Valerie Assmann: DISCOVER FOOTBALL

50 Jahre Frauenfußball: Quo vadis, Fußballfeminismus?

1970 hob der Deutsche Fußball-Bund (DFB) das in Westdeutschland gültige Fußballverbot für Frauen auf. Seither drängen immer mehr Mädchen und Frauen auf die Fußballplätze und in die Vereine, und das Nationalteam der Frauen verzeichnet beeindruckende internationale Erfolge. Zugleich erheben Spielerinnen lautstark Forderungen nach angemessenen Gehältern, adäquater medialer Repräsentation sowie Teilhabe an Entscheidungspositionen und prangern Diskriminierungen im Fußball an. Die Aufhebung des sogenannten Frauenfußballverbots kann also durchaus als ein Meilenstein auf dem Weg zu mehr Geschlechtergerechtigkeit im Fußball gesehen werden. Sie stellt aber auch einen Scheidepunkt dar, an dem sich entschied, welche Geschlechterpolitik fortan die Geschicke des Frauenfußballs lenken und welche geschlechterpolitischen Positionen von der Bildfläche verschwinden sollten.

1970: Ein Scheidepunkt

1950 untersagte der DFB mit einem Beschluss auf seinem Bundestag seinen Mitgliedsvereinen, Damenteams zu unterhalten und ihnen Sportplätze zur Verfügung zu stellen, und er verbot den Trainern und Schiedsrichtern das Leiten von Frauenteams bzw. -spielen. Damit wurden regelmäßiges Training und geregelte Wettkämpfe de facto unmöglich. Dennoch spielten viele Mädchen und Frauen weiter: Sie gründeten eigene Vereine, organisierten mit kreativen Mitteln Turniere und fuhren zu selbstorganisierten internationalen Wettbewerben. Gerade als immer mehr regionale Frauenfußballverbände – auch mit Unterstützung von Männern – gegründet wurden, hob der DFB das Verbot wieder auf. Deshalb vermutet die Soziologin Nina Degele, dass das Verbot nicht (allein) aus gleichstellungspolitischen Motiven aufgehoben wurde, sondern vielmehr dem DFB die Kontrolle über das frauenfußballerische Geschehen in Westdeutschland sichern sollte.

Fortan gliederte sich der Mädchen- und Frauenfußball in die Strukturen des Spitzenverbandes ein und firmiert seither unter dessen Regelwerk. Mit dieser Inklusion erloschen jene Bestrebungen, eigene Verbände aufzubauen und Turniere nach eigenen Regeln auszutragen. Damals setzte sich also jene liberalfeministische Position, die Inklusion und Gleichstellung, Anerkennung und Repräsentation fordert, gegenüber radikaleren, auf Separation ausgerichteten Bestrebungen durch und konnte sich bis heute manifestieren. Während die Spannung zwischen liberal- und radikalfeministischen Positionen im Sport bereits im Zuge der ersten Frauenbewegung diskutiert wurde, so finden sich heute – zumindest im Fußball und abgesehen von kleinen Freizeitangeboten in den Großstädten – keine nennenswerten Versuche, unabhängig von den etablierten Verbänden einen eigenen Frauenfußball zu organisieren und zu spielen.

Und in Ostdeutschland?

Während in Westdeutschland der Weg des offiziellen Verbots gewählt wurde, wurde der Damenfußball in der DDR geduldet. Da er damals aber noch nicht zu den olympischen Disziplinen zählte und sich somit nicht zum nationalen Prestigeprojekt eignete, wurde er im Bereich des Freizeit- und nicht des Leistungssports angesiedelt. So genoss er im Vergleich zum Männerfußball weniger Ansehen und staatliche Förderung. Nach der Wiedervereinigung lösten sich viele, meist an Betrieben angebundene Frauenteams auf und der ostdeutsche Fußball wurde in das westdeutsche Vereins- und Verbandssystem eingegliedert.

Die Liaison von Equality und Leistung

Der in Westdeutschland beschrittene und im vereinigten Deutschland fortgeschriebene Weg der Inklusion in die bestehenden Verbände hat selbstredend zahlreichen Mädchen und Frauen den Zugang zur beliebtesten Sportart in Deutschland geöffnet, ihnen Mitsprachemöglichkeiten eingeräumt und nach und nach Themen wie Diskriminierung, Empowerment und Gleichstellung auf die Agenden der Vereine und Verbände befördert. Dabei kritisieren und diversifizieren sie auch die Geschlechterbilder: Während Frauen im Fußball zunächst als ‚Mannweiber‘ abgewertet und dann als heterosexuelle und ‚hübsche‘ Kickerinnen vermarktet wurden, demonstrieren erfolgreiche Spielerinnen selbstbewusst nicht-normative Weiblichkeiten und Lebensentwürfe. Fußball ist heute nur noch schwerlich als reine Männerdomäne zu verteidigen.

Dennoch birgt die Integration in die bestehenden Verbandsstrukturen auch Falltüren. Denn aus dem Blick gerät häufig die enge Verflochtenheit von fußballerischer Leistung und Männlichkeit. Fußball, wie auch andere moderne Sport- und Bewegungsformen, wurde – kurz gesagt – von Männern für Männer mit dem Zweck erfunden, männlich konnotierte Werte und Eigenschaften zu erlernen. Die dafür geschaffenen Regeln und Organisationsstrukturen werden seither von den Verbänden bewahrt.
Die feministisch inspirierte Sportforschung hat gezeigt, wie diese Regeln und Strukturen ‚männliche‘ Werte und Strukturen übermitteln: Disziplin und Härte gegen den eigenen und gegen andere Körper, Leistungsstreben und Kräftemessen sowie das Produzieren von Gewinnern und Verlierern schaffen eine unliebsame Wahlverwandtschaft zwischen modernem Sport und androzentrischer Gesellschaftsordnung. Die sich in den 1980er Jahren entwickelnde feministische Sport- und Bewegungskultur plädiert daher für ein Sportverständnis, das von den sozialen Situationen und Erfahrungen von Frauen ausgeht, gegenseitige Unterstützung und Befähigung ermöglicht und Achtsamkeit gegenüber körperlichen Bedürfnissen und Grenzen vermittelt. Die feministische Kritik am modernen Sport macht sichtbar, dass das, was im Fußball als sportlich gute Leistung gilt, keinesfalls geschlechtlich neutral, sondern eng an Imaginationen und Bedingungen von Männlichkeit geknüpft ist.

Wenn Fußballerinnen nun auf den verschiedenen Ebenen des Verbandsfußballs Equality einfordern, so tun sie dies nicht selten mit Verweis darauf, die gleiche Leistung zu erbringen und das gleiche Spiel zu spielen; sie demonstrieren Lust an Disziplin, Härte, Geschicklichkeit und Wettkampf und bestehen darauf, dass für sie dieselben Regeln wie im Männerfußball gelten. Und nicht selten ist es erst die gute fußballerische Leistung und die so erspielte Anerkennung, die es Spielerinnen ermöglicht, öffentlich gegen Homophobie zu protestieren, sich dem heteronormativen Zwang zu entziehen und sich gar explizit politisch zu äußern, wie dies kürzlich Megan Rapinoe tat. Die Verstrickungen zwischen diesem liberalfeministischen Vorgehen und der Reproduktion des Fußballs als Praxis und Raum, um männlich konnotierte Eigenschaften und Strukturen zu erlernen, bleiben dabei häufig ungesehen. Das Leistungsprimat des Fußballs als genuin androzentrisches Prinzip wird so affirmiert, nicht hinterfragt.

Quo vadis, Fußballfeminismus?

Wie geht es also weiter für Frauen, Fußball und Feminismus? Vielleicht wird der Fußball mit zunehmender Präsenz von Frauen auf dem Rasen, in Entscheidungspositionen und in den Medien auch qualitativ verändert. Doch Forderungen aus weiblichen Mündern, die nicht nur die heterosexistischen Dimensionen kritisieren, sondern auch die etablierten Regeln, Organisationsformen, Anforderungen und Bedingungen hinterfragen, laufen stets Gefahr, missverstanden zu werden. Ihre Forderungen nach und Visionen von einem anderen Fußball werden dann nicht als Kritik an der Männlichkeit des Fußballs verstanden, sondern als Bestätigung des gängigen Vorurteils, Frauen seien körperlich oder charakterlich zu schwach für den ‚richtigen‘ Fußball – ein Stereotyp, das lange Zeit die Marginalisierung von Mädchen und Frauen im Fußball begründete.

Dennoch ist eine solch radikale Kritik und feministische Umgestaltung des Fußballs nicht unmöglich, wie die steten Bemühungen einzelner Frauenfußballinitiativen auf Graswurzelebene immer wieder zeigen. Ein Beispiel ist das internationale Frauen-Fußball-Kulturfestival DISCOVER FOOTBALL. Hier wird den unliebsamen Auswüchsen des Fußballs mit konkreten Veränderungen der Spielregeln entgegengewirkt: Rivalitäten zwischen schwächeren und stärkeren Teammitgliedern, Feindschaft zwischen konkurrierenden Teams, das Zelebrieren von Sieg und Niederlage und übermäßige Gewalt gegen den eigenen Körper in Form von Leistungsdruck sowie gegen andere Körper in Form von (taktischen) Fouls werden ersetzt durch mehr Solidarität, Miteinander und gegenseitige Befähigung – ohne dass dabei Spielfreude und Spannung auf der Strecke bleiben.

Doch können solche feministischen Visionen in den Verbänden, die sich dem Leistungs- und Wettkampfprimat verschrieben haben, Gehör finden? Vielleicht ist es just in jenem Moment, in dem die Macht der großen Fußballverbände auch aufgrund von Korruption, Menschenrechtsverletzungen und überbordender Kommerzialisierung großflächig angegriffen wird, an der Zeit, um noch einmal über einen eigenen unabhängigen Verband nachzudenken.

Weitere Quellen

  • Kröner, Sabine (1987) Technikfortschritt und weiblicher Körper im Sport. Beiträge zur feministischen Theorie und Praxis 20:113–122.
  • Linne, Carina Sophia (2011) Freigespielt: Frauenfußball im geteilten Deutschland. Berlin: Be.Bra Wissenschaft Verlag.
  • Pfister, Gertrud (Hrsg.) (1980) Frau und Sport. Frankfurt am Main: Fischer Taschenbuch Verlag.
  • Pfister, Gertrud (1991) Zur Geschichte des Diskurses über den „weiblichen“ Körper (1880-1933). In: Birgit Palzkill, Heidi Scheffel, und Gabriele Sobiech (Hrsg.), Bewegungs(t)räume. Frauen Körper Sport. S. 7–14. München: Frauenoffensive.

Dr. Friederike Faust ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Europäische Ethnologie der Humboldt-Universität zu Berlin. Kürzlich erschien ihre Doktorarbeit mit dem Titel „Fußball und Feminismus. Eine Ethnographie geschlechterpolitischer Interventionen“ im Verlag Barbara Budrich. Für diese begleitete sie Fußballaktivist_innen und arbeitete heraus, wie, unter welchen Umständen und mit welchen Konsequenzen im Fußball feministisch gehandelt werden kann.