Der literaturwissenschaftliche Podcast nordlitt entsteht seit Winter 2020 am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Er geht auf den Wunsch zurück, die digitale Lehre nicht bloß als unliebsamen Zwang zu begreifen, sondern deren ganz besondere Anforderungen und Möglichkeiten zu nutzen und Synergieeffekte, in diesem Fall unter den Skandinavistik-Instituten, herzustellen. Die Herausforderung, die sich stellte, war, nicht nur das vielzitierte Humboldt‘sche Diktum der „Einsamkeit und Freiheit“ in der erzwungenen Isolation des Lockdowns zu beschwören, sondern Wege zu finden, dessen zweiten Teil, das „ungezwungene und absichtslose Zusammenwirken in akademischer Geselligkeit“ in digitale Formen zu übersetzen.
Im Podcast stellen Stefanie v. Schnurbein und ihre studentischen Hilfskräfte Alva Reifenstein und Cecilia Falkman in Form von informellen kollegialen Gesprächen Vertreter*innen und Ansätze der skandinavistischen Literaturwissenschaft vor. Im Zentrum stehen deren Forschungsinteressen, Herangehensweisen und theoretisch-methodische Ausrichtung. nordlitt führt ein in Epochen, wichtige Autor*innen, Gattungen, Texte und Theorien. Vor allem aber will der Podcast unsere Wissenschaft als Dialog und offenen Prozess erlebbar machen.
Der Podcast richtet sich an Studierende, Fachvertreter*innen und Lai*innen. Er wird am Nordeuropa-Institut in unterschiedlichen Formaten in der Lehre eingesetzt und kann fürs Selbststudium verwendet werden. Oder er dient der Wissenschaftskommunikation und der gelehrten Unterhaltung.
Gender und Sexualität in den skandinavischen Literaturen
Inhaltlich geht es in vielen Folgen um Fragen von Gender und Sexualität in den skandinavischen Literaturen. Zudem entstand im Wintersemester 2023/24 eine Miniserie zu Queertheorie und queerer Literatur in Skandinavien.
Im Folgenden wird eine Auswahl nordlitt-Folgen präsentiert und verlinkt.
Unspektakulär queer. Heroismus in der aktuellen Jugendliteratur. Im Gespräch mit Sotirios Kimon Mouzakis:
https://exgeist.hypotheses.org/848
Sotirios Kimon Mouzakis, Universität Zürich, entwickelt intersektionale Perspektiven auf Heroismus in zwei schwedischen Jugendromanen. Dabei wird nach der Zugänglichkeit und Mehrschichtigkeit von Jugendliteratur gefragt, Underdogs und queere Sidekicks als Held:innen werden entdeckt, und die Rolle des Wohlfahrtsstaates wird erkundet. Außerdem geht es um gelenkte Zufälle und den akademischen Gebrauch sozialer Medien.
Paralleluniversen. Der skandinavische Dramenboom der 1990er. Im Gespräch mit Patrick Ledderose:
https://exgeist.hypotheses.org/819
Patrick Ledderose, Universität München, führt durch zwei schwer zugängliche Dramentexte: Line Knutzons Bald kommt die Zeit und Cecilie Løveids Österreich. Dabei werden männliches Leiden, Geschlechterwirren und die dramatische Funktion von Tableaus diskutiert. Im Verlauf des Gesprächs wenden wir uns dann Ibsen und Wittgenstein zu, diskutieren alogische Zeitstrukturen und die Generation des Kindergartens sowie die Wechselwirkung zwischen Theater- und Literaturwissenschaft.
Weiblich, urban, modern. Camilla Collett als europäische Autorin. Im Gespräch mit Janke Klok:
https://exgeist.hypotheses.org/802
Janke Klok von der Universität Groningen präsentiert den nur schwer zugänglichen Roman „Die Töchter des Amtmanns“ sowie Strickzeugbetrachtungen, Essays und Reisebriefe der norwegischen Schriftstellerin Camilla Collett. Der Roman beleuchtet die Herausforderungen romantischer Liebe und wird ergänzt durch fesselnde Reisebriefe aus Berlin. Im Rahmen der Vorstellung wird die Bedeutung von Literatur als Quelle für die historische Forschung diskutiert. Weiterhin werden Colletts literarische Innovationen sowie die avantgardistischen Forschungsmethoden der Referentin vorgestellt. Besondere Aufmerksamkeit gilt dabei der Darstellung und Analyse des Konstrukts von Geschlecht und Geschlechterrollen in städtischen Kontexten, ein Aspekt, der die Komplexität von Colletts Werk zusätzlich unterstreicht.
Wahnsinn und Künstlertum. Amalie Skram und das Schreiben über Krankheit. Im Gespräch mit Marie-Theres Federhofer:
https://exgeist.hypotheses.org/697
In dieser nordlitt-Folge mit Marie-Theres Federhofer von der Universität Tromsö und der Humboldt-Universität zu Berlin diskutieren wir Amalie Skrams „Professor Hieronimus“. Es geht um Macht und Diagnosen, um die Bedeutung von Krankheits-Metaphern, und es werden unbekannte, vergessene Stimmen hörbar. Dabei wird besonders auf die Darstellung weiblicher Geisteskrankheit und gesellschaftliche Erwartungen in Skrams Werk eingegangen. Die Erfahrungen der Protagonistin Elsa Kant in der Psychatrie bieten tiefe Einblicke in geschlechtsspezifische Perspektiven auf Krankheit.
Queeres Leben – entqueerter Text? Die (Auto)Biographie von Lili Elbe. Im Gespräch mit Sabine Meyer:
https://exgeist.hypotheses.org/1259
Mit Sabine Meyer, Universität Greifswald, werden die Erzählfäden, die sich um die Person Lili Elbe spannen, entfaltet. Es geht um eine frühe geschlechtsangleichende Operation, um die Anfänge der Sexualwissenschaft, um queere Künstler*innenleben, um die verzwickten Beziehungen zwischen Trans-, Inter- und Homosexualität, vor allem aber um einen queeren Text, der sich bemüht, das Ideal der Heterosexualität zu erhalten. Außerdem werden Identifikationen und Obsessionen in der Wissenschaft thematisiert sowie die Freuden der Archiv- und Editionsarbeit.
Englischsprachige Folgen
Als Gast in nordlitt gibt es deutsche sowohl als auch internationale Forscher*innen und einige Folgen wurden deshalb auf Englisch aufgenommen.
Shooting Star. Fredrika Bremer in Sweden and Abroad. In Conversation with Åsa Arping:
https://exgeist.hypotheses.org/1096
Åsa Arping von der Universität Göteborg, Schweden, stellt Fredrika Bremer vor, eine internationale Berühmtheit sowie eine Pionierin des häuslichen Romans und des Feminismus in Schweden. Der Fokus verschiebt sich zu einfachen Heldinnen, dem Schreiben von Romanen und dem Backen von Kuchen. Die Diskussion vertieft sich in die verschwommenen Grenzen zwischen Schreiben, Übersetzen und Bearbeiten. Es wird über die Nutzung von Bremers Werk zur Etablierung einer Ideologie des Wikingererbes und der weißen Vorherrschaft in den USA spekuliert.
Claustrophic Families. Reading Queer/ly in Changing Contexts. In Conversation with Jenny Björklund:
https://exgeist.hypotheses.org/1329
nordlitt setzt die Mini-Serie zu Queer-Theorie und Literatur mit der Expertise von Jenny Björklund von der Universität Uppsala fort. Die Untersuchung dreht sich darum, was queere Literatur und Lesen in einer Zeit und einem Ort bedeuten könnte, an dem homosexuelle Elternschaft normalisiert wurde. Jenny führt uns durch einen Roman von Viktoria Myrén über eine Mutter, die ihre Kinder verlässt, und webt literarische Abstecher zu Victoria Benedictsson, August Strindberg, Margareta Suber und Sara Stridsberg ein. Es werden Einblicke in Schwedens pronatalistische Geschichte gewonnen, was zu Überlegungen anregt, ob literarische Tode als Akte des Widerstands interpretiert werden können. Zuletzt verlagert sich der Fokus darauf, die Freude am gemeinsamen Schreiben hervorzuheben und die Bedeutung einer positiven Einstellung zu betonen.
Impossible Possibilities. Lesbian Love in 1920s Norwegian Literature. In Conversation with Per Esben Svelstad:
https://exgeist.hypotheses.org/1299
Per Esben Svelstad von der NTNU Trondheim stellt den ersten norwegischen Roman vor, der lesbische Liebe thematisiert, Borghild Kranes ““Følelser forvirring“. Eine nicht kanonisierte Autorin wird enthüllt, die Licht auf homokulturelle Codes in den Zwischenkriegsjahren und einen queeren Intertext von Stefan Zweig wirft. Abstecher zu dem Dichter Åsmund Sveen und den Romanautorinnen Sigrid Undset und Ebba Haslund bieten Einblicke in frühe literarische Darstellungen homoerotischer Begierde. Es wird über Unterschiede zwischen Queer Studies in den nordischen Ländern spekuliert, indem das Verhältnis zwischen Akademie und Aktivismus sowie die Möglichkeit, in der Literatur und Literaturwissenschaft Gemeinschaft zu finden, untersucht wird.
Stefanie v. Schnurbein ist die Gründerin vom podcast nordlitt. Sie ist seit 2000 Professorin für Neuere Skandinavische Literaturen am Nordeuropa-Institut der Humboldt-Universität zu Berlin. Ihre Forschungsschwerpunkte liegen in den Bereichen der Neueren skandinavischen Literaturen, der Geschlechterforschung, der Germanenideologie und der neuheidnischen Bewegungen.
Cecilia Falkman, geboren 1996 in Stockholm, studiert den Masterstudiengang Europäische Literaturen an der Humboldt Universität. Sie hat früher Literaturwissenschaft an unter anderen der Universität Lund studiert. Seit 2022 ist sie Teil des nordlitt-Teams.
Alva Reifenstein, geboren 1993, studierte bis 2022 an der Humboldt-Universität zu Berlin Skandinavistik. Mit Stefanie v. Schnurbein arbeitete sie im ersten Covid-Lockdown am Podcastprojekt nordlitt, heute lebt und arbeitet sie in Wien.