Das Bild zeigt stählerne Fassadenplatten mit einer grünlich-transparent verglasten Fensterauslassung. Die Mateerialität der Ecken und Kanten um den zentralen Fenstereinblick strahlt Bedrohlichkeit aus.

Die unsichtbare Gefahr der Demokratie: Cybermobbing gegen Politikerinnen

Was haben die kanadische Politikerin Catherine McKenna, die Schweizer Politikerin Jolanda Spiess-Hegglin, die deutsche Grünen-Politikerin Ricarda Lang und die US-amerikanische Politikerin Alexandria Ocasio-Cortez gemeinsam? Abgesehen davon, dass sie alle Politikerinnen sind, teilen sie eine belastende Realität: Sie sind, wie viele andere, Opfer von Cybermobbing. Diese Entwicklung dürfte sich nach den neuesten Nachrichten weiter verschärfen, da nicht nur Elon Musk, sondern auch Mark Zuckerberg die Zusammenarbeit mit unabhängigen Faktenprüfer*n seiner Social-Media-Netzwerke Facebook, Instagram und Threads einstellt.  Gesellschaftliche und politische Themen, die davon besonders betroffen sein werden, sind Migration und Geschlechterfragen, wie es Zuckerberg selbst ausführte.

Gefährdung der Demokratie und gesetzliche Gegenmaßnahmen

Cybermobbing gegen Politikerinnen stellt auch bislang schon eine wachsende Gefahr für die Demokratie dar, da es ihre politische Arbeit erschwert. Um dieser Bedrohung entgegenzuwirken, plante das deutsche Bundesjustizministerium im April 2023 ein Gesetz, das die Identifizierung von Täter*innen digitaler Gewalt erleichtern soll. Betroffene sollen durch einen vereinfachten Zugang zu IP-Adressen zivilrechtliche Maßnahmen ergreifen können.

Das Gesetz sieht zudem vor, bei schweren Persönlichkeitsverletzungen Social-Media-Konten zeitlich begrenzt zu sperren, um Wiederholungsgefahr zu minimieren. Kritiker*innen befürchten jedoch, dass diese Maßnahmen die Meinungsfreiheit einschränken könnten und auch private Kommunikation betroffen sein könnte. Hinzu kommt die Frage der Effektivität, da neue Konten leicht erstellt werden können.

Obwohl rechtliche Hürden bestehen, wie etwa durch Entscheidungen des EuGH (09.11.2023 – C-376/22) und BGH (BGH, Beschluss vom 28. September 2023 – III ZB 25/21 – OLG Köln), wird dieses Gesetz in Deutschland als notwendiger Schritt angesehen, um die demokratische Vielfalt zu schützen. Der Digital Services Act der EU zeigt bereits Ansätze zur Regelung digitaler Plattformen, die aber begrenzt sind. Cybermobbing gegen Politikerinnen stellt eine wachsende Gefahr für die Demokratie dar, da es ihre politische Arbeit erschwert.

Hass gegen Politiker*innen: Eine Gefährdung für die Demokratie?

Soziale Medien nehmen weltweit einen zunehmend wichtigen Teil unseres Lebens ein, mehr als die Hälfte der Amerikaner*innen gibt an, Nachrichten aus sozialen Medien zu beziehen. Für viele Politiker*innen ist das Internet jedoch ein Ort des Hasses und der Bedrohung. Der misogyne Hass gegen Politikerinnen zeigt sich online in vielen Formen, von beleidigenden Kommentaren und Verleumdungen bis hin zu direkten Drohungen. Neue Untersuchungen zeigen, dass Online-Gewalt – von Deepfakes bis hin zur Androhung sexualisierter Gewalt – für Politikerinnen auf verschiedenen Regierungsebenen in der ganzen Welt zur täglichen Realität gehört. Eine Studie der Interparlamentarischen Union fand heraus, dass 82% der befragten weiblichen Abgeordneten psychische Gewalt erlebten. Auch das Parlament ist einer von vielen Schauplätzen der brutalen Interdependenz rassisierter und vergeschlechtlichter Gewalt: Schwarze und Asiatische weibliche Parlamentsabgeordnete sind besonders aggressiver Gewalt im Netz ausgesetzt (Dhrodia, 2018). Solche Angriffe machen deutlich, wie sich unterschiedliche Diskriminierungsformen überschneiden und zusammenwirken, wodurch Frauen aus marginalisierten ethnischen Gruppen besonders stark von digitaler Gewalt betroffen sind.

Das Erleben solcher ständiger Angriffe hat einen „chilling effect“ (Sobieraj, 2020): Frauen ziehen sich aus der Politik zurück oder zögern, sich überhaupt erst zu engagieren. Eine Demokratie, die aufgrund von Einschüchterung wichtige Stimmen verliert, kann nicht alle Bürger*innen gleichermaßen vertreten. Eine 2016 gestartete Online-Kampagne zeigte, dass z.B. viele Frauen im Schweizer Parlament täglich mit Sexismus und Belästigungen konfrontiert sind. Im digitalen Zeitalter sind sie auch außerhalb des Büros Opfer von Cybermobbing.

Die Eskalation von Hass im Netz

Eines von vielen Beispielen für die Gefahren von Hass im Netz gegen Politikerinnen ist der Fall der kanadischen Politikerin Catherine McKenna. Als Umweltministerin war sie verantwortlich für einige der umstrittensten politischen Entscheidungen des Landes. Zur Zielscheibe wurden letztlich jedoch nicht nur ihre politischen Positionen, sondern insbesondere ihr Geschlecht und Aussehen. Die Hasskampagne gegen McKenna begann online, wo sie mit dem sexistischen Spitznamen „Climate Barbie“ verunglimpft wurde. Beleidigungen eskalierten dann schnell zu ernsthaften Bedrohungen, sie erhielt Nachrichten mit expliziten Gewaltfantasien und es wurden sogar physische Angriffe gegen ihr Wahlkampfbüro verübt, indem es mit misogynen Graffiti beschmiert wurde.

McKenna sprach offen über die psychischen Belastungen, die diese ständigen Angriffe mit sich brachten. Sie berichtete, dass der tägliche Hass nicht nur sie selbst, sondern auch ihr Team stark belastete. Viele Frauen, die diese Angriffe miterlebten, gaben an, dass sie aufgrund dieser Erfahrungen niemals eine politische Karriere in Erwägung ziehen würden – der „chilling effect“ in Aktion.

Online-Missbrauch hat auch erhebliche Auswirkungen auf das Privatleben von Politikerinnen. Ein Beispiel dafür ist Jolanda Spiess-Hegglin, eine ehemalige Abgeordnete des Kantons Zug. Sie fühlte sich „hilflos“ nach den Angriffen durch Cybermobber. Im Dezember 2017 wurde sie in einen Skandal verwickelt, nachdem sie eine Vergewaltigungsklage gegen einen Schweizer Politiker erhoben hatte. In einem Interview erzählte sie, dass man ihr nicht glaubte: „Es gab eine Hexenjagd in den Medien, und ich war das Opfer aller Schweizer Boulevardzeitungen“. Auch Monate nach dem Vorfall erhält sie immer noch bösartige Kommentare in sozialen Netzwerken und per E-Mail.

Cybermobbing gegenüber Politikerinnen stellt also nicht nur ein persönliches Problem für die Betroffenen, sondern auch eine ernsthafte Gefahr für die Demokratie dar, da diese Angriffe die politische Arbeit der Betroffenen untergraben. Das hat weitreichenden Auswirkungen, denn wenn Politikerinnen aufgrund von Hass im Netz ihre Stimme verlieren oder sich aus dem öffentlichen Leben zurückziehen, leidet die Vielfalt und Repräsentation von Frauen in der Politik. Diese ist entscheidend, um herausfordernde Gesetze überarbeiten und gesellschaftliche Veränderungen auf den Weg bringen zu können. Eine vielfältige Bevölkerung braucht politische Vertreter*innen, die ihre Interessen teilen und sie authentisch vertreten. Ohne diese Repräsentation können Gesetze und Perspektiven, die alle Bürger*innen berücksichtigen, nicht gewährleistet werden.

 

Quellen

Dhrodia, A. (2018) Unsocial Media: Tracking Twitter Abuse against Women MPs. 24, no. 4. IPPR Progressive Review.

Sobieraj, S. (2020) Credible Threat: Attacks Against Women Online and the Future of Democracy. New York: Oxford University Press.

14.04.2023. „Gesetzesvorhaben gegen digitale Gewalt: Accountsperren gegen Internet-Pöbler und Cyber-Mobber“. „Gesetz gegen digitale Gewalt“ – Accountsperren gegen Hater (deutschlandfunk.de)

Roth, Anne. 27.04.2024. „Bundesjustizministerium: Ein Jahr kein Digitale-Gewalt-Gesetz“ https://netzpolitik.org/2024/bundesjustizministerium-ein-jahr-kein-digitale-gewalt-gesetz/

O.D. Gesetz gegen Digitale Gewalt. Gesetz gegen digitale Gewalt — HateAid https://hateaid.org/gesetz-gegen-digitale-gewalt/

 

Titelbild
https://pixabay.com/de/photos/fassade-fenster-fassadenplatten-5220194/, Pixabay Lizenz

 

Brinda Heckmann (keine/jegliche Pronomen) studierte Psychologie in Mainz und aktuell Gender Studies an der Humboldt Universität zu Berlin. Brinda arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft in einem Sozialforschungsinstitut.

Cassandre Lafin (keine Pronomen/sie-ihr) ist ausgebildete Juristin und arbeitet in der Personalleitung, während Cassandre ein Zweitstudium in Gender Studies an der Humboldt-Universität zu Berlin absolviert. Täglich setzt sich Cassandre gegen Diskriminierung in der Arbeitswelt ein und berät Unternehmen, die aktiv nach Gleichberechtigung streben. Sie ist unter lafincassandre@yahoo.fr zu kontaktieren.

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