Rache, Rächer*innen, Gerechtigkeit.

„Die Rache ist vielleicht die radikalste Spielform des Hasses, somit das ultimativ Verpönte […]“ (Kurt, 2023) – zumindest im Rahmen eines staatlichen Strafmonopols, wie Şeyda Kurt in ihrem Buch „Hass – Von der Macht eines widerständigen Gefühls“ erklärt. Interpersonelle Rache wird überwiegend delegitimiert und mit einem negativen Bild assoziiert, das dem Recht feindlich gegenübersteht (vgl. Bernhardt, 2021). Eine entgegengesetzte Perspektive wird geschlechterpolitisch diskutiert: Im fiktionalen Rape-Revenge-Genre beispielsweise wird Gewalthandeln in Einklang mit ‚Empowerment‘ und der Wiederherstellung von Gerechtigkeit in Verbindung gebracht (Reifenberger, 2013; Bolz/Künzel, 2024, im Druck). Gleichzeitig wird die mediale Inszenierung von weiblich gelesenen Rächerinnen in Bezug auf eine erotisierende und sensationalistische Objektivierung der Körper kritisch betrachtet. Doch nicht nur in der Filmwelt manifestieren sich Rachegelüste in ihrer offensichtlichsten Ausprägung (Bernhardt, 2021): Auch im Alltäglichen können subtilere Formen von Racheakten beobachtet werden, wie beispielsweise in Partnerschaften, in denen eine Person als Reaktion darauf, dass die andere zuvor untreu war, selbst fremdgeht.

Im Rahmen des kulturwissenschaftlichen Projektseminars „Rache und ihre Gegenmittel. Konfigurationen in Theorie, Politik und Populärkultur“ im Sommersemester 2023 diskutierten wir verschiedene Rachemodelle und -narrative sowie ihre unterschiedlichen Ausprägungen in soziopolitischen, religiösen, kulturellen und medialen Aushandlungen. Diesem Zusammenhang entsprang am 7. Juli 2023 ein studentisches Symposium im Jacob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Programmtitel ‚Racheabend‘. Als Vortragende agierten Nachwuchswissenschaftler*innen aus diversen Disziplinen, einschließlich Studierende der Kulturwissenschaft und weiterer Fachbereiche. Rache wurde als ein breites Spektrum diskutiert, das von transformativer Gerechtigkeit in Bezug auf sexualisierte Gewalt bis hin zu subtileren Racheakten, wie dem ikonischen Revenge-Dress von Prinzessin Diana reicht.

Rache in Literatur, Film und Musik

Im literarischen Klassiker Moby Dick (1851) von Herman Melville mündet der sich nährende maligne Hass, den Kapitän Ahab gegenüber dem mit Weiblichkeit und Natur assoziierten weißen Wal empfindet, in die Selbstzerstörung des gezeichneten Schiffsführers, wie Ole Zeitler auf dem Symposium vorführte. Hier führen Rachegelüste und Rachefantasien in die persönliche Katastrophe (vgl. Fuchs, 2021). Mit einem Akt blutiger und rücksichtsloser Rache endet auch der vierfach oscarprämierte Film „Parasite“ (Südkorea, 2019), der im Spannungsfeld sozialer Klassenunterschiede agiert. Ein spezieller, durch Hyperästhetisierung dargestellter Geruch lässt, laut Vortragender Ester Cara, ‚Klasse‘ sinnlich erfahrbar werden. Dieser Geruch lasse sich nicht vortäuschen und manifestiere stereotype Klassenzugehörigkeiten. Anhand von Darstellungen aus dem bisher noch unterbelichteten Forschungsgebiet des UK-Drills wurden den Zuhörenden von Erik Richter lyrische wie soziale Rachedynamiken vor allem ‚vor-Ohren-geführt‘. In den wirkungsstarken Rap-Songtexten werden mörderische Rache und stolzes Ausleben männlicher Egos synthetisiert.

Zwischen den akademischen Vorträgen und den anschließenden Diskussionsrunden wurden auf dem Symposium einschlägige Rachemonologe aus der Dramen- und Literaturgeschichte präsentiert. Im Folgenden werden wir uns auf zwei Vorträge der Geschlechterforschung konzentrieren.

„Diana, what are you wearing today?“ – „…Revenge!“

„Vom ‚Revenge Dress‘ zum ‚Revenge Body‘ – Kulturwissenschaftliche Perspektiven auf medialisierte Körper, Sexualität und Geschlecht in Populärkulturen“, betitelte Manuel Bolz seinen Vortrag zu Prinzessin Diana, die ihren Körper im Jahr 1994, entgegen der britischen royalen Etikette, mithilfe eines schwarzen Off-shoulder-Kleides aus Seide weiblich-erotisch in Szene setzte. Diana setzte sich mithilfe dieser gezielten Selbstpräsentation aktiv gegen die subjektiv und kollektiv empfundene Herabsetzung durch ihren Ehemann Prinz Charles durch dessen Untreue zur Wehr. Dass sie sich dem königlichen Dresscode widersetzte, wurde vielfach als Handlung der Selbstermächtigung, Selbstbestimmtheit und Eigenmächtigkeit interpretiert – ine emanzipatorische Handlung, die sich allerdings stereotyper Repräsentationen von ‚Weiblichkeit‘ bediente. Gemeint ist die gezielte Hervorhebung von idealisierter Weiblichkeit als schlank, athletisch und mit Bond-Girl-Charakter, die massenmedial hyperpräsent ist. Im Sinne Judith Butlers (vgl. Butler, 1991) kann Dianas Auftritt als Form der Geschlechterperformanz gelesen werden: als strategische Inszenierung für spezifische Beobachtende: als ‚doing gender – doing body – doing sexuality‘.

Bolz argumentierte, wie sich durch die aktive Selbstinszenierung per Kleidungsstück ein soziales Spielfeld mit unterschiedlichen Handlungsräumen eröffnet habe, in denen verschiedene Elemente des Blickregimes zusammentrafen: der ‚male gaze‘, der ‚media gaze‘ und das ‚gaze reversal‘ von Seiten Dianas. So habe sich in der oft photographierten Auftrittsszene im sehr sexy ausfallenden ‚kleinen Schwarzen‘ ein sozial hochkomplexer, wirkmächtiger und bedeutungsgeladener Raum konstituiert, dessen besondere Charakteristik, unter anderem in Form des VIP-„revenge bodys“, bis heute nachhallt.

Bolz demonstriert, wie die öffentliche Präsentation von Dianas ‚revenge body‘ im ‚revenge dress‘ als persönliche Ermächtigung gegenüber geltenden royalen Normen angesehen werden können. Allerdings geschieht dies nur unter Zuhilfenahme geltender reinszenierter stereotyper Geschlechtermuster, die in großem Stile massenmedial visuell produziert und bestärkt wurden.

Transformative Justice

Statt auf individuelle Handlungen und Selbstinszenierung konzentrierte sich Lenn Althen in ihrem Vortrag auf das aus Genderperspektive äußerst spannende Thema der transformativen Gerechtigkeit, insbesondere mit Blick auf sexualisierte Gewalt.  Ausgangspunkt des Vortrags wie auch der aktivistischen Bemühungen um Transformative Justice ist die Suche nach alternativen Wegen der Herstellung von Gerechtigkeit außerhalb der etablierten karzeralen Strukturen von Polizei und Gerichtssystem. Die aktivistisch-politische Praxis wird flankiert von einer theoretischen Auseinandersetzung mit Abolitionismus und der Kritik an Strafe. Die bestehenden staatlichen Verhältnisse werden dabei aus feministisch-intersektionaler Perspektive in ihrer Gewalthaftigkeit analysiert. Das Forschungsfeld ist im ideen- und bewegungsgeschichtlichen Kontext des Abolitionismus, der Polizei- und Staatskritik sowie des Queer*Feminismus verortet.

Althen führte eine queere und feministische Selbstorganisation und -ermächtigung als explizites Ziel der Bewegung an. Die Entwicklung von Konzepten und Praktiken der Transformative Justice erfolgt dabei als kollektive Arbeit durch viele, wobei besonders die historischen Beiträge von Schwarzen Feminist*innen und Feminist*innen of color hervorzuheben sind. Gerade diese Verbindung von Theorie und Praxis ist aus Perspektive der Gender Studies äußerst interessant und als überaus fruchtbar anzusehen. Dies zeigt sich auch in der verstärkt in den Seminarräumen der Humboldt-Universität stattfindenden akademischen Auseinandersetzung mit dem Thema. Wie Lenn Althen im Vortrag anschaulich gezeigt hat, gehen von der Bewegung um transformative Gerechtigkeit wichtige Impulse für ein neues Denken im Bereich der Strafe aus.

Ausblick

Das studentische Symposium war ein gelungener Abschluss für ein inhaltlich spannendes Semester. So bot sich uns Studierenden nicht nur die Möglichkeit, unser im Semester und darüber hinaus erworbenes Wissen zu Racheformationen auf individueller und kollektiver Ebene und deren Reflexion in Politik, Kultur und Wissenschaft anzuwenden und zu vertiefen, sondern auch durch die Gastbeiträge um neue Perspektiven zu bereichern. Daneben konnten wir uns praktisches Wissen zur Organisation eines akademischen Symposiums aneignen.

Insgesamt hat sich das Thema Rache als ein äußerst fruchtbares Forschungsfeld erwiesen. Es ist nicht nur durch Vielschichtigkeit und Facettenreichtum faszinierend für die kulturwissenschaftliche Analyse, sondern bietet zudem zahlreiche Anknüpfungspunkte für eine feministische Auseinandersetzung und Anwendung von theoretischen Ansätzen der Gender Studies.

 

Literatur

Bernhardt, Fabian (2021): Rache. Über einen blinden Fleck der Moderne. Berlin: Matthes & Seitz.

Bolz, Manuel/ Christine Künzel (Hg.): Rape and Revenge. Rache-Kulturen und sexualisierte Gewalt in intermedialer Perspektive. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht 2024 (im Druck).

Butler, Judith (1991): Das Unbehagen der Geschlechter. Frankfurt am Main: Suhrkamp.

Fuchs, Thomas (2021): Kränkung, Rache, Vernichtung. Zur Phänomenologie des Hasses. Psyche – Z Psychoanal 75 (4), 318–350.

Kurt, Şeyda (2023): Hass. Von der Macht eines widerständigen Gefühls. Hamburg: HarperCollins.

Reifenberger, Julia (2013): Girls with Guns. Rape&Revenge Movies: Radikalfeministische Ermächtigungsfantasien? Berlin: Bertz + Fischer, S. 7–107.

 

Talvy Moritz (sie/ihr) studiert seit 2020 im Bachelor Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie an der Humboldt-Universität zu Berlin. Nach ihrem Abitur (2015) absolvierte sie eine medizinisch-ernährungstherapeutische Ausbildung. Ihre Schwerpunkte liegen im Bereich der zeitgenössischen Körperbildentwicklungen mit Blick auf  medizinisch/psychologische Zusammenhänge.

Amina Sofie Scharrer (sie/ihr) studiert seit 2020 Kulturwissenschaft und Europäische Ethnologie (B.A.) an der Humboldt-Universität zu Berlin. Im Verlauf ihres Bachelorstudiengangs spezialisierte sie sich auf Migrationsforschung, wobei sie ihren Fokus insbesondere auf den Nahen Osten und Nordafrika richtet.

Lea Weidenhiller (Autor*innenbio wird nach Möglichkeit nachgereicht)

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