Die Verbindung von Feminismus und Elternschaft ruft unter Feminist*innen unterschiedlichste Positionen hervor. Elternschaft – für viele Feminist*innen bedeutet(e) dieses Thema einen Widerspruch zu einem emanzipierten Leben. Für sie stellt Elternschaft den unvermeidbaren Weg in traditionelle Geschlechterverhältnisse dar, den es zu umgehen gilt. Für viele gilt die Entscheidung für ein Leben ohne (eigene) Kinder als der Weg in ein selbstbestimmtes Leben. Andere finden, dass Elternschaft durchaus Möglichkeiten zum Erproben egalitärer Sorgemodelle bieten kann, auch wenn dabei das Problem aufkommt, dass in unserem kapitalistischen Gesellschaftssystem nicht genug Platz für egalitäre Sorgearrangements vorgesehen ist. Wieder andere argumentieren, dass die Auseinandersetzung mit Elternschaft und Feminismus an einem anderen Punkt ansetzen muss, nämlich bei der Frage, wer überhaupt Kinder bekommen kann und welchen Kindern überhaupt ein Aufwachsen unter guten Bedingungen möglich ist. Je nach Perspektive, setzen verschiedene Feminist*innen also gänzlich andere Foki in der Auseinandersetzung mit Elternschaft.
Es lässt sich festhalten, dass sich feministische Debatten um Elternschaft und Familiengründung im deutschsprachigen Raum derzeit an einem Wendepunkt befinden. In Europa war lange Zeit der Gleichheitsfeminismus und seine Idealisierung des autonomen Subjekts, das von Fürsorgeverpflichtungen losgelöst agiert, dominierend. Weil ein abhängiges Kind der elterlichen Autonomie Grenzen setzt, war die Familiengründung und insbesondere Mutterschaft lange Zeit Gegenstand feministischer Abgrenzungsbemühungen. Aktuell erleben wir eine Horizonterweiterung in den feministischen Perspektiven auf Elternschaft, die sich immer häufiger an differenzfeministische Argumentationsfiguren, etwa der Freiheit durch Angewiesenheit oder der Macht durch Mutterschaft orientieren. Wir kennen derartige Argumente bislang eher aus der US-amerikanischen Reproductive Justice Bewegung, peu à peu halten sie aber auch in hiesige Debatten Einzug.
Die Schnittstelle von Feminismus und Elternschaft ist in der deutschen Wissenschaft bisher ausgespart
Die feministische Debatte um Elternschaft ist im deutschsprachigen Raum eine in vielerlei Hinsicht fragmentierte Angelegenheit. Die Gründe hierfür sind vielfältig und in einem Wechselverhältnis zwischen institutionalisierten Strukturen und den darin eingebetteten Handlungen der Eltern zu finden. Sowohl Elternschaft als auch die damit einhergehende Arbeitsteilung werden in den feministischen Theorien der Gleichheit, der Differenz und in Ansätzen des Konstruktivismus in sehr unterschiedlicher Art und Weise bearbeitet. Dabei schwingen in den derzeitigen feministischen Auseinandersetzungen die unterschiedlichen feministischen Positionen eher unausgesprochen mit.
Die divergierenden feministischen Positionen zu Elternschaft sowie deren Institutionalisierung sind in der deutschsprachigen Forschungslandschaft bislang unbearbeitet geblieben. Wie Elternschaft feministisch gestaltet werden kann, ist auch in den unterschiedlichen feministischen Theorien eine offene Frage.
Einblicke ins Handbuch
Hier haben die Herausgeberinnen des Handbuches Feministische Perspektiven auf Elternschaft angesetzt und mit dem Handbuch ein Werk ins Leben gerufen, welches verschiedene feministische Perspektiven nebeneinanderstellt. In dem Handbuch werden implizite Positionen expliziert und damit die vielfältige Theoretisierung und Positionierung sowie die unterschiedlichen feministischen Perspektiven auf Elternschaft sichtbar gemacht. Das Handbuch versammelt fünfzig Schlagworte, die in vergangenen und aktuellen Debatten um Feminismus und Elternschaft unterschiedlich präsent sind und waren. Schlagworte sind beispielsweise Betreuungsmodelle wie das Wechselmodell, dass spätestens seit dem neuen Koalitionsvertrag immer mehr diskutiert wird. Auch die Kindergrundsicherung stellt ein Schlagwort dar, genau wie Prekarität und Mutterschaft. Das Handbuch beinhaltet zudem Beiträge, die bisher in der deutschen Wissenschaftslandschaft kaum oder gar nicht vorkommen, so z.B. rassismuskritische Verortungen von Elternschaft wie Critical Race Parenting oder Mutterschaft als Person of Color. Auch das im populärwissenschaftlichen Bereich viel diskutierte Konzept von Mental Load ist im Handbuch platziert, ebenso wie Elternschaft und Polyamorie oder eine feministische Perspektive auf Pränataldiagnostik und Begleitete Elternschaft. Eine vollständige Übersicht über alle Schlagworte sowie Einblicke in die jeweiligen Beiträge findet sich auf der Webseite zum Handbuch (https://feministische-eltern.de/einblicke/). Das Handbuch ist in fünf Kapitel aufgeteilt:
Mit der Frage, wie Mutterschaft, Vaterschaft und Elternschaft in unterschiedlichen Strömungen verarbeitet werden, beschäftigt sich die erste, auf theoretische Verortung ausgerichtete Rubrik. Feministische Perspektiven auf die Bestimmung von Elternschaft im Recht und die institutionelle Ausübung beispielsweise in der Kinder- und Jugendhilfe ist Gegenstand der zweiten Rubrik. Die verschiedenen Wege in die Elternschaft von der Kinderwunschbehandlung, über Fehlgeburten und Geburtsvorbereitungskursen bis hin zu den politischen Debatten um die Pränataldiagnostik sind Themen der dritten Rubrik. Die vierte Rubrik thematisiert feministische Perspektiven auf das Leben mit Kindern von Fragen der Säuglingsernährung und den Diskursen um das Stillen über die elterliche Arbeitsteilung und den damit einhergehenden Paardynamiken. Auch die begleitete Elternschaft, wenn Eltern ihre Kinder nicht alleine versorgen können, ist Thema der Rubrik. Schließlich geht es in der fünften Rubrik um Utopien vom Leben mit Kindern, um Co-Elternschaft, Familienpolitik, Emanzipation, Freiheit, Polyamorie und Kollektivität.
Das Handbuch richtet sich an Personen, denen Elternschaft und Feminismus im alltäglichen Leben begegnet und für die es Nachschlagewerk genauso wie Diskussionsgrundlage sein kann, es richtet sich auch an Lehrende an Universitäten oder an Multiplikator*innen der Erwachsenenbildung. Das Handbuch bietet einen breiten Überblick bei einer gleichzeitigen Vertiefung der behandelten Themen. In einer möglichen zweiten Auflage könnten Themen aufgenommen werden, die in diesem Band noch offen geblieben sind, dazu gehören Elternschaft und Freundschaft, Inobhutnahme, Elternschaft in der DDR, Adoption und viele mehr, da die Bandbreite der Themen rund um Feminismus und Elternschaft sehr breit ist.
Soziale Elternschaft – Zwischen rechtlicher Voraussetzung und sozialer Wirklichkeit
Einer der zentralen Themen des Handbuchs, die soziale Elternschaft, wird am Montag, den 16. Mai um 18 Uhr im Rahmen einer Hybrid-Diskussion mit verschiedenen Handbuch-Autorinnen am Zentrum für transdisziplinäre Geschlechterstudien diskutiert, zu der das ZtG herzlich einlädt. Dabei werden Fragen der sozialen Elternschaft – zwischen rechtlicher Voraussetzung und sozialer Wirklichkeit erörtert: Inwiefern sind soziale Kriterien für die Eltern-Kind Zuordnung ausschlaggebend? Welchen rechtlichen Rahmen finden Co-Eltern bei ihrer Familiengründung vor? Welche rechtlichen Voraussetzungen finden wir in Nachtrennungsfamilien? Und wo besteht Reformbedarf? Über diese und weitere Fragen wird gemeinsam mit Autorinnen und Herausgeberinnen diskutiert werden.
Die Veranstaltung findet im Senatssaal der HU Berlin statt.
Weblink zum Buch : www.feministische-eltern.de
Lisa Yashodhara Haller, Dr. rer. pol., ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Sozialforschung (IfS) der Goethe-Universität Frankfurt am Main. In ihrer empirischen Forschung befasst sie sich mit den Vermittlungszusammenhängen zwischen der staatlichen Steuerung unserer kapitalistischen Wirtschaft und vermeintlich ganz privaten Entscheidungen des Alltags. Als Autorin einer Vielzahl von Büchern, schreibt sie rund um das Thema Elternschaft, Kapitalismus, Sozialpolitik, Geschlechterdifferenz und Feminismus.
Alicia Schlender forscht zu feministischen Kritiken der Kleinfamiliennorm und der Vergeschlechtlichung innerfamiliärer Arbeitsteilung sowie zu alternativen Familienmodellen. Sie arbeitet freiberuflich in der politischen Bildungsarbeit und als Systemsiche Beraterin. Zudem promoviert sie aktuell an der Humboldt-Universität Berlin.