Meinen Schreibtisch stelle ich mir gerne als Cockpit vor. Als kleine persönliche Kommando-Zentrale. Hier liegt, was gerade ansteht. Da kann man sich und anderen nichts vormachen. Sobald man das in Bild und Text festhalten will, wird es allerdings komplizierter. Das Foto zeigt ja nicht allein den Schreibtisch, sondern auch – und vor allem – das, was man von und mit ihm zeigen will. Das ist die hin- und nicht weggestellte Kaffeetasse genauso wie die Tatsache, dass ich das Bild mehr als zehnmal aufgenommen habe, bis meine Füße nicht mehr zu sehen waren.
Dass Raumbeschreibungen auch in der Literatur mehr über Darstellungstechniken als über Figurencharaktere aussagen, ist ein wichtiger Aspekt in meiner Dissertation. Die liegt im Bücherstapel am linken unteren Bildrand zur Überarbeitung bereit, damit sie 2020 als Buch erscheinen kann. Genauer geht es in der Arbeit um textile Innenräume in der Literatur des 19. Jahrhunderts. Entstanden ist sie im SNF-Projekt „Interieur und Innerlichkeit“ unter der Leitung von Edith Anna Kunz an der Universität Lausanne.
Mein Forschungsinteresse für Materialität und Raum ist eng mit Fragen nach Geschlechterordnungen und -codierungen verbunden. Das habe ich im letzten Semester in einem Seminar zu literarischen ,Frauenzimmern‘ gemeinsam mit Studierenden weiter verfolgt. Ergebnisse daraus werde ich im Wintersemester in einem Beitrag zur Einführungsvorlesung der Gender Studies vorstellen – dazu gehört der noch auszubauende Stapel unter der Lampe.
Rechts davon liegen einige Titel mit deren Hilfe ich gerade ein Seminar zur literarischen Kanonbildung vorbereite, in dem es um die zugrunde liegenden Macht- und Geschlechterverhältnisse gehen soll. Am oberen Bildrand stapelt sich mein zweites Seminar für das Wintersemester, das sich mit ,Spuren‘ in Literatur und Theorie beschäftigt.
Von diesen dringlicheren Stapeln auch räumlich etwas abgedrängt sind am rechten unteren Bildrand ein paar Bücher zu meinem neuen Forschungsprojekt zu sehen: Darin möchte ich ,Dichte‘ als poetische Kategorie untersuchen. Im Zentrum steht die Frage, wie sich die Vorstellung vom poetisch ,dichten‘ Text parallel und in Wechselwirkung mit Verdichtungswissen und daran geknüpften Verdichtungstechniken ausbildet. Dabei spielen auch bestimmte an Verdichtung und Verdünnung bzw. Zerstreuung geknüpfte Geschlechtervorstellungen eine Rolle.
Die Ecke links oben mit Pflanzen und ein bisschen Klimbim habe ich mir gleich im April eingerichtet, als ich den Schreibtisch bezogen habe. Damit war ein erster Schritt getan, um im Büro und auf der neuen Stelle als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für deutsche Literatur anzukommen. Das ist bisher auch dank der herzlichen Aufnahme von Kolleg*innen und Studierenden sehr gut gelungen und ich freue mich auf mögliche Kooperationen, gemeinsame Projekte und vielfältigen Austausch am ZtG.
Kira Jürjens ist seit April 2019 wissenschaftliche Mitarbeiterin am Lehrstuhl für neuere deutsche Literatur und Theorien und Methoden der Geschlechterforschung von Prof. Dr. Ulrike Vedder am Institut für deutsche Literatur.
In unserem neuen Format #MeinSchreibtisch – zu finden unter der Kategorie Personen – geben Mitarbeiter_innen, Mitglieder und Absolvent_innen des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien einen Einblick in ihr Arbeitsumfeld sowie ihre aktuellen Projekte und Aufgaben.