbereich verstehen. In seiner Schutzsystematik kommt das Umweltrecht traditionell ohne anspruchsberechtigtes Subjekt aus. Die Aufgabe, über die Einhaltung der objektiven Rechtslage zu wachen, kommt Umweltverbänden zu, die dazu Verbandsklagerechten ausgestattet sind. Es geht im Umweltrecht also um Schutz der Allgemeinheit – der Schutz der Umwelt steht im Dienst eines als „ins Kollektive gesteigerte[n] Überlebensinteresse[s]“ (Meßerschmidt 2011). So weist auch das Staatsziel der Erhaltung der Lebensgrundlagen für künftige Generationen (Art. 20a Grundgesetz) öko- wie anthropozentrische Dimensionen auf.

Auf Ebene der Rechtsgrundlagen ist Umweltrecht als Technikrecht ein perspektivischer Ansatzpunkt für Geschlechtertheorie; d.h. als Rechtsgebiet, das von Naturwissenschaftsbezügen dominiert und vom Glauben an die Machbarkeit einer technischen Lösung für Umweltschutzprobleme getragen ist. Das zeigt sich etwa an Technikklauseln, die Umweltrecht mit dem naturwissenschaftlichen Stand der Technik in dynamischer Beziehung halten. Risikovorsorge als fundamentales Prinzip und Zweck im Umweltrecht gestaltet sich dann als „Vorsorge nach Maßgabe der technischen Möglichkeiten“ (Rehbinder 2018). Über den Stand der Technik prägen „measured responses“ (Pulé/Hultman 2019) rechtlichen Umweltschutz; qualitativer Umweltschutz wird über quantitative Vorgaben verwirklicht. Aus der Rechtsdogmatik wird schon länger vor einer Verselbstständigung von Schutzkonzepten gewarnt (Steinberg 1998), welche sich ausschließlich für die Summe von Schadstoffen interessieren, nicht aber korrelierende Vulnerabilitäten beachten. Auch auf Akteursebene wird diese Kritik geschlechtertheoretisch interessant, wenn Expertenkreise auf EU-Ebene in der Literatur als „old boys networks“ (Lee 2014) benannt werden.

Klimaklagen: Anspruch auf eine gemeinsame Welt?

Ein Feld, in dem – intersektionale – Vulnerabilität gegenüber den Folgen der CO2-Anreicherung in der Atmosphäre bereits Thema rechtlicher Verhandlung ist, sind Klimaklagen. Besonders interessant sind die Klagen, die Geschlecht explizit zur Anspruchsgrundlage machen. Einer dieser Fälle ist gerade vor dem EGMR anhängig: Die Beschwerde der Schweizer Klimaseniorinnen. Diese positionieren sich als ältere Frauen und berufen sich auf Daten zu der sie überproportional treffenden Gefahr für Leben und Gesundheit durch Hitzeperioden als Folgen der Klimaerwärmung. Diese Betroffenheit bildet die Grundlage für das Vorbringen einer – menschenrechtlich relevanten, kollektivierten – Vulnerabilität und damit einer spezifischen aus den Artikeln 2 und 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) resultierenden Schutzpflicht der Schweiz.

Mit dieser Argumentation nutzen die Klimaseniorinnen eine Schnittstelle von Umweltrecht und Menschenrechten. Sie mobilisieren menschenrechtliche Kollektivierungs- und Kategorisierungslogik (ältere Frauen als spezifisch vulnerable Gruppe) sowie individuelle Anspruchsgrundlagen auf Schutz (von Leben und Gesundheit), um vor Gericht gehört zu werden und eine inhaltliche Entscheidung zu erwirken. Ein auf abstraktes Gemeinwohl ausgerichtetes Umweltrecht kann eine solche individuelle Prozessstellung nicht ohne Weiteres vermitteln. Im Verfahren der Klimaseniorinnen spielt es vor allem eine interpretative Rolle: Im Kern ordnen die Klimaseniorinnen die Schweizer Maßnahmen zur Senkung von Treibhausgasen als menschenrechtlich unzureichend ein. Bewertungsmaßstäbe sind die Sachstandsberichte des Weltklimarats und nicht zuletzt die Vorgaben des Übereinkommens von Paris, denen die Schweizer Klimaziele aus Sicht der Beschwerdeführerinnen nicht genügen (vgl. z.B. auch den  Fall Urgenda/Niederlande).

Ob das Vorhaben gelingt und die Klimaseniorinnen vor dem EGMR eine inhaltliche Entscheidung erwirken können, ist noch unklar. Bereits heute, in der Auseinandersetzung über die Beschwerdelegitimation, erweist sich das Verfahren der Klimaseniorinnen allerdings als rechtsempirischer Fundus. Geschlecht und Umwelt – in Gestalt der Klimakrise – werden hier offen rechtlich verhandelt. Dieses Verhandeln zeigt sich dabei als spezifischer Ausdruck „krisenhafter gesellschaftlicher Naturverhältnisse“ (Hackforth 2015, auch Grear 2014 und 2017, Bedall 2014). Ein auf abstraktes Gemeinwohl und Technik ausgerichtetes Umweltrecht ist menschenrechtlichem Transformationsdruck, einer geschlechtlich codierten Idee von Vulnerabilität, ausgesetzt. Eben dieser Transformationsdruck begegnet mit der Frage nach Beschwerdelegitimation starken Beharrungskräften. Verhandeln bedeutet hier einen spezifischen Raum der „Möglichkeit der Veränderung eines gesellschaftlichen Reproduktions- und Regulationsmusters“ (Demirovic/Maihofer 2013): Wie geraten Geschlechterverhältnisse in Bewegung? Welche impliziten (umwelt)rechtlichen Geschlechternormen zeigen sich in der anderen Anspruchshaltung der Klimaseniorinnen und wo liegen die Ambivalenzen ihrer Rechtsmobilisierung?

Umweltrecht und Klimaklagen geschlechtertheoretisch hinterfragt

Aus geschlechtertheoretischer Perspektive sticht für die Frage nach Genderkonzepten und Ambivalenzen die Trennung zwischen Mensch und Natur im Umweltrecht hervor. Mit Ökofeminismus, Queer Ecologies oder dem Konzept der gesellschaftlichen Naturverhältnisse existiert ein inzwischen breites Forschungsfeld, das die Dichotomie von Mensch und Natur unter dem Vorzeichen Geschlecht kritisch aufgreift. Aus diversen Perspektiven erweisen sich Dichotomien wie Mensch-Natur, aktiv-passiv etc. als kulturelle Konstrukte und werden nicht zuletzt als bis heute wirkmächtige Grundlage für Geschlechterdiskriminierung greifbar. Ansätze wie z.B. Posthumanismus oder Neuer Materialismus erweitern den Fokus über die menschliche Spezies hinaus und zentrieren Materie anstelle von Menschen. Die Bedeutung dieser Ansätze für den Rechtsdiskurs beginnt gerade erst erschlossen zu werden. Für die geschlechterspezifische Perspektive steht das noch weitgehend aus. Dazu tritt mit dem Fall der Klimaseniorinnen die Frage nach Gewalt und Handlungsmacht, die Gefahr der Re-Viktimisierung, die in der Mobilisierung eines geschlechterspezifischen Vulnerabilitätskonzepts notwendig steckt.

Hier haken wir mit unserer gemeinsamen Forschungsperspektive ein. Über die empirische Auseinandersetzung mit Rechtsgrundlagen und -praxen wollen wir Aufschluss über dessen Vergeschlechtlichung gewinnen. Wer ist Anthropos im Umweltrecht und in Klimaklagen? Welche rechtsdiskursiven Dimensionen gesellschaftlicher Naturverhältnisse zeigen sich? Welche impliziten Geschlechterkonzepte hängen mit einem Umweltrechts als Technikrecht zusammen? Welche Genderkonzepte schreiben sich in der Verhandlung des Falls der Klimaseniorinnen selbst fort? Wie wirkt das Rekurrieren auf Vulnerabilität zur Erlangung von Handlungsmacht im Klimaschutzrecht; wo rastet womöglich ein binäres Geschlechterkonzept ein? Wer erhebt hier Anspruch auf welche gemeinsame Welt?

Diesen Fragen gehen wir in den nächsten Jahren in dem an der Juristischen Fakultät angesiedelten Teilprojekt „Ein Anspruch auf eine gemeinsame Welt? Geschlecht in Umweltrecht und Umweltklagen“ (PI Prof. Dr. Susanne Baer, LL.M.) der DFG-Forschungsgruppe Recht-Geschlecht-Kollektivität nach. In unserem Projekt bringen wir eine Rechtsmobilisierungsstudie zu Klimaklagen (Petra Sußner) und eine rechtsdiskursive Analyse von umweltrechtlichen Grundlagen (Ida Westphal) ins Gespräch. Unsere Forschung ist auch ein Beitrag zur übergeordneten Frage nach umkämpftem Allgemeinem und neuem Gemeinsamen.

 

Dr. Petra Sußner (petra.sussner@hu-berlin.de) ist Post-Doc an der Humboldt-Universität zu Berlin und Koordinatorin des Teilprojekts A der DFG Forschungsgruppe Recht-Geschlecht-Kollektivität.

Ida Westphal (ida.westphal@hu-berlin.de) ist Doktorandin im Teilprojekt A der DFG Forschungsgruppe Recht-Geschlecht-Kollektivität.

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