Das Bild zeigt eine sehr große Menschenmenge, die in Bukarest für queere Rechte demonstrierten. Das Bild wurde von Dr. Vlad Babenco aufgenommen.

Rumänien hat gewählt: Wohin nun für queere Menschen?

Der Aufstieg des Faschismus erfasst ganz Europa wie in einem Sturm: Eins nach dem anderen geraten die Länder des alten Kontinents in die Falle, rechtsextreme, populistische, demokratiefeindliche Menschen für wichtige, manchmal staatsregierende Positionen und Ämter zu wählen. Das hier ist keine solche Geschichte: Es ist die Geschichte einer osteuropäischen Republik, die sich gegen Anti-Intellektualismus und für demokratische Werte entschieden hat – woran queere Menschen einen entscheidenden Anteil hatten. Nachdem der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl in Rumänien im Dezember 2024 wegen einer verfassungswidrigen Gefahr annulliert worden war, hat die Wiederholung der Wahl am 4. und 18. Mai 2025 stattgefunden. Dabei musste die LGBTQ-Gemeinschaft zittern.

Queere Menschen in Rumänien – heutiger Stand

Rumänien gehört zu den letzten fünf Ländern der Europäischen Union, die ihren Bürger*innen noch keine Form der rechtlichen Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Ehen oder eingetragenen Partnerschaften garantieren. Im Oktober 2018 wurde mithilfe fast aller parlamentarischen Parteien ein Referendum organisiert, das die Umdefinierung der ‚Familie‘ in der Verfassung zwecks eines gesetzlichen Verbots gleichgeschlechtlicher Ehen zum Ziel hatte. Dieses ist grandios gescheitert, nur 21% der Bevölkerung haben sich daran beteiligt. Hinzu kamen im Mai 2023 erfolgreiche Klagen gegen den rumänischen Staat seitens 21 LGBTQ+-Paare vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg. Das Ergebnis: Rumänien muss nun ein Gesetz zur Anerkennung und zum Schutz gleichgeschlechtlicher Partnerschaften erlassen.

Präsidentschaftswahl – 1. Versuch: Fiasko der rumänischen Demokratie

Das osteuropäische Land zog im Dezember letzten Jahres alle Aufmerksamkeit auf sich, nachdem der erste Wahlgang der Präsidentschaftswahl infolge eines durch den Verfassungsgerichtshof festgestellten „aggressiven russischen hybriden Angriffs“ annulliert worden war. In die Stichwahl kamen damals zwei überraschende Kandidat*innen: der zuvor nahezu unbekannte Călin Georgescu, ein Bewunderer der „russischen Weisheit“ Putins sowie der faschistisch-legionarischen Bewegung, mit fast 23% der Stimmen und die liberale Elena Lasconi, Parteichefin der Anti-Korruptions-Partei USR (Union Rettet Rumänien), mit knapp über 19%.

Wie stehen die beiden zu queeren Rechten? Dazu nur so viel: Als Călin Georgescu zum ersten Mal in Kontakt mit queeren Personen getreten ist, habe er laut eigener Aussage den Eindruck gewonnen, er interagiere nicht mit Menschen, sondern mit einer anderen Spezies. Ein klassischer Fall einer an eugenischen Prinzipien orientierten Entmenschlichung queerer Menschen.

Zeigte die weibliche Kandidatin mehr Verständnis für eine moderne Demokratie? Nach einer unglücklichen öffentlichen Aussage Elena Lasconis, in der sie erklärte, beim Verfassungsreferendum 2018 mit JA, also für das Verbot gleichgeschlechtlicher Ehen, abgestimmt zu haben, kam es zur Empörung nicht nur unter den progressiv Wählenden, sondern auch bei ihrer eigenen queeren Tochter. In der Folge änderte die USR-Chefin ihre Haltung und galt für den gesamten Wahlkampf als die einzige Kandidatin, die sich für die Anerkennung queerer Familien durch gesetzlich eingetragene Partnerschaften aussprach.

Wahl – 2. Versuch: Weder Georgescu noch Lasconi haben es geschafft

Die erneute Kandidatur Călin Georgescus für die Präsidentschaftswahl 2025 wurde vom Zentralwahlamt und Verfassungsgerichtshof aufgrund seiner Unfähigkeit, die Verfassung und die Demokratie zu schützen, endgültig abgelehnt. Außerdem hat die ‚messianische‘ Politikfigur vor wenigen Wochen den Rücktritt aus dem öffentlichen Leben angekündigt. Elena Lasconi konnte in der neuorganisierten Wahl nur den fünften Platz mit 2,68% der Stimmen belegen, nachdem ihre eigene Partei ihr die Unterstützung entzogen hat und stattdessen den ehemaligen Parteichef, den aktuell parteilosen Nicușor Dan gefördert hat.

Wahl – 2. Versuch: George Simion und die Souveränisten

Der Parteichef von AUR (Allianz für die Wiedervereinigung der Rumänen) George Simion galt während des gesamten Wahlkampfs als der aussichtsreichste Kandidat. 2024 ist er nur auf dem vierten Platz gelandet; für die Wiederholung der Wahl im Frühling 2025 wurde die Suppe wieder aufgewärmt und von Călin Georgescu auf dem Tablett der rumänischen Demokratie erneut serviert. Hassverhetzung gegen queere Menschen ist zur zweiten Natur Simions geworden: Er äußerte sich regelmäßig gegen LGBTQ-Rechte in unzähligen Posts auf sozialen Medien und öffentlichen Aussagen, die den ‚Schutz der Kinder vor der Gender-Ideologie‘ fordern. Propagandistische Verfälschung von Informationen sind an der Tagesordnung, wie beispielsweise, dass das Europaparlament Menschen mit 500 Euro bestrafen würde, die ‚Mutter‘ und ‚Vater‘ statt ‚Elternteil 1‘ und ‚Elternteil 2‘ sagen.

Beim ersten Wahlgang im Mai 2025 ist George Simion mit einem besorgniserregenden Anteil von 40,96% der Stimmen auf dem ersten Platz gelandet.

Nicușor Dan – die demokratische und proeuropäische Hoffnung. Progressiv aber?

Nicușor Dan galt als die einzige Hoffnung der liberal-progressiven Parteien und ihrer Anhänger*innen im ersten Wahlgang sowie die einzige Chance auf die Fortsetzung einer pro-europäischen Demokratie in der Stichwahl. Am 4. Mai erhielt er nur 20,99% der Stimmen: Um den Kontrakandidaten George Simion einzuholen, musste Nicușor Dan am 18. Mai mehr als doppelt so viele Stimmen sammeln und somit Nichtwählende in großer Anzahl mobilisieren – was ihm durch überzeugende Fernsehauftritte, sachliche Pressemitteilungen und klare Botschaften eindrucksvoll gelungen ist. Im zweiten Wahlgang gewann er den präsidentiellen Posten mit einem Vorsprung von über 800.000 Stimmen, und zwar bei einer der höchsten Wahlbeteiligungen in der jüngeren Geschichte des Landes. Erstmal dürfen wir ausatmen.

Nicușor Dan ist außerdem der einzige rumänische Präsident, der nach der erfolgreichen Wahl seine Dankbarkeit für die Stimmen der LGBTQ-Gemeinschaft gezeigt hat: „Ich danke allen sexuellen Minderheiten, die verstanden haben, dass wir gemeinsam stärker sind.“ Umso mehr hoffen wir, dass der Präsident dies auch verstanden hat, denn seine ‚Erfolgsbilanz‘ bezüglich seines Engagements für queere Rechte kann schon Sorgen bereiten:

2017 trat er aus der von ihm selbst gegründeten Partei USR aus, weil er das Verfassungsreferendum gegen die Rechte queerer Menschen unterstützen wollte und damit in Konflikt mit der Mehrheit der Parteimitglieder geriet. 2021 wollte er als Bürgermeister von Bukarest die Pride-Parade zunächst nicht zulassen, da sie am selben Tag wie die schon zugelassene Anti-Pride-Parade der Neuen Rechten stattfinden sollte. Auch heutzutage sieht er sich als „Anhänger traditioneller Werte.“

Bucharest Pride – immer größer, immer wichtiger

Trotz der politischen Schwierigkeiten und ungeachtet der politischen Versuche, queere Menschen an den Rand der Gesellschaft zu drängen, wird das Pride-Event immer größer. Bei der 20. Ausgabe der Parada Pride am 7. Juni 2025 sind über 30.000 Menschen auf die Straße von Bukarest gegangen. Queere Menschen sowie ihre Allies scheinen das Gewicht der Solidarität und Gemeinschaft verstanden zu haben. Jetzt erst recht ist es wesentlich, dass man sich für Demokratie und Anerkennung der Rechte von allen engagiert. Ideal wäre, wenn alle Politiker*innen, vor allem der neugewählte Präsident, das auch nachvollziehen könnten und sich aktiv dafür einsetzen würden.

 

Titelbild: Das Bild wurde von Dr. Vlad Babenco aufgenommen.

 

Bogdan Burghelea studierte Germanistik, Lusitanistik und Psychopädagogik in Tübingen und Bukarest. Derzeit ist er Lehrbeauftragter und Doktorand an der Humboldt-Universität zu Berlin mit einem Projekt zu queeren Interpretationen der deutschen Romantik, das seit Oktober 2024 von der Studienstiftung des deutschen Volkes gefördert wird. Queer Theory und Gender Studies in der Literaturwissenschaft, Methodik und Komparatistik, Inter- und Transkulturalität sowie Alteritätsforschung und Postkolonialismus gehören zu seinen Interessen- und Forschungsgebieten.

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