Gender Studies zwischen Wissensformierung und Wissenskritik: Institutionalisierungsprozesse im deutschen Hochschulkontext

Sind die Gender Studies aktuell kritische Studiengänge? Diese Frage hat mich in meinem Masterstudium der Gender Studies an der Humboldt-Universität beschäftigt und häufig wurde ich zwischen meiner Forschung an feministischer Wissenschaftskritik und gleichzeitigem institutionellen Leistungsdruck hin- und her geworfen. Dabei hat sich für mich das Ordnungssystem Gender als Analysewerkzeug zu einem Kritikbegriff formiert, der vorhandene Verhältnisse befragen und dekonstruieren will. Doch inwiefern ist diese kritische Haltung innerhalb universitärer Räume umsetzbar? Warum schärfe ich in Seminaren mein machtkritisches Wissen und werde trotzdem mein gesamtes Studium von einer neoliberalen Hierarchie- und Leistungslogik geprägt? Inwiefern ist das Vorhaben der Gender Studies, feministisch-gesellschaftskritische Ansprüche in die Institution Universität einzubringen umsetzbar?

Feminismus und Universität: Eine ambivalente Beziehung

Diese Fragen sind zum Ausgangspunkt meiner Masterarbeit geworden. Mit Blick auf die Institutionalisierungsgeschichte der Gender Studies im deutschsprachigen Raum lässt sich dabei eine deutliche Ambivalenz des sogenannten akademischen Feminismus feststellen, die sich zwischen Partizipation an und Transformation von Institutionen zeigt. Davon ausgehend habe ich mich in meiner Masterarbeit mit Methoden Feministischer Wissenschaftskritik und der Geschichte der Akademisierung des Feminismus beschäftigt um zu erforschen, wie diese Ambivalenz als wissenschaftliche Praxis verhandelt werden kann. Konkreter: Feministische Arbeit und Kritik setzen sich für mich aus der Infragestellung vorhandener Macht- und Hierarchiegefälle zusammen und haben das Ziel, allen gleichermaßen Partizipation an dem gesellschaftlichen Miteinander zu ermöglichen. Wie lassen sich aber diese Ansprüche in einem hochschulpolitischen Umfeld umsetzen?

Zwischen Diversity und Gleichstellungspolitik

Ausgangsthese meiner Masterarbeit war, dass die neoliberale unternehmerische Hochschule in ihrer quantifizierenden Neuerfindung des universitären Systems (Hark/Hofbauer, 2018) das Studieren und die Seminare beeinflusst und dabei feministisch-akademischen Ansätze von Wissenschaft entgegensteht. Darauf aufbauend befragte ich die Akademisierung des Feminismus, aus der heraus die Studiengänge der Gender Studies entstanden, indem ich sowohl die historiographische Perspektive einnahm als auch konkret in Form von Expert*innen-Interviews nach den aktuellen Entwicklungen der Gender Studies im deutschsprachigen Raum forschte. Besonderes Interesse galt dem Spannungsfeld zwischen theoretischen Ansätzen und Methoden innerhalb feministischer Theorie und praxisbezogenen Studien- und Lehrerfahrungen: Dabei konzentrierte sich meine Forschung mehr auf die aktuelle Bestandsaufnahme der Gender Studies zwischen Diversity, Gleichstellungspolitik und feministischer Theorie. Die Frage nach einer Zukunft der Gender Studies an den Hochschulen wurde jedoch stets mitgedacht.

Ich selbst verorte mich in der Wissenschaft und möchte an den Potentialen, die universitäre Räume bieten können, zunächst festhalten: Mit Sabine Harks Bestimmung einer feministischen Theorie durch verschiedene „Modi der Produktion von Wissen […], die an den Widersprüchen der Zeit orientiert sind und zugleich über diese hinausweisen“ (Hark, 2013) appelliere ich an die Dialogfähigkeit, die in Seminaren entstehen kann und betrachte dahingehend das Verhältnis von Wissenschaft und Kritik aus feministischer Perspektive. Dabei konzentrierte sich meine Forschung zunächst darauf, das feministisch-akademische Tätigkeitsfeld zu erfassen und zu erläutern, indem ich Ansätze feministischer Kritik versammelt und analysiert habe, um daran anschließend das Verhältnis von Theorie und Politik zu beleuchten. Grundlage bildete die Auseinandersetzung mit der Diskursgeschichte des akademischen Feminismus. Im Anschluss untersuchte ich die disziplinäre vs. interdisziplinäre Ausrichtung der Gender Studies. Der Abschluss meiner Arbeit bildete die notwendig empirische Aktualisierung dieser theoretischen Forschung, indem ich durch Interviews mit einer lehrenden Person und einer Person aus der Studiengangkoordination meine (studentische) Perspektive erweiterte und vor allem die Begriffe in ihrer aktuellen Anwendung an der Universität analysierte.

Wie wollen wir denken? Wie wollen wir Wissen generieren?

Der rote Faden, der sich durch meine gesamte Forschung zieht, führte zurück zur Ausgangsfrage: Wie können die Gender Studies die Ambivalenz zwischen ihrem Anspruch, gegebene, von Hierarchie- und Leistungslogik geprägte Hochschulstrukturen zu transformieren und gleichzeitig an ihnen zu partizipieren aushandeln? Mein theoretischer Teil fokussiert sich auf die Erarbeitung und Bestätigung einer Ambivalenz, die den akademisch gewordenen Feminismus in der neoliberalen Institution der Hochschule ausmacht. Dabei unterstrich ich das Potential feministischer Theorie, um diese Ambivalenz in ihrer Bewegung zu verstehen und sich dahingehend bewusst zu machen, was die Gender Studies in der Universität wollen. Die geführten Interviews unterstrichen meine Ergebnisse, dass im Feld des akademischen Feminismus etwas schief zu laufen scheint. Zugleich zeigten sie auf, dass feministische Inhalte innerhalb der Forschung und Lehre eine große Kritikkompetenz mit sich bringen und für diese auch weiterhin Raum geschaffen werden muss. Die empirische Bestandsaufnahme bestätigte, dass die Institution Universität den (akademischen) Feminismus in seiner Erzeugung kritischen Wissens einengt. Anstelle des Anspruchs an Transformation tritt vielfach der schlichte Wunsch zu überleben und durch genannte Diversity-Keywords Zugang zu Fördertöpfen zu bekommen.

Einmischen und nerven

Die geführten Interviews haben gezeigt: Kritik wird als ‚einmischen‘ und ‚nerven‘ empfunden und das scheint eine der großen Aufgaben der Gender Studies in der aktuellen Hochschulpolitik zu sein.

Ziel meiner Abschlussarbeit war es, Werkzeuge der feministischen Theorie für eine kritische Haltung herauszuarbeiten, zu konkretisieren und in einem weiteren Schritt historisch zu verorten, um sie abschließend mit einer aktuellen sozialen Realität zu konfrontieren. Dabei sehe ich das Fazit meiner Arbeit in der permanenten Wiederholung des Pendelschlags, der die Gender Studies zwischen Angleichung und Transformation inhaltlich definiert. Dahingehend ist die Verhandlung von Widersprüchen, Differenzen und Ungleichzeitigkeiten sowohl auf der theoretischen als auch hochschulpolitischen Ebene notwendig. Eine Verhandlung, die der akademisch gewordene Feminismus in die Universitäten gebracht hat und die permanent re-aktualisiert werden muss. Hier liegt das Potential der Gender Studies, das aus inner- und außeruniversitärer Perspektive immer wieder akzentuiert werden muss. Das Lehren und Studieren kann dabei zum Einmischen und Nerven innerhalb des hochschulpolitischen Apparats werden. Die Gender Studies haben in ihrer Institutionalisierungsgeschichte ein großes Potential an den Hochschulen entfalten können und müssen sich trotzdem aktuell immer wieder ihrer kritischen Perspektivierung gewahr werden, insofern sie die eigene Position innerhalb der Universitäten stärken und zeitgleich diese Institutionen kritisch reflektieren. Es bleibt eine Gratwanderung, die sowohl inneruniversitär als auch im außeruniversitären Zusammenspiel erarbeitet und immer wieder neu vollzogen werden sollte.

 

Literatur

Hark, Sabine/Hofbauer, Johanna: Vermesse Räume, gespannte Beziehungen, Suhrkamp: Frankfurt 2018.

Hark, Sabine: Dissidente Partizipation: Eine Diskursgeschichte des Feminismus, Suhrkamp: Frankfurt 2005.

Feministische Theorie heute: Die Kunst, ‚Nein‘ zu sagen, in: Feministische Studien: Zeitschrift für interdisziplinäre Frauen- und Geschlechterforschung, 31/1 (2013), S.65-71.

 

Margo Damm (she/they) 28 Jahre, arbeitet an der Schnittstelle zwischen Wissenschaftskritik und Wissenschaftstransformation und bereitet sich derzeit auf die Promotion vor. Im Masterstudium der Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin untersucht Margo den Begriff der Kritik in seiner feministischen Verwendung. Dabei wurde der Seminarraum nicht nur zur Erarbeitung von Theorie genutzt, sondern als gelebter Raum geteilter Erfahrungen und Möglichkeiten verstanden. Die Frage, was Universität eigentlich kann ist für Margo daran anknüpfend zum Forschungsschwerpunkt geworden: Wie steht es um den Zusammenhang von Feministischer Theorie und gesellschaftlicher Praxis? Neben der Universität stellt Margo sich Fragen nach potenziellen Möglichkeitsräumen, die alltagsnahe gelebte Praxis und reflexive Theorie immer wieder zusammenbringen.