Die junge Wissenschaftsrichtung Geschlechterstudien feiert und fragt einmal mehr: Wer bin ich und was kann ich? – Ein Blick auf mögliche Antworten zwischen Wissenschaftskritik, Wissensreformulierung und prekären Arbeitsbedingungen
„Als vergleichsweise junge Wissenschaftsausrichtung, die sich vornehmlich aus den Geistes-, Kultur- und Sozialwissenschaften speist und zugleich in diesen zumindest randständig Fuß gefasst hat, bildet sie [die Geschlechterforschung] exemplarisch spezifische Probleme ihrer Herkunftsdisziplinen unter Bedingungen der um sich greifenden »Vermessung« der Wissenschaft ab.“ 1
(‚Vermessene Räume, gespannte Beziehungen. Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken‘ hg. v. Sabine Hark und Johanna Hofbauer, S. 131)
Zehn Jahre Fachgesellschaft Geschlechterstudien (FG), dies feierte Ende Januar 2020 an der TU Berlin nicht nur die Fachgesellschaft, sondern auch die AG Perspektiven, denn seit fünf Jahren reflektieren und diskutieren wir nun, was die Zukunft dem sogenannten Nachwuchs perspektivisch bringen soll. In dieser Zeit und auch schon zuvor wurde viel diskutiert: Über inner- und außeruniversitäre Berufsperspektiven, über prekäre Arbeitsbedingungen, Inter- und Transdisziplinarität, Vernetzung innerhalb und außerhalb der Wissenschaft, aber auch die Marginalisierung als Genderforscher*in.
Jene Punkte wurden auch im ATGENDER-Report „Early Career Researchers in European Gender and Women’s Studies“ (Boulila, Cheung und Lehotai 2019) diskutiert. Mit zum Teil ernüchternden Ergebnissen: Die Angriffe auf die Gender Studies als interdisziplinäres Feld und die Personen, die darin forschen und arbeiten, sind innerhalb und außerhalb der Universität für viele Forschende besorgniserregend. Ein „half insider status“ (ebd: 10) mit fehlenden Finanzierungsmöglichkeiten und Stellen sowie vergleichsweise wenig sicheren Führungspositionen trägt zur Isolation von Genderforschenden bei (ebd: 10).
Prekär und interdisziplinär – alles eine Frage der Selbstdefinition?
Dieser Zustand ist für uns ein Anlass, die Ergebnisse in unserem Forum auf der Jubiläumstagung zu erörtern. Über die Positionierungen der Teilnehmenden zu unterschiedlichen Statements, waren wir ein wenig erstaunt: Prekär – doch nicht wir! Die Aussage über eigene prekäre Arbeitsbedingungen wurden intensiv problematisiert und zugleich diskutiert, welche Vorzüge die Auseinandersetzung mit den wichtigen und spannenden Themen der Gender Studies in Form eines Studiums oder einer Erwerbstätigkeit auch haben. Die Frage, die hier im Raum stand, drehte sich um die Selbstwahrnehmung prekärer Beschäftigungs- und Lebenssituationen und den Vergleich zu anderen. Gleichzeitig bestand aber auch Einigkeit darin, dass abgesicherte unbefristete Aussichten am Arbeitsort Hochschule wenig bis kaum zu sehen sind.
Spannend war zudem der gemeinsame Blick auf Interdisziplinarität und damit auch auf Selbstdefinitionen. Hier lässt sich das Problem der institutionellen Verankerung klar situieren, denn die interdisziplinäre Ausrichtung der Geschlechterstudien bringt Schwierigkeiten vor allem mit Blick auf wissenschaftliche Karrieren mit sich. Eine Frage die seit langem in verschiedenen Kontexten diskutiert wird, war auch: Inwiefern müssen sich die Geschlechterstudien als eigenes Fach verankern, um im akademischen Hochschulbetrieb eigene Zugänge für (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen ermöglichen zu können?
Weiter führte eine Diskussion zu Marginalisierungs- und Unterstützungserfahrungen zur Frage der Vernetzung und geeigneter Maßnahmen zur Unterstützung. Ein wesentliches Ziel der AG Perspektiven ist es, den wissenschaftlichen Nachwuchs in der Fachgesellschaft zu vernetzen, angefangen bei den Studierenden über Promovierende bis hin zu PostDocs. Professionelle formale und informale Netzwerke werden als ein wichtiger Aspekt in der ATGENDER-Studie genannt, um berufliches Vorankommen zu unterstützen und Resilienz in prekären und marginalisierten Positionen zu stärken. Gerade in diesen Positionen fällt besonders auf, was die spezifische Herausforderung von Genderforscher*innen ist: Der Vorwurf der Nichtwissenschaftlichkeit und der Backlash des Antigenderismus und Heteroaktivismus (S.2). Hinzu kommen die für andere Felder ebenfalls geltenden Herausforderungen des wissenschaftlichen Nachwuchses, wie prekäre Beschäftigungsbedingungen und unklare Karriereperspektiven.
Conference-Buddy-System
Um damit umgehen zu können, braucht es ein gutes Netzwerk und den Austausch innerhalb des Faches und unter (Nachwuchs-)Wissenschaftler*innen. Wie können wir das als AG unterstützen und netzwerken? Eine Idee, welche auch im ATGENDER-Report auftaucht, ist ein Conference-Buddy-System. Damit sind Modelle gemeint, die Tagungseinsteiger*innen die Teilnahme an und das Agieren auf wissenschaftlichen Tagungen erleichtern sollen. Sehen und gesehen werden, eigene Ideen entwickeln und vorstellen, Kontakte knüpfen, neue Impulse aufnehmen – das alles können Tagungen. Doch gerade am Anfang einer wissenschaftlichen Laufbahn fällt es vielen Nachwuchswissenschaftler*innen und Studierenden schwer, alleine auf eine Tagung zu gehen und aktiv zu netzwerken. Hier kommen die Conference Buddys ins Spiel: Beispielsweise über eine Plattform oder zentrale Anlaufstelle können andere Personen gesucht werden, die auf die gleiche Tagung gehen und sich treffen wollen. So ist zum einen die Hemmschwelle genommen (zum ersten Mal) alleine auf eine Tagung zu gehen und gleichzeitig werden Kontakte geknüpft. Die Spielregeln im Möglichkeitsraum Wissenschaft können gemeinsam kennengelernt, begutachtet und für sich genutzt werden.
Vielleicht besteht das Gefühl, die einzige Person auf der disziplinär verorteten Tagung zu sein, die etwas ‚mit Gender macht‘ oder es ist der erste Besuch einer wissenschaftlichen Tagung. Es ist gut zu wissen, dass es bestimmt immer noch eine Person gibt, der es ähnlich geht. Denn Teil eines guten Netzwerkes ist stets auch der Erfahrungsaustausch, von dem gerade Genderforscher*innen, welche institutionell marginalisiert werden, profitieren können. Über den eigenen (wissenschaftlichen) Standpunkt hinaus zu gehen ist Teil des wissenschaftlichen Verständnisses der Geschlechterforschung und muss immer wieder in Theorie und Praxis getätigt werden: Hochschule als Arbeitsort muss dabei immer wieder auch als Begegnungsort unterstrichen werden. Diese Gleichzeitigkeit passiert im Austausch, im Vernetzen und in der Reflexion. Genau das war sowohl Teil unseres Forums als auch der gesamten Jahrestagung. Einen Tag lang haben wir wieder erlebt, was es bedeutet, kritische Wissenschaft zu betreiben, indem vorhandene Prozesse der Geschlechterstudien betrachtet, re-aktualisiert und kritisiert werden und (vorhandene) Kollektive in akademischer Arbeit trotz der Bedingungen der neoliberalen Hochschule entdeckt und bestärkt werden können.
Wir von der AG Perspektiven möchten darum nunmehr zunächst die Idee des Conference-Buddy-System aufnehmen und prüfen, wie sich dies niedrigschwellig, pragmatisch und sinnvoll innerhalb der FG-Gender umsetzen lässt. Die aktuelle Lage der Corona-Pandemie zeigt einmal mehr, dass digitale Lösungen für analoge Herausforderungen nutzbar gemacht werden können. Dies sehen auch wir als Möglichkeit, digitale Angebote schaffen zu wollen.
Zum Nachlesen:
Boulila, Stefanie; Cheung, Jessica; Lehotai, Orsolya (2019): Early Career Researchers in European Gender and Women’s Studies: Professional Challenges and Ways Forward.
Hark, Sabine; Hofbauer, Johanna (2018): Vermessene Räume, gespannte Beziehungen. Unternehmerische Universitäten und Geschlechterdynamiken. In: dies. (Hg.). Frankfurt a.M.: Suhrkamp.
Autor*innen:
Die AG Perspektiven in der Fachgesellschaft Gender gibt es seit 2015. Wir laden alle Interessierten herzlich zur Mitarbeit ein. An diesem Beitrag beteiligt waren: Sarah Oberkrome (Hagen), Margo Damm (Berlin), Yves Jeanrenaud (München), Lisa Krall (Köln), Max Metzger (Berlin), Franziska Vaessen (Frankfurt)
Kontakt: perspektiven [at] fg-gender.de