Wäscheständer mit trocknender Wäsche

Sichtbar, akut und im wahrsten Sinne des Wortes virulent: Forschungserkenntnisse zu vergeschlechtlichten Arbeitsverhältnissen

Dr. Käthe von Bose forscht zu vergeschlechtlichten Arbeitsverhältnissen und der Bedeutung von Körperarbeit in eben diesen Arbeitsfeldern. Ihre Dissertation „Klinisch rein: Zum Verhältnis von Sauberkeit, Macht und Arbeit im Krankenhaus“ erschien 2017 im Transcript Verlag. Seit 2019 leitet sie den Lehrbereich Geschlechtersoziologie an der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Fakultät der Universität Potsdam. In einem schriftlichen Interview entwickelt Käthe von Bose Verknüpfungen aus ihrer Forschung mit der aktuellen Corona-Situation.

Clara Scholz

Deine Dissertation „Klinisch rein: Zum Verhältnis von Sauberkeit, Macht und Arbeit im Krankenhaus“ ist ein ethnographischer Zugang zu einem der Hot Spots in der Corona-Krise, dem Krankenhaus. Dabei untersuchst Du besonders vergeschlechtlichte Macht- und Arbeitsverhältnisse sowie in einem neueren Aufsatz die Bedeutung von Körperarbeit in vergeschlechtlichten Arbeitsfeldern. Welche Erkenntnisse deiner Forschungen werden in der aktuellen Situation/Krise gerade besonders sichtbar/akut/im wahrsten Sinne des Wortes virulent?

Wenn ich internationale Berichte zu Situationen in Krankenhäusern lese, denke ich an all diejenigen, mit denen ich während meiner Forschung gesprochen habe und die ich bei ihrer Arbeit begleiten durfte. Das waren vor allem Reinigungs- und Pflegekräfte in zwei deutschen Krankenhäusern zwischen 2011 und 2014. Arbeitsbedingungen, die zu dieser Zeit schon prekär waren, drohen ja nun, sich weiter zu verschärfen.

Hygiene und Sauberkeit, das zentrale Thema meiner Forschung, betrifft gerade in Krankenhäusern fast alle Tätigkeitsbereiche. Das Krankenhaus erscheint dabei wie ein Mikrokosmos gesellschaftlicher Verhältnisse. Aus Perspektive der Geschlechterforschung wurden in meinen Analysen zwei Aspekte deutlich, die auch für die aktuelle Situation relevant sind. Zum einen wurde die konkrete Arbeitsteilung sichtbar: Wer verrichtet welche Reinigungsarbeiten, unter welchen Bedingungen und wie werden die unterschiedlichen Tätigkeiten bewertet? Zum anderen wurden soziale Grenzziehungen deutlich, die sich an das Thema Hygiene und Sauberkeit heften. Die Unterscheidung in sauber und schmutzig verbindet sich im Alltag häufig mit Dichotomien wie gesund/infektiös, aber auch eigen/fremd, männlich/weiblich etc.

Während meiner Feldforschung ging es häufig um sogenannte Krankenhausinfektionen , die besonders für immungeschwächte Patient_innen bedrohlich sind. In Gesprächen über Hygienemaßnahmen und darüber, wer es richtig macht und wer eher für eine Verbreitung der Keime verantwortlich ist, wurde sowohl Kritik an strukturellen Problemen wie den Arbeitsbedingungen geäußert. Es schwangen aber immer wieder auch rassistische Zuschreibungen mit. Das ist für Debatten um die ,richtige‘ Hygiene und Infektionsprävention typisch: Die werfen häufig soziale, politische und geografische Grenzziehungen auf. Historisch sind rassistische Denkmuster aus dem Sprechen über Infektionen und Hygiene nicht wegzudenken. Das beobachten wir ja auch heute: Diskurse über Ursprünge und Formen der Ausbreitung des Corona-Virus sind im Alltag in rassistische Zuschreibungen umgeschlagen .

Vor welchen Schwierigkeiten stehen die Menschen, die an der Krankenhaushygiene arbeiten und inwiefern spielen dabei Geschlechterverhältnisse eine Rolle?

Meine Gesprächspartner_innen aus Pflege und Reinigung haben schon lange vor Covid-19 dafür plädiert, die Arbeitsbedingungen auch im Sinne der Patient_innen zu verbessern. Durch Ökonomisierungsprozesse im Krankenhaussektor besteht ein anhaltender Personalmangel in der Pflege, der sowohl Patient_innen als auch Pflegekräfte gefährdet. Die so genannten nicht-medizinischen Bereiche (von der Wäscherei bis zur Reinigung) werden durch das Outsourcing an Dienstleistungs- oder Tochterunternehmen immer weiter prekarisiert. Während die Arbeit von Pflegekräften jedoch zurzeit zurecht in den Blick der Öffentlichkeit rückt , bleiben Reinigungskräfte meist weiterhin unsichtbar . Eine Ausnahme bildet das Spiegel-Online-Interview mit der Reinigungskraft Erika Radisavljevic, die auch auf diese mangelnde Aufmerksamkeit hinweist. In der Reinigung war das Arbeitspensum schon unter normalen Bedingungen kaum zu bewältigen, weil immer weniger Personal für immer mehr zu reinigende Flächen zuständig war. Außerdem mangelt es hier häufig an Schutzmaßnahmen und Hygieneschulungen – was angesichts von Covid-19 umso brisanter ist, wo Schutzausrüstungen knapp werden.

An solchen Beispielen wird deutlich, was Isabel Klein und ich in einem aktuell erschienenen Artikel zu Kosmetik, Pflege und Reinigung erarbeitet haben. Gerade solche weiblich konnotierten, häufig von Migrant_innen verrichteten Tätigkeiten, erfordern eine Form der Körperarbeit, die je nach institutioneller Einbettung unterschiedlich verletzbar macht. Wenn also von systemrelevanten Arbeitsfeldern gesprochen wird, muss es zum einen um Geschlechterverhältnisse und Arbeitsbedingungen im Kontext von Migration gehen. Zum anderen sollte hinterfragt werden, welche Bereiche dabei weiterhin unsichtbar bleiben – wie zum Beispiel die Reinigung .

Antifeministische Bewegungen greifen häufig die Corona-Krise auf. Siehst du in der Krise auch eine Chance? Inwiefern können wir die Krise umgekehrt als Chance für (queer)feministische Anliegen begreifen?

Die Krise auch als Chance zu begreifen, ist verlockend, das ist mir aber jetzt noch etwas zu früh. Trotzdem ist es wichtig, die jetzt umso deutlicher werdende ungleiche Verteilung von Verletzbarkeiten wahrzunehmen und zu überlegen, was anders laufen muss und sich aktuell schon ändert.

Um bei dem Thema meiner Studie zu bleiben: Viele Arbeitsfelder, die vorher kaum beachtet und abgewertet wurden, erfahren jetzt eine ganz neue Wertschätzung. Das ist ein guter Nebeneffekt der Krise. Zugleich muss man genau aufpassen, wie sich diese Wertschätzung äußert. Petitionen und Interviews mit Pflegepersonal in Krankenhäusern machen es deutlich: Klatschen und danken ist das Eine, eine langfristige finanzielle Aufwertung, ausreichende Schutzmaßnahmen, gute Arbeitsbedingungen und ein institutionell anderes Standing etwas ganz Anderes.

Vieles von dem, was die Geschlechterforschung schon lange beforscht, erfährt im Moment mehr Aufmerksamkeit, weil es sich verschärft oder sichtbarer wird. Zum Beispiel, dass und warum überdurchschnittlich viele der Berufe, die „den Laden am Laufen halten“ (Merkel), sogenannte Frauenberufe sind (von Pflegepersonal bis zu Kassierer_innen). Weniger Aufmerksamkeit erhält jedoch weiterhin das, was im „Privaten“ passiert: Beispielsweise, wer aktuell Homeoffice, Homeschooling, Betreuung und Pflege gleichzeitig jonglieren muss, oder dass die ohnehin prekär beschäftigten, häufig migrantischen Haushaltsarbeiter_innen ihren Verdienst oder sogar ihre Arbeitsstellen verlieren.
Ob in der Krise auch Chancen liegen, wird sich also zeigen. Die Geschlechterforschung hat jedenfalls die Expertise und den geschärften Blick dafür, zu bestimmen, wie solche Chancen aussehen und erreicht werden könnten. Und sie sollte daher auch mehr einbezogen werden, wenn es um das Erarbeiten von Lösungen geht.

Neben Deiner Forschung leitest Du den Lehrbereich Geschlechtersoziologie an der Universität Potsdam. Die Ausbreitung des Corona-Virus hat auch zur Folge, dass Universitäten ihre Lehre auf digital umstellen. Wie sind deine bisherigen Eindrücke oder erste Erfahrungen damit? Braucht es einen besonderen kritischen Blick aus der Geschlechterforschung auf die Umstellung?

Seit einigen Wochen geht es vor allem darum, zu überlegen, wie Inhalte digital verständlich gemacht werden können, wie Diskussionen gestaltet und Austauschprozesse unter Studierenden angeregt werden können. In Lehrveranstaltungen der Geschlechtersoziologie geht es ja vor allem darum, gemeinsam Fragestellungen zu erarbeiten und Theorien und Konzepte zu diskutieren. Da bin ich mal gespannt, wie gut das online funktioniert. Was ich schön finde, ist der Erfahrungs- und Ideenaustausch und die gegenseitige Unterstützung unter Kolleg_innen – uni- und fächerübergreifend. Das sollten wir unbedingt über die Krise hinaus aufrechterhalten. Dass über Lehre und Lehrformen, über Ideen und Ziele überhaupt so viel gesprochen wird, ist sicher ein guter Nebeneffekt der aktuellen Situation.

Bei allen Überlegungen zur digitalen Lehre muss aus meiner Sicht eine Balance gefunden werden zwischen sinnvollem Lehrangebot, Machbarkeit und Solidarität. Neben Studierenden, die jetzt mehr Zeit haben als sonst und denen es auch guttut, sich mit dem Studium zu befassen, gilt es auf diejenigen zu achten, die aufgrund von Care-Aufgaben weniger Zeit haben, die oder deren Angehörige erkrankt sind oder die sich schlicht schwer konzentrieren können in der Krise. All das gilt auch für die Lehrenden – vor allem die, die keine festen Stellen haben oder als Lehrbeauftragte ohnehin zu wenig institutionell eingebettet und finanziell abgesichert sind.

An diesen Stellen ist die Perspektive einer intersektionalen Geschlechterforschung besonders gefragt. Eine Krise verstärkt schon vorher bestehende Ungleichheiten. Wenn jetzt Studierende ihr Studium nicht mehr finanzieren können, weil sie ihre Nebenjobs verloren haben, oder wenn sie schlicht nicht über die technische Ausrüstung verfügen, um an der Online-Lehre teilhaben zu können, dann verlieren wieder die, die es in der Institution womöglich ohnehin schon schwerer hatten. Vor allem denen, die jetzt aufgrund chronischer Krankheiten oder Behinderungen gesundheitlich besonders betroffen sind, dürfen keine Nachteile entstehen. Neben den bereits eingeleiteten politischen Unterstützungsmaßnahmen sollten wir alle in unseren jeweiligen Bereichen versuchen, möglichst inklusiv zu arbeiten – jetzt mehr denn je.

Käthe, die Ausbreitung des Coronovirus deinen Alltag sicherlich auch weitreichend verändert. Wie gehst Du persönlich mit der Situation als Wissenschaftlerin um?

Für meine Arbeit hat die Krise äußerlich nicht viel verändert – ein großes Privileg. Ich kann zu Hause bleiben und weiterarbeiten. Wenn ich mit Studierenden in telefonischen Sprechstunden über ihre Erfahrungen spreche, höre ich ganz andere Geschichten, zum Beispiel wenn jemand über den Nebenjob im Supermarkt erzählt.

Neben meiner eigenen Lehre koordiniere ich die Lehraufträge, die den Bereich Geschlechtersoziologie mit aufrechterhalten, der früher ein Lehrstuhl war. Seit Corona bin ich regelmäßig mit allen Lehrbeauftragten über die Online-Lehre im Gespräch. Ich freue mich zwar, dass alle ihre Veranstaltungen im Sommersemester weiterhin anbieten, allerdings sind die Bedingungen wirklich erschwert. Die Lehrbeauftragten haben jetzt viel mehr Arbeit als sonst, müssen sich in Technik einarbeiten, didaktische Konzepte umstellen etc., werden aber trotzdem nur pro unterrichteter Stunde bezahlt. An unserer Fakultät wird die ausgefallene Semesterwoche mitbezahlt, aber das kompensiert nur einen Bruchteil der Mehrarbeit. Hinzu kommen die persönlichen Situationen, unter denen viele im Moment arbeiten:

Teils haben sie Kinder zu Hause, Unterstützungsnetzwerke für Pflegeaufgaben sind weggebrochen, Selbstständige haben finanzielle Sorgen. Auch hier wird sichtbar: Vieles, was vorher schon schwierig war, hat sich jetzt zugespitzt. Ich würde mir wünschen, dass die Universitätsleitungen aus der Krise lernen und allgemein mehr in die Lehre investiert wird: Pflichtlehrveranstaltungen sollten nicht von Lehrbeauftragten aufgefangen werden müssen, es sollte mehr unbefristete Stellen geben und die sollten auch nicht so mit Lehre überfrachtet werden, dass ganze Bereiche zusammenbrechen, wenn eine Person ausfällt.

An Universitäten bestehen natürlich viel weniger massive Schwierigkeiten als in anderen gesellschaftlichen Bereichen, von den Außengrenzen Europas ganz zu schweigen. Uns wissenschaftlich mit all diesen neuen oder alten, aber verschärften Verhältnissen zu befassen, das verstehe ich für die Geschlechtersoziologie als ein Ziel dieses Semesters.

 

Dr. Käthe von Bose leitet derzeit den Lehrbereich Geschlechtersoziologie an der Universität Potsdam. Ihre Dissertation zum Verhältnis von Sauberkeit, Macht und Arbeit hat sie als Stipendiatin des Graduiertenkollegs „Geschlecht als Wissenskategorie“ der HU Berlin verfasst („Klinisch rein “, transcript 2017). Zuletzt dazu erschienen ist der Artikel „Intime Arbeit – prekäre Körper? Zur Bedeutung von Körperarbeit in vergeschlechtlichten Arbeitsfeldern“ (Co-Autorin: Isabel Klein).