Feministische Pornografie ist eine Kategorie bei großen Porn-Anbietern und herkömmliche Produktionen werben mit feministischen Kriterien. Das kann als ein Erfolg der sex-positiven Bewegung gesehen werden, die sich in den letzten 15 Jahren öffentlich formiert hat und auf die Vorarbeit der Frauenbewegung der letzten 50 Jahre aufbaut. Andererseits muss hinterfragt werden, inwiefern feministische Kriterien, wie Kommunikation und Konsens in der Produktion sowie nicht diskriminierende, vielfältige Darstellungen und Authentizität inhaltlich gefüllt sind bzw. kapitalistisch verwertet werden. Pornografie als ernstzunehmendes Forschungsfeld ist noch relativ jung und die Befassung mit ihr als populärkulturellem Genre auch in geschlechterkritischer Weise erst durch Feminist*innen ab den 1990er Jahren etabliert worden. Seit 2009 zeichnet „PorYes“ – die Feministische Porn Filmpreisverleihung – Filme oder Filmemacher*innen nach feministischen Kriterien für sex-positive und konsensuelle Darstellungen aus. Damit wird auch eine andere, eine feministische Geschichte der Pornografie geschrieben.
Beim PorYes – Feminist Porn Award (16.-18.10.21) wird es dieses Jahr um das Thema Normativität gehen und wie sich Feministische Pornografie gegen normierende Vereinnahmungen behaupten kann. Wissenschaftler*innen stellen theoretische Analysen der Pornografie vor und diskutieren Alternativen zur normierten Sexualität und deren Darstellungen. So wird uns dieses Jahr Prof. Clarissa Smith (Mitbegründerin und Mitherausgeberin der akademischen Zeitschrift „Porn Studies“) ihre Erkenntnisse zu Authentizität im (Feminist)Porn vortragen und mit den Filmemachenden diskutieren. In vorherigen Jahren fragte die Juristin Prof. Anja Schmidt, ob Pornografie eine Verletzung der Rechte von marginalisierten Personengruppen oder Ausdruck des Rechts auf sexuelle Selbstbestimmung sei. Mari Mikkola, Philosophieprofessorin, diskutierte mit den queeren Porn-Stars Buck Angel und Jiz Lee über Geschlechternormen und Alternativen. Die Begründerin der Porn Studies, Prof. Linda Williams, referierte 2019 zu „Bewegte Gefühle: Lust und die Ekstase des Betrachtens im pornographischen Film“. Wie ist Pornografie zu dem Lust stimulierenden Genre geworden, das wir heute so selbstverständlich konsumieren? Und wie kam es zur Reduzierung einer einst umfassenden Sozialkritik auf bloße Erregung und Befriedigung der Konsumierenden?
Bewegte Gefühle – Bewegte Bilder
Linda Williams hat mit „Hard Core. Power, Pleasure and the ‘Frenzy of the Visible’“ 1987 das Standardwerk zu Pornografie verfasst.
Williams’ Forschungsinteresse gilt feministischer Theorie und visueller Kultur, insbesondere der auch in ihrem Vortrag dargelegten Entwicklung von bewegten Filmen zur Pornografie. Das bewegte Bild ist nach Williams nicht als unmittelbare Weiterentwicklung des (statischen) Einzelbilds zu verstehen, das sie in einen Entwicklungsstrang von der Malerei über Druckdarstellungen hin zur Fotografie einordnet. Dabei nehme die Realitätstreue bezüglich des abgebildeten Szenarios zu und durch Sehen und Betrachten werden körperliche Empfindungen ausgelöst. Stereografien lassen zum Beispiel Bilder dreidimensional erscheinen (aufgrund besonderer Aufnahmen und der Betrachtung durch spezielle Objektive) und Thaumatrope vereinen durch Bewegung zwei Bilder zu einem neuen. Das Betrachten bewegter Bilder braucht allerdings auch eine Eingewöhnung. Auch als Eisenbahnen ihre ersten Fahrten aufnahmen, löste die Bewegung und die Geschwindigkeit in Kombination mit dem Sehen bei Reisenden starke körperliche Reaktionen aus, nämlich Angst und Übelkeit. Das soll bei manchen Porno-Schauenden heute noch so sein, hängt aber zudem von weiteren Faktoren wie Alter, Empfindsamkeit, Gender und Bewusstsein der Betrachtenden sowie dem Inhalt und der Darstellungsweise des Sexuellen ab.
Von ,liederlichen‘ Bildern zur Hardcore-Pornografie
Bis ins frühe 19. Jahrhundert ging es in der Pornografie um die Darstellung freigeistiger Menschen, deren Obszönitäten und subversive Ideen. Erst später war die Pornografie darauf ausgerichtet, sexuelle Lust hervorzurufen. Zu welchem Zeitpunkt sich sogenannte Hardcore-Pornografie als eigenes Genre entwickelte, ist laut Williams (auch) eine Frage der Begriffsdefinition.
Fotografien oder Stereografien in den 1890er Jahren wurden meist noch nicht unter dem Begriff Pornografie geführt, unabhängig vom dargestellten Inhalt. Sie galten als grivois (anzüglich, schlüpfrig) oder licencieux (liederlich). Diese Bilder (später auch Filme) genossen eine gewisse öffentliche Anerkennung und gesellschaftliche Akzeptanz. Der Zeitpunkt der Entstehung ist vermerkt und die Beteiligten bzw. Dargestellten waren namentlich bekannt, einige sogar ,Stars‘ der Szene. Die Produktion von Hardcore-Filmen hingegen erfolgte bis in die 1920er Jahre im Verborgenen. Darsteller*innen und Produzent*innen wurden namentlich nicht erwähnt. Diese Filme wurden privat bzw. in gesondertem Setting ausschließlich für männliche Zuschauer gezeigt. Ihre Vorführung war illegal und oft boten Frauen sexuelle Dienstleitungen an. In den Filmen selbst sind Frauen willige libidinöse Teilnehmerinnen, agieren aber auch als strafende Super-Egos, die die Männer schließlich aus ihrem Arbeitsbereich vertreiben, in den Männer eindringen. Frauen befinden sich in der bekannten (pornografischen) Position, Nein zu sagen, aber Ja zu meinen. Die Bestrafung der Männer wird zunehmend ausgelassen, dafür werden die sexuellen Handlungen, in denen Frauen verführt werden, zum Vergnügen der männlichen Zuschauer immer länger.
Mit der Bezeichnung Pornografie für das sexuelle Bildmaterial entstand dann ab ca. 1920 ein neuer Rechtsrahmen und gleichzeitig entwickelte sich Zensur. Dabei ist nicht ganz klar, ob es erst den Begriff Pornografie und dann das Verbot oder ob es umgekehrt erst ein Verbot und dann eine Beschreibung gab, die Pornografie als Kategorie etablierte.
Sex-positiver Feminismus und Zensur
Zensur ist ein wichtiges Thema, das auch in der Frauenbewegung mit Pornografie erörtert wurde. Die Analyse der gewaltvollen gesellschaftlichen Verhältnisse führte in den 1960ern dazu, dass Pornografie als Diskriminierungen und Gewalt reproduzierende Vorlage definiert wurde. Die sehr differenzierten Diskussionen um ein Verbot führten auch zu der Frage, wie ein positiver Zugang zu Körper und Sexualität ohne entsprechende Bilder erfolgen könne. Daraus entstand der sex-positive Flügel, der sich für einvernehmliche und respektvolle Pornografie aussprach, für eine positive (Bilder-) Sprache und vielfältige Sexualitäten. Zensur hat sich in der Geschichte immer als auch gegen die Aufklärungskampagnen und Publikationen der Feministinnen selbst gerichtet erwiesen. Mit der stärkeren öffentlichen Einforderung sexueller Freiheiten und sexuellen Wissens ist der sex-positive Feminismus im letzten Jahrzehnt wieder betont worden und hat zu einer Bewegung geführt. Die Grundsätze von damals gelten auch heute: Sexuelle Freiheit ist Bestandteil der allgemeinen Freiheitsbestrebungen. Einvernehmliche sexuelle Aktivitäten zwischen Erwachsenen, deren es eine unendliche Vielfalt gibt, bedürfen keiner Regelung und keiner Bewertung von außen. Sexualität ist wie Geschlecht und Identität konstruiert (Meritt 2012). Dies kann in feministischen Filmen auf vielfältigste Art gezeigt und somit auch dekonstruiert werden.
Feministische Pornografie oder feministische Kriterien?
Feministische Pornografie will keine neue Kategorie aufmachen und kann in verschiedensten Genres vertreten sein. Es geht um Kriterien, die nicht nur an Pornografie und Sexualität angelegt werden können, sondern an alle gesellschaftlichen Bereiche oder gar an ein gutes Leben. Die Kriterien sind, dass alle Geschlechter/Gender in ihrer Lust zu sehen sein sollten und dass eine Vielfalt an Sexualitäten vertreten sein sollte, genauso wie eine Vielfalt an Kulturen, Altersgruppen, Körper, Perspektiven, Gefühlen, Tönen, Kommunikation etc. Ein weiteres Kriterium ist Fairporn, d.h. einvernehmliche Bedingungen vor und hinter der Kamera. Zusammengefasst: für alle (Beteiligten) Vielfalt und Fairness. Dabei muss mit Blick auf kulturelle Hintergründe und Besonderheiten nicht immer alles in einem Film vertreten sein. Feministische Pornografie in Spanien sieht anders aus als in Schweden. Interessant ist, was vor dem jeweiligen Hintergrund an der Produktion herausragend ist und Gender-Clichés abbaut, Sexnormen auflöst, Blickrichtungen umleitet und neue Möglichkeiten aufzeigt.
Machtverhältnisse und die feministischen Alternativen
Linda Williams kritisiert wie viele Feminist*innen den dominanten männlichen Blick und die Machtverhältnisse in den Formen des visuellen Vergnügens. Sie betont, dass das Abarbeiten, Dekonstruieren und Alternativen oder Neuigkeiten entwickeln durch Feminist*innen einen langen Prozess bedeutet. Sie freut es, neue Aspekte der sexuellen Repräsentation beim PorYes-Award kennen gelernt zu haben. Gerade die vulvarischen Ejakulationen sowie die lautstarke und energetische orgasmische Anrufung offenbarten eine Möglichkeit, wie z.B. weibliche* Lust aus feministischer Perspektive filmisch dargestellt werden kann.
„Pornography is by men for men about women“ also von Männern für Männer über Frauen (Williams 2019) ist sicher noch eine greifende Definition für Mainstream-Pornografie. Gleichzeitig haben sich die dort diskriminierten und in Kategorien fetischisierten Gruppen eine eigene Sichtbarkeit erkämpft. Beim diesjährigen PorYes Festival wird beispielsweise die Filmemacherin Nenna Joiner anwesend sein, die Pornfilme nur mit Schwarzen Frauen gedreht hat, ebenso Pionier*in Del LaGrace Volcano als Gender hinterfragende*r Chronist*in der alternativen Sexszene. Morgana Muses wird mit über 50 alternativer Pornstar und Marit Östberg zeigt queerfeministische Sexualität in reflektierten und Blick erweiternden Ansätzen. Die gefragte Performerin Lina Bembe betreibt Sex-Aufklärung und kämpft für die Rechte der Sexarbeitenden. 2019 waren auch Vertreter*innen des sog. „Cripple Porn“ (Eigenbezeichnung) da, die ihre Sexualität als eingeschränkte oder disabled Personen einforderten und die Berlinale Gewinnerin Adina Pintilie bekam eine Auszeichnung für ihren Film „Touch me not“, der körperliche und sexuelle Normen hinterfragte.
Inwieweit eigene, andere Ansätze der Darstellung von Sexualitäten sich entwickeln, die auch die herrschende Definition und damit Repräsentation von Sexualität selbst auflösen, wird weiter zu diskutieren sein. PorYes lädt ein, auch die eigenen Konditionierungen zu hinterfragen sowie die vielfältigen feministischen Sexperimente anzuschauen, die oftmals in der Kulturgeschichte nicht wahrgenommen oder nicht als Pornografie im engen Sinne eingeordnet wurden. Die Definition von Pornografie, die zum alleinigen Zweck der Erregung der Betrachtenden dient, wäre zu erweitern. Pornografie ist die Darstellung von Sexualitäten. Ob und wie eine Erregung durch die Bilder zustande kommt, ist von vielen sozialen und kulturellen, auch ökonomischen Faktoren abhängig und Forschungsthema der Wissenschaft, der Porn Studies.
Literatur:
Laura Meritt: PorYes! Feministische Pornos und die sex-positive Bewegung. In: Martina Schuegraf, Angela Tillmann (Hg), Pornografisierung von Gesellschaft: Perspektiven aus Theorie, Empirie und Praxis. Konstanz: UVK, 2012, S. 371–380.
Linda Williams: Hard Core. Power, Pleasure and the “Frenzy of the Visible”. University of California Press, 1987.
Linda Williams im Interview mit Anna Brownfield, PorYes Award, Berlin 2019.
Dr. Laura Meritt ist Kommunikationswissenschaftlerin, sex-positive Aktivistin, Autorin und Herausgeberin. Sie betreibt Europas ältesten feministischen Sexshop, führt sexualpolitische Kampagnen mit dem Freudenfluss-Netzwerk durch und hat mit der Fotografin Polly Fannlaf den PorYes – Award initiiert. Beim „Feminist Porn Book“ hat sie das Vorwort zur deutschen Ausgabe und Artikel zu Feminist Porn in Europe beigetragen.
Dr. Kathrin Neuburger, Sprachwissenschaftlerin, hat den Vortrag von Linda Williams zusammengefasst.