Schon seit vielen Jahren sieht sich die Geschlechterforschung Angriffen ausgesetzt. Sinnhaftigkeit und Nutzen des Forschungsfelds werden in Zweifel gezogen, Geschlechterforscher*innen unter generellen Ideologieverdacht gestellt und vorgelegte Befunde grundsätzlich angezweifelt – oft ohne dass sie zur Kenntnis genommen werden. Gender Studies sind in vielen Bereichen zu einer Chiffre geworden, um Intellektualität sowie akademisches Arbeiten und Argumentieren grundsätzlich in Frage zu stellen. In der letzten Zeit ist dabei eine deutliche Zunahme der Aggressivität zu beobachten, mit der die Vorwürfe vorgebracht werden. Sowohl Forschungsergebnisse als auch die Forschenden selbst werden verächtlich gemacht und diffamiert. Zuletzt drohte Alice Weidel auf dem Parteitag der AfD mit der Abschaffung der Geschlechterforschung, sollte ihre Partei Regierungsmacht übernehmen.
Solche Äußerungen sind ernst zu nehmen, leisten sie doch Anti-Intellektualismus und Autoritarismus weiteren Vorschub. In Ungarn und gegenwärtig in den USA ist zu sehen, wie schnell ein solcher Umbau der Wissenschaftslandschaft vonstattengehen kann.
Deshalb haben sich Geschlechterforschende im Umfeld der Fachgesellschaft Geschlechterforschung / Gender Studies e.V. zusammengetan, um ein Zeichen zu setzen für #Wissenschaftsfreiheit und den Erhalt kritischer Wissenschaft. Gemeinsam haben wir ein Statement verfasst, das als Textbaustein genutzt werden kann, um auf den Webseiten der eigenen Institution deutlich zu signalisieren, dass die Angriffe gegen die Geschlechterforschung im Kern den Grundlagen von Demokratie und den Menschenrechten gelten.
Das Statement wurde auf der Homepage der Fachgesellschaft Geschlechterforschung / Gender Studies e.V. erstveröffentlicht. Es ist ausdrücklich kein offener Brief, sondern ein Angebot, auf dieser Grundlage eine eigene Stellungnahme zu formulieren. Bereits jetzt sind viele Institutionen und Universitäten diesem Aufruf gefolgt, z.B. die Universität Kiel, das Cornelia Goethe Centrum der Goethe Universität Frankfurt am Main, die Landeskonferenz der Frauen- und Gleichstellungsbeauftragten der Berliner Hochschulen und das Zentrum transdisziplinäre Geschlechterstudien der Humboldt-Universität.
Denn auch wir setzen auf ein deutliches Signal gegen Anfeindungen der Wissenschaftsfreiheit und populistische Verdrehungen dieses Grundrechts, gegen Anti-Intellektualismus und die generelle Infragestellung von Wissenschaft.
Das Leitungsgremium des Zentrums für transdisziplinäre Geschlechterstudien, Humboldt-Universität zu Berlin
Angriffen auf die Freiheit von Forschung und Lehre entschlossen entgegentreten
Hashtag: #Wissenschaftsfreiheit
Die Wissenschaftsfreiheit ist mit Artikel 5, Absatz 3 des Grundgesetzes (GG) vor politischen Eingriffen geschützt und als Menschenrecht weltweit verbürgt. Sie bildet einen unverzichtbaren Bestandteil demokratischer Staaten und ihrer politischen Ordnung. Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte muss diese Freiheit als unantastbares Fundament unserer Demokratie gewürdigt, verteidigt und stets neu verwirklicht werden. Jeder Eingriff in akademische Strukturen und die Freiheit der Forschung beschädigt nicht nur die wissenschaftlichen Institutionen und deren internationales Ansehen; es fügt auch der Demokratie als Ganzes erheblichen Schaden zu. Die Freiheit der Wissenschaft ist untrennbar mit der Freiheit der Gesellschaft verbunden, denn ohne sie gibt es weder Innovation noch Fortschritt – beides jedoch basiert auf Forschung.
Am 18. Januar 2025 kündigte Alice Weidel auf dem Parteitag der AfD an, dass eine Regierung unter ihrer Führung alle Einrichtungen der Gender Studies schließen würde. „Wir schmeißen alle diese Professoren raus“, so Weidel. Damit konkretisiert sie die programmatische Ablehnung einer ganzen Disziplin und droht, massiv in die Freiheit von Forschung und Lehre einzugreifen. Diese Äußerungen sind nicht nur verfassungswidrig, sondern auch zutiefst antidemokratisch. Mit einem Angriff auf die Gender Studies wird ein Präzedenzfall geschaffen, der sich beliebig auf andere wissenschaftliche Disziplinen und Arbeitsfelder ausweiten lässt.Die Unabhängigkeit der Wissenschaft gilt uneingeschränkt für alle Forschungsbereiche. Sie stellt sicher, dass wissenschaftlicher Fortschritt möglich ist, und bildet so die Grundlage für die Zukunftsfähigkeit von Demokratie und Pluralismus. Konstruktive, sachliche Kritik und die offene Diskussion über Forschung und Lehre in der breiten Öffentlichkeit sind ebenso wichtige Bestandteile dieses Fortschritts wie die Wissenschaftskommunikation. Jegliche Versuche, einzelne Forschende, Forschungsgruppen oder Fachrichtungen zu diskreditieren oder zu bedrohen, lehnen wir in aller Deutlichkeit ab. Wissenschaftsfeindlichkeit und Intellektuellenfeindlichkeit sind zentrale Merkmale autoritärer Politik, die das gesellschaftliche Vertrauen in die Wissenschaft untergraben.
Wir verurteilen jegliche Drohungen gegen Forschende, sei es im Bereich der Gender Studies oder in anderen Disziplinen. Wir bekräftigen unsere Überzeugung, dass die Autonomie von Wissenschaft und Hochschulen für das demokratische System von entscheidender Bedeutung ist. Angriffe auf die Wissenschaftsfreiheit sind Angriffe auf die Demokratie selbst.