#4GenderStudies: Warum weder race noch gender im Seminarraum zu kurz kommen dürfen

Während Ray Trautwein seit 2018 ein wiederkehrendes Proseminar zur Einführung in die Organisations- und Verwaltungssoziologie an der Universität Potsdam anbietet, lehrt Fiona Schmidt seit zweieinhalb Jahren im Bachelor Gender Studies an der HU Berlin zu Themen wie institutionellem Rassismus mit Fokus auf staatliche Sicherheits- und Justizbehörden. Dabei begegnete Fiona Schmidt immer wieder die Nachfrage, weshalb race und nicht gender als Kategorie fokussiert wird, obgleich das Seminar doch in den Gender Studies stattfinde. Immerhin ist gender ja schon eingeschrieben in den Namen des Studiengangs Gender Studies und wird damit zentral gesetzt. Jedoch sind Diskriminierungskategorien wie race und Konzepte wie Intersektionalität oder Interdependenz ebenso relevant in den Gender Studies wie die Kategorie gender. Denn diese ist nie losgelöst von anderen gesellschaftlichen Diskriminierungs- und Machtverhältnissen und kann als Kategorie zwar analytisch gesondert, praktisch aber nicht losgelöst betrachtet werden. Eine monolithische Setzung von gender entnennt vielmehr die Komplexität und Verwobenheit von Diskriminierungsstrukturen. Mit lann hornscheidt lässt sich für die akademische Lehre entsprechend fragen: „was war oder ist gender studies ohne intersektionalität? was findet in den modulen von studiengängen der gender studies statt, die nicht unter dem label intersektionalität laufen?“.

Warum Intersektionalität?

Der diesjährige Wissenschaftskommunikationstag der Gender Studies möchte das Zusammenwirken der Diskriminierungskategorien race und gender ins Zentrum stellen und konzentriert sich damit auf eine konkrete Intersektion von Diskriminierung. Auch in Deutschland fanden intersektionale Auseinandersetzungen mit gender schon vor der akademischen Institutionalisierung der Gender Studies unter Berücksichtigung der Zusammenhänge mit Diskriminierung aufgrund von Klasse, Sexualität oder race statt (vgl. Walgenbach 2012: 25ff.). Rassismuskritische Aktivist:innen und Akademiker:innen haben grundlegende Erkenntnisse und Paradigmen formuliert, die heute als elementare Bestandteile einer Wissenschaftskultur und Wissensproduktion in den Gender Studies betrachtet werden. Um dem Wissen über die Komplexität gesellschaftlicher Diskriminierungs- und Machtverhältnisse gerecht zu werden, benötigen wir in den Gender Studies fundierte Expertise und Wissen über Diskriminierung im wechselseitigen Zusammenhang – und damit eben auch zu Rassismus.

Das Seminar: «Männerbund» goes diverse?

Diese Erfahrungen haben wir als Anlass genommen, um uns auf einen Lehrauftrag am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien (ZtG) zu bewerben. Im Sommersemester 2020 haben wir dann ein Co-Teaching an der Schnittstelle von race und gender in den Gender Studies an der HU Berlin durchführen können. Dass eben diese beiden Kategorien für unsere Auseinandersetzung im Seminar zentral gesetzt werden sollten, ließ sich mit der Forschung in unseren jeweiligen Dissertationsprojekten verbinden. Während Fiona Schmidt zu institutionellem Rassismus im Kontext der Polizei forscht, untersucht Ray Trautwein männlich geprägte staatliche Sicherheitsbehörden wie die Bundeswehr. Daraus ergab sich der Seminartitel „«Männerbund» goes diverse? – Männlichkeit und Rassismus in Bundeswehr und Polizei“, der bereits auf die Verschränkung von race und gender hindeutete. Wie die Studierenden im Seminar auf diese Setzung unsererseits reagieren würden, war uns vorab nicht klar. In unserer digitalen Lehrveranstaltung hatten wir mindestens zwei zentrale Lehrerfahrungen, die sich konkret auf diese Intersektion beziehen. Diese wollen wir im Folgenden kurz skizzieren und reflektieren.

Was wir aus dem Seminarraum mitnehmen

Da es unseres Wissens nach in den Gender Studies an der HU in den letzten Jahren eher Seminare zur kritischen Auseinandersetzung mit Rassismus als mit Männlichkeit gab, folgerten wir, dass die Beleuchtung der Intersektion Männlichkeit und Rassismus den Bachelorstudierenden noch nicht so geläufig sein würde. Vor dem Hintergrund einer intersektionalen Analyse von Rassismus gingen wir aber davon aus, dass die Studierenden bereits theoretische framings kennengelernt hatten, die einen Transfer vereinfachten. So konnten wir uns im Seminar schon in den ersten Sitzungen sowohl mit hegemonialen Männlichkeitsvorstellungen in der Polizei als auch mit vergeschlechtlichten, rassifizierten und ethnisierten Vorstellungen des sog. polizeilichen Gegenübers – als Abgrenzung des genuin Anderen – auseinandersetzen. Fragen, die dabei besonders intensiv diskutiert wurden, waren u.a.: Welche vergeschlechtlichten und rassifizierten Bilder werden, z.B. in der polizeilichen Pressearbeit, vermittelt? Welche Rückschlüsse lassen sich daraus auf Wissensbestände der Organisation ziehen?

Damit einhergehend haben wir im Seminar auch danach gefragt, welche medialen (Selbst-)Repräsentationen wir im Kontext staatlicher Sicherheitsbehörden wie Bundeswehr und Polizei vorfinden und welche Rolle in diesem Kontext „Vielfalt“ bzw. „diversity“ spielt. Eine Erkenntnis aus den Auseinandersetzungen war, dass Körper, die nicht weißen, cisgeschlechtlichen und/oder männlichen Normen entsprechen, (auch) in diesen Zusammenhängen Vereinnahmung für Werbezwecke und damit einer kapitalistischen Verwertung erfahren. Zum anderen konnten Fragen zu Männlichkeiten mit Fragen zu institutionellem Rassismus – mit Bezug zu weiteren Seminaren von Fiona Schmidt – verknüpft werden. Mithilfe der Analyseperspektive des Konzepts haben wir die Organisationen auch hinsichtlich ihrer Zugangsbedingungen, (rechtlichen) Rahmenbedingungen und personeller Zusammensetzung analysiert. Die Studierenden haben hierbei Bezüge dahingehend hergestellt, dass nicht nur Diskriminierungsverhältnisse miteinander verwoben sind, sondern dass Kategorien wie race und gender schon an sich interdependente Kategorisierungen darstellen. Hierfür unterstützend waren unserer Einschätzung nach v.a. Texte, die nicht nur die Kategorie gender in ihrer konzeptionellen Orientierung an einem weiß-westlichen Bezugsrahmen hinterfragen, sondern auch Anschluss für die Diskussion über die Setzung von gender als zentraler Kategorie in den Gender Studies bieten. Beispielsweise ließ sich mit dem Konzept der „Eurozentrogender“ (Antwerpen 2015) die Künstlichkeit analytischer Trennungen im Seminarraum thematisierbar machen.

Zur Untrennbarkeit von race und gender

Die gemeinsame Lehrerfahrung hat uns gezeigt, dass gender nach wie vor eine zentrale Analysekategorie der Gender Studies darstellt bzw. darstellen muss. Aber es reicht eben nicht aus, den Analyseblick auf gender beruhen zu lassen. Es braucht vielmehr multiperspektivische Auseinandersetzungen mit gesellschaftlichen Diskriminierungs- und Machtverhältnissen und damit auch mit race, mit Rassismus, mit vergeschlechtlichtem Rassismus und rassifizierten Geschlechterverhältnissen. Nur so können diese in ihrer Komplexität im Seminarraum erfasst, analysiert und diskutiert werden.

 

Literatur

Antwerpen, Ly* (2015): Eurozentrogender. Eurozentrische weiße Setzungen in universalisierenden westlichen Genderkonzepten re_benennen. In: AK ForschungsHandeln (Hrsg.): InterdepenDenken! Wie Positionierung und Intersektionalität forschend gestalten? Berlin: w_orten & meer, 148–155.

Walgenbach, Katharina (2012): Gender als interdependente Kategorie, in: Walgenbach/Dietze/Hornscheidt/Palm: Gender als interdependente Kategorie Neue Perspektiven auf Intersektionalität, Diversität und Heterogenität.

 

Fiona Schmidt ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für Öffentliches Recht und Geschlechterstudien an der Humboldt-Universität zu Berlin. Sie hat Politikwissenschaften und Gender Studies an der FU Berlin, der HU Berlin und an der Universidade Nova in Lissabon studiert. Sie promoviert an der Schnittstelle von Gender Studies, Rassismusforschung und Rechtssoziologie zu Institutionellem Rassismus in polizeilichen Ermittlungen.

Ray Trautwein ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Lehrstuhl für Organisations- und Verwaltungssoziologie der Universität Potsdam. Er arbeitet dort in einem Teilprojekt der DFG-Forschungsgruppe „Recht – Geschlecht – Kollektivität“ und promoviert zu Outing und Transition in Organisationen wie Bundeswehr und Polizei. Davor hat er Soziologie und Gender Studies an der Universität Konstanz und der HU Berlin studiert.

 

Das Format #AusDemSeminarraum bietet die Gelegenheit, Lehr- und Studienerfahrungen in den Gender Studiengängen an der Humboldt-Universität zu Berlin zu reflektieren und darüber zu berichten. Die Gender Studies an der HU bieten seit mehr als zwanzig Jahren transdisziplinäre, intersektionale und wissenskritische Lehre an. Daraus erwachsen sind gefestigte Netzwerke und vielfältiges Erfahrungswissen, von dem die Gestaltung der Lehrveranstaltungen in jedem Semester profitieren. Zugleich bleiben Lehr- und Lernprozesse lebendig, sie stellen sich aktuellen Herausforderungen und fordern neue Gestaltungsweisen, sie entdecken innovative Themen und vielfältige Herangehensweisen und sind oftmals gekennzeichnet vom herausragenden Engagement aller Beteiligten. Wer sich für die Lehre in den Gender Studies interessiert, wird hier Anregungen finden.

Das Format #4GenderStudies ist Teil der Aktion des ZtG für den gleichnamigen Wissenschaftstag. Am 18. Dezember 2020 präsentieren die Gender Studies aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zum vierten Mal ihre aktuelle Forschung. In Berlin legt die afg (Arbeitsgemeinschaft der Frauen- und Geschlechterforschungseinrichtungen) dieses Jahr den Fokus auf Forschung an der Intersektion von gender und race. Wissenschaftler*innen aus dem Umfeld des ZtG stellen in dieser Woche auf dem Genderblog aktuelle Forschung und Perspektiven vor.